Europaparlamentarierin in Spanien trotz Immunität verhaftet

Die frühere katalanische Bildungsministerin Clara Ponsati wurde bei ihrer Rückkehr aus dem Exil prompt festgenommen. Damit hat sich das Land erneut über ein höchstrichterliches Urteil der EU hinweggesetzt.

"Die katalanische Europaabgeordnete Clara Ponsati wurde soeben in Barcelona verhaftet ... das erste Mal in der EU, dass ein durch Immunität geschütztes Mitglied des Europäischen Parlaments verhaftet wird", twitterte Roberto Cuillo am gestrigen Dienstag.

Der ehemalige Sprecher von Europaparlamentspräsident David Sassoli bringt einen bisher nie dagewesenen Vorgang, den sich das EU-Mitgliedsland Spanien am Dienstag erlaubt hat, auf den Punkt.

Dabei stellen Spitzenpolitiker das Land gerne als "vollwertige Demokratie" heraus. Dies hatte der sozialdemokratische Ministerpräsident Pedro Sánchez erst kürzlich wieder beschworen – um kurz darauf demokratische Grundregeln zu verletzen.

Wenn die Demokratie in Spanien ständig betont wird, so weist das nach einem landläufigen Sprichwort auf Lücken hin. Dass das Land auch Folter und illegale Zeitungsschließungen kennt, tut ein Übriges. Und dass Politiker wie Ponsati dort willkürlich inhaftiert werden können, hatte die UNO schon als Menschenrechtsverletzungen gebrandmarkt.

Mit der Verhaftung der Europaabgeordneten hat sich Spanien erneut über ein höchstrichterliches Urteil hinweggesetzt. Der Gerichtshof der Europäischen Union hatte Ponsati, wie auch dem Exilpräsidenten Carles Puigdemont, die parlamentarische Immunität vor einem Jahr zurückgegeben. Eine rechte Mehrheit im Parlament hatte sie ihnen auf Druck der spanischen Sozialdemokratie ein Jahr zuvor in einem unsäglichen Vorgang der Selbstentmachtung entzogen.

Der Haftbefehl

Das illegale Vorgehen basierte auf einem Haftbefehl des Richters Pablo Llarena, den die katalanische Polizei umgesetzt hat. Die konnte der ehemaligen Bildungsministerin aber nicht einmal einen Haftbefehl zeigen, als sie am Mittag nach einer Pressekonferenz festgenommen wurde.

Wer die Festnahme angeordnet hat, ist unklar. Die Europaparlamentarierin zeigte der Polizei ihren Parlamentsausweis und verwies erfolglos auf ihre in jeder Demokratie geschützte parlamentarische Immunität.

Ponsatis Anwalt erklärte, dass der Haftbefehl, der nur in Spanien gegen sie vom Llarena erhoben wird, nicht ausgeführt werden kann, solange Immunität bestehe. Die Aufhebung müsse beim Europaparlament beantragt werden. "Das hat er (Richter Llarena, Einf. d. A.) zu keinem Zeitpunkt getan", erklärte Gonzalo Boye.

Er fordert das Parlament auf, die Parlamentarierin zu verteidigen, die nach fünf Jahren im Exil – deutsche Medien wie die taz oder Der Spiegel schreiben von der "Flucht einer Separatistenpolitikerin" – erstmals in ihre Heimatstadt Barcelona zurückgekehrt ist.

Die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola ließ über einen Sprecher derweil verkünden: "Wir prüfen derzeit alle rechtlichen Aspekte dieses Falles."

Boye erinnerte auch daran, dass der Europäische Gerichtshof (EuGH) erst kürzlich feststellte, dass der Oberste Gerichtshof in Madrid, an dem Llarena tätig ist, nicht einmal für die Katalanen zuständig ist. Spanien hatte dabei in Luxemburg – wieder einmal – eine "komplette Niederlage" eingefahren, erklärte Boye gegenüber Telepolis.

Die Festnahme ist aber auch deshalb unsinnig, da nach einer Strafrechtsreform der Politikerin nicht einmal ein angeblicher "Aufstand" vorgeworfen werden kann, den es nun im Gesetz nicht mehr gibt.

Puigdemonts Mitstreiter, die nach dem Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober 2017 nicht ins Ausland gingen, wurden in Spanien zu bis 13 Jahren Haft in Spanien verurteilt. Sie ließen aber die Bevölkerung friedlich abstimmen.

Einen "Aufstand" oder gar eine "Rebellion", was Llarena auch vorgeworfen hatte, konnten unabhängige Gerichte in ganz Europa nicht erkennen, weshalb kein Land die Exil-Katalanen nach Spanien ausgeliefert hat. Die belgische Justiz ging, bezweifelte sogar, dass Katalanen in Spanien ein fairer Prozess erwartet. In diesem Fall, so hat der EuGH inzwischen bestätigt, kann ein EU-Mitgliedsland die Auslieferung über einen europäischen Haftbefehl verweigern.

Vorgeworfen wird Ponsati nur noch "Ungehorsam", da sie als Ministerin Schulen als Wahllokale für das Referendum zur Verfügung gestellt habe.

Das ist absurd, da diese ohnehin von der Bevölkerung besetzt worden waren. Dass darauf nicht einmal eine Gefängnisstrafe droht, für die eine Haft angeordnet werden kann, macht die Festnahme noch absurder.

Ponsati und Puigdemont konnten mit ihrem politischen Schachzug aufzeigen, dass sich die spanische Justiz erneut über EuGH-Urteile hinwegsetzt. Das ist nicht neu, doch anders als Polen wird das Land dafür bisher nicht an den Pranger gestellt.

Die Freilassung

Am Abend wurde – nach starken Protesten wohl den spanischen Behörden klar – wie sie tief sie ins internationale Fettnäpfchen getreten sind: Ponsati wurde in der Nacht entlassen.

Sie soll nun am 24. April in Madrid vor dem Richter Llarena antreten. Dass sie dem nachkommt, darf bezweifelt werden.

Politische Ziele

Denn die Politikerin hatte auf der Pressekonferenz erklärt, dass sie ihn und sein Gericht nicht anerkennt. Boye strich heraus, dass eine neue Verhaftung erneut illegal wäre. Die Wirtschaftswissenschaftlerin, die unter anderen US-Universitäten wie Georgetown und Princeton unterrichtet hat, machte auf der Pressekonferenz aus ihren Zielen kein Geheimnis.

"Ich bin nicht gekommen, um mich auf einen Deal mit dem Staat einzulassen", sagte sie mit Blick auf die von der Republikanischen Linken (ERC) geführte katalanische Regierung und deren heiß umstrittenen Schmusekurs mit Madrid.

Ihre Formation hat deshalb die Regierungskoalition mit der ERC verlassen. Am Sitz der Journalistenvereinigung erklärte Ponsati, sie sei zurückgekommen, "um die systematische Verletzung unserer Rechte und die Passivität der katalanischen Institutionen" anzuprangern.

Dass die Regionalregierung sogar ihre Polizei für einen illegalen Vorgang eingesetzt hat, unterstrich ihre Kritik. Ponsati will dagegen "Stirn bieten". Sie unterstrich auch die Notwendigkeit, "dass die europäischen Institutionen nicht länger wegschauen".