Wie ein früher Frieden im Ukraine-Krieg scheiterte

Noch im März 2022 gab es Hoffnungen auf ein schnelles Ende des Konfliktes. Welche Akteure dazu beitrugen. Und welche Vereinbarungen bereits auf dem Tisch lagen. (Teil 1)

Vorwort von Michael von der Schulenburg zum Dreiteiler von General a.D. Harald Kujat und Prof. Hajo Funke

Der hier beginnende Zweiteiler liefert eine detaillierte Rekonstruktion der ukrainisch-russischen Friedensverhandlungen im März 2022 und der damit verbundenen Vermittlungsversuche des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Naftali Bennett, unterstützt von Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan und Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder (SPD).

Die folgende Analyse stammt von General a.D. Harald Kujat und Prof. Hajo Funke, zwei der Initiatoren des kürzlich vorgestellten Friedensplans für die Ukraine. Und auch im Kontext ihres Friedensplans ist diese Rekonstruktion so überaus wichtig.

Sie lehrt uns, dass wir es uns nicht noch einmal leisten können, Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen zu verzögern. Die menschliche und militärische Lage in der Ukraine könnte sich dramatisch verschlechtern, mit der zusätzlichen Gefahr einer weiteren Eskalation des Krieges. Wir brauchen eine diplomatische Lösung für diesen grausamen Krieg – und zwar jetzt!

Sieben Punkte sind dabei besonders hervorzuheben:

1. Bereits einen Monat nach Beginn der russischen Militärintervention in der Ukraine waren ukrainische und russische Unterhändler einem Waffenstillstand und einer umfassenden Friedenslösung des Konfliktes sehr nahe.

2. Anders als heute waren Präsident Wolodymyr Selenskyj und seine Regierung damals sehr um einen Verhandlungsfrieden mit Russland und ein schnelles Ende des Krieges bemüht.

3. Entgegen westlichen Darstellungen waren sich die Ukraine und Russland damals einig, dass die geplante Nato-Erweiterung die Ursache des Krieges war, und konzentrierten ihre Friedensverhandlungen daher auf die Wahrung der Neutralität und territorialen Integrität der Ukraine.

4. Dass diese Friedensverhandlungen am Widerstand der Nato, insbesondere der USA und Großbritanniens, scheiterten, steht außer Frage.

5. Das Scheitern der Friedensverhandlungen im März 2022 und die anschließende Intensivierung des Krieges haben Hunderttausenden von Menschen das Leben gekostet oder sie schwer verletzt. Die Ukraine wurde massiv zerstört und die Entvölkerung des Landes setzte sich fort. An dieser Katastrophe tragen auch die Nato und der Westen eine große Mitschuld.

6. Die Verhandlungsposition der Ukraine ist heute viel schlechter als im März 2022.

7. Die damalige Blockade der Friedensverhandlungen hat allen geschadet: Russland, aber auch Europa - vor allem aber den Menschen in der Ukraine, die für die Ambitionen der Großmächte mit ihrem Blut bezahlen und am Ende wohl nichts dafür bekommen werden.

Michael von der Schulenburg

Wie Chancen für eine Friedensregelung im Ukraine-Krieg vertan wurden

... und wie der Westen stattdessen den Krieg fortsetzen wollte

Im März 2022 hatte es im Zuge von Verhandlungen zwischen der ukrainischen und russischen Seite ernsthafte Chancen gegeben, den Krieg zu beenden. Die Verhandlungsbereitschaft der Ukraine endete Ende März (vor der Entdeckung der Verbrechen von Butscha) auf Druck einiger Staaten des Westens, den Krieg fortzusetzen statt, wie dies der ukrainische Präsident Selenskyj wollte, ihn zu beenden.

Naftali Bennett hatte ab der ersten Märzwoche 2022 Vermittlungsbemühungen unternommen. In einem Videointerview vom 4. Februar 2023 mit dem israelischen Journalisten Hanoch Daum1 sprach er erstmals ausführlich über den Ablauf und das Ende der Verhandlungen.

Hans-Joachim "Hajo" Funke ist ein deutscher Politikwissenschaftler. Er hatte von 1993 bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2010 eine Lehrtätigkeit am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin inne.

Dieses Videointerview ist Grundlage eines detaillierten Berichts in der Berliner Zeitung vom 6. Februar 2023: "Naftali Bennett wollte den Frieden zwischen Ukraine und Russland: Wer hat blockiert? Israelischer Ex-Premier sprach erstmals über seine Verhandlungen mit Putin und Selenskyj. Der Waffenstillstand war angeblich zum Greifen nahe." (Berliner Zeitung vom 06.02.2023).

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe ihn, Bennett, nach Ausbruch des Krieges gebeten, Wladimir Putin zu kontaktieren.

Harald Kujat ist ein deutscher Luftwaffen-General a.D. Er bekleidete von 2000 bis 2002 die Position des 13. Generalinspekteurs der Bundeswehr und war anschließend von 2002 bis 2005 Vorsitzender des Militärausschusses der Nato.

Am 5. März 2022 war Bennett auf Einladung Putins in einem privaten, vom israelischen Geheimdienst bereitgestellten Jet nach Moskau. geflogen In dem Gespräch im Kreml habe Putin, so Bennett, einige substanzielle Zugeständnisse gemacht, insbesondere habe er auf sein ursprüngliches Kriegsziel einer Demilitarisierung der Ukraine verzichtet. Der ukrainische Präsident erklärte sich im Gegenzug bereit, auf einen Nato-Beitritt zu verzichten – eine Position, die er kurze Zeit später auch öffentlich wiederholte. Damit war eines der entscheidenden Hindernisse für einen Waffenstillstand aus dem Weg geräumt. (…) Auch andere Themen wie die Zukunft des Donbass und der Krim sowie Sicherheitsgarantien für die Ukraine seien in diesen Tagen Gegenstand von intensiven Gesprächen gewesen.

Bennett wird in dem Beitrag weiterhin zitiert:

Ich hatte damals den Eindruck, dass beide Seiten großes Interesse an einem Waffenstillstand hatten (…). Ein Waffenstillstand sei damals, so Bennett, in greifbarer Nähe gewesen, beide Seiten waren zu erheblichen Zugeständnissen bereit". Doch vor allem Großbritannien und die USA hätten den Prozess beendet und auf eine Fortsetzung des Krieges gesetzt.

Anfang März 2022 kontaktierte Präsident Selenskyj nicht nur Naftali Bennett, sondern auch den deutschen Altbundeskanzler Gerhard Schröder und bat ihn, seine engen persönlichen Verbindungen zu Putin zu nutzen, um zwischen Ukraine und Russland zu vermitteln, um Wege zu finden, wie dieser Krieg schnell beendet werden konnte.

In einem am 21./22. Oktober dieses Jahres erschienen Interview in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung sprach Schröder das erste Mal öffentlich über seine Rolle in den Bemühungen, die zu den Friedensverhandlungen am 29. März 2022 in Istanbul führten. Wie Bennett kam auch er zu dem Schluss, dass der Grund, warum diese Friedensverhandlungen nicht zum Ziel führten, darin lag, dass sich die Amerikaner querstellten. Wörtlich sagte er:

Bei den Friedensverhandlungen im März 2022 in Istanbul mit Rustem Umjerow (damals Sicherheitsberater von Selenskyj, heute ukrainischer Verteidigungsminister) haben die Ukrainer keinen Frieden vereinbart, weil sie es nicht durften. Die mussten bei allem, was sie berieten, erst bei den Amerikanern nachfragen", und dann noch einmal: "Doch am Ende (der Friedensverhandlungen) passierte nichts. Mein Eindruck: es konnte nichts passieren, denn alles Weitere wurde in Washington entschieden. Das war fatal.

Bereits zuvor hatte sich der damalige türkische Außenminister, Mevlüt Çavuşoğlu, in ähnlicher Weise geäußert. In einem Interview mit der CNN-Turk am 20. April 2022 sagte er: Einige Nato-Staaten wollten, dass der Ukraine-Krieg weitergeht, um Russland zu schwächen."

Parallel liefen ukrainisch-russische Friedensverhandlungen

Seit Ende Februar 2022 wurden direkte Verhandlungen zwischen einer ukrainischen und einer russischen Delegation geführt, die sich in der dritten Märzwoche, "also nur einen Monat nach Ausbruch des Krieges, auf die Grundzüge einer Friedensvereinbarung geeinigt (haben): Die Ukraine versprach, der Nato nicht beizutreten und keine Militärbasen ausländischer Mächte auf ihrem Territorium zuzulassen, während Russland im Gegenzug versprach, die territoriale Unversehrtheit der Ukraine anzuerkennen und alle russischen Besatzungstruppen abzuziehen. Für den Donbass und die Krim gab es Sonderregelungen." (Vgl. Michael von der Schulenburg: UN-Charta: Verhandlungen! In: Emma vom 6. März 2023).

Während der vom türkischen Präsidenten Erdogan vermittelten Verhandlungen legte die ukrainische Delegation am 29. März 2022 ein Positionspapier vor, das zum Istanbuler Kommuniqué führte. Die Vorschläge der Ukraine wurden von der russischen Seite in einen Vertragsentwurf umgesetzt.

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