1.700 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in Permafrostböden gespeichert
Die Energie- und Klimawochenschau: Von gefrorenen Kadavern, schleppenden Klimaverhandlungen und beharrlichen Umweltschützern
Was wäre, wenn es alles noch viel schlimmer als die üblichen Warnungen der Klimawissenschaftler kommen würde. Wie alle wissenschaftlichen Modelle sind sie mit Unsicherheiten behaftet und zudem unvollständig. Doch daraus zu schließen, es würde schon nicht so schlimm kommen, da die Projektionen ja nicht eintreten müssen, wäre leichtsinnig, denn in der Natur der Sache liegt es, dass Abweichungen in beide Richtungen möglich sind.
Was in den Klimamodellen zum Beispiel bisher nicht berücksichtigt wurde, sind Wechselwirkungen mit großen potenziellen Treibhausgasquellen im hohen Norden. Darauf macht das UN-Umweltprogramm UNEP anlässlich der diesjährigen Weltklimakonferenz mit einem Bericht aufmerksam, der vor allem die sogenannten Permafrostböden ins Visier genommen hat. Diese bedecken immerhin rund ein Viertel der nordhemisphärischen Landmasse.
Aber weshalb werden sie zum Problem? In den eisigen Steppen rund um den arktischen Ozean ist der Boden seit vielen Jahrtausenden gefroren. Um genau zu sein: mindestens seit dem Ende der letzten Warmzeit vor 115.000 Jahren1, ein Teil aber auch schon viel länger. Zum Teil reicht dieser ewige Frost bis in mehrere hundert Meter Tiefe. Das besondere an ihm ist, dass er Unmengen von Tierkadavern und Pflanzenresten konserviert, die wegen der niedrigen Temperaturen nicht verwesen.
Laut UNEP sind 1.700 Milliarden Tonnen Kohlenstoff in diesem gefrorenen organischen Material gespeichert. Das entspricht etwa dem Doppelten des derzeitigen CO2-Gehalts der Atmosphäre. Diese Menge würde beim Auftauen nach und nach freigesetzt, weil sie nun von Bakterien zersetzt werden können. Die großen Fragen sind, wie schnell das geschehen wird und wie groß der Anteil der anaeroben Verwesung, also der Zersetzung unter Luftabschluss, dabei ist. Bei letzterer wird nämlich Methan erzeugt, ein Treibhausgas, das fast 25 mal so effektiv ist wie Kohlendioxid. Letzteres entsteht, wenn Kadaver und Pflanzen an der Luft verwesen.
Das Problem an diesen Vorgängen im Permafrost ist, dass die Forschung noch sehr neu und lückenhaft, die Kenntnisse über die Abläufe und ihre Geschwindigkeiten daher begrenzt sind. Aus diesem Grunde sind sie auch noch nicht in die bisherigen Klimaprojektionen eingeschlossen. Aber ein paar Dinge sind auf jeden Fall klar: Die Meldungen über den Rückzug der Permafrostgrenze häufen sich seit einigen Jahren (siehe zum Beispiel Beschleunigtes Auftauen). Und: Aller Voraussicht nach wird sich dieser Prozess erheblich beschleunigen, wenn künftig immer größere Teile des arktischen Ozeans eisfrei sind. Insbesondere wenn das Eis so instabil wird, das größere Flächen bereits Ende Juni frei sind, wenn die Sonne am höchsten steht.
Bisher war der Permafrost als Treibhausgasquelle auch deshalb von den Klimamodellierern vernachlässigt worden, weil man davon ausging, dass das Auftauen zu langsam vonstatten gehen würde, um in diesem Jahrhundert einen signifikanten Einfluss auf die globale Temperatur zu haben. Doch inzwischen sind viele Wissenschaftler sich da nicht mehr so sicher, zumal sich ja auch gezeigt hat, dass das Meereis weit schneller zurück geht, als von den Modellen vorhergesagt. Nach Ansicht der Autoren des UNEP-Berichts könnte bereits ein großflächiges Abtauen des Permafrost eingesetzt haben.
Enger Spielraum
"Die [Treibhausgas-]Emissionen des Permafrost könnten schließlich bis zu 39 Prozent der globalen Emissionen ausmachen", meint Kevin Schaefer, Hauptautor des UNEP-Berichts und Wissenschaftler am National Snow and Ice Data Center der USA in Colorado, wo er mit verschiedenen Forschungsprojekten rund um den Permafrost befasst ist.
Der Spielraum für den Menschen würde damit noch enger, das heißt, die Treibhausgasemissionen müssten noch schneller reduziert werden, um den Klimawandel so weit wie noch möglich zu begrenzen. Das besonders vertrackte: Je mehr Permafrostboden auftaut und verwest, desto mehr Treibhausgase werden freigesetzt, die wiederum den Treibhauseffekt verstärken und somit das Auftauen zusätzlich vorantreiben. Wissenschaftler nennen derlei eine positive Wechselwirkung.
Im Prinzip kann so ein Mechanismus auch ganz aus dem Ruder laufen, das heißt, sich so sehr verstärken, dass er vom Menschen nicht mehr durch die Reduktion seiner Treibhausgase zu kontrollieren ist und schließlich zum vollständigen Auftauen führt. Das wäre mit Sicherheit ein Prozess, der etliche Jahrhunderte dauern würde, aber auch das wäre noch schlimm genug. In dem Falle wären Temperaturen die Folge, in denen nicht nur das grönländische, sondern auch größere Teile der antarktischen Eisschilde verschwinden würden. Der Meeresspiegel stiege dadurch um mehrere Dutzend Meter.
Wie dem auch sei, auf jeden Fall müsste der Kenntnissstand über die drohenden Gefahren dringend verbessert werden. UNEP fordert daher einen Sonderbericht des IPCC, der das bisherige Wissen zusammenfasst, und nationale Messnetze, die den Permafrost überwachen. Letzteres beträfe vor allem Russland, Kanada, die USA (Alaska) und China (Tibetisches Hochplateau). Des weiteren empfiehlt sie den Ländern Anpassungsprogramme, da das Auftauen auch ein Infrastrukturproblem ist. Schließlich weist die UNEP darauf hin, dass die Erkenntnisse auch in den Verhandlungsprozess einfließen.
Industriestaaten kneifen
Derweil ist es um die Verhandlungen eher schlecht bestellt, wie berichtet (UN-Klimakonferenz in Doha eröffnet). Mit etwas Glück wird Ende nächster Woche, nach Abschloss der Doha-Konferenz, feststehen, wie lange eine Verlängerung des Kyoto-Protokolls gelten wird. Eine Reihe von Industriestaaten haben allerdings schon angekündigt, dass sie nicht mit von der Party sein wollen. Neben den USA, die als einziger großer Staat das Protokoll nie ratifiziert haben - im Gegensatz übrigens auch zu Indien und China, von denen gerne immer wieder Gegenteiliges behauptet wird -, scheren auch Kanada, Russland, Japan und Neuseeland aus.
Da trifft es sich doch gut, dass die Konferenz in einem so autoritären Staat wie Katar stattfindet, der zwar Demonstrationen gut findet, wenn sie weit weg in Libyen stattfinden, aber seinen Einwohnern mehrheitlich die Bürgerrechte und den Bürgern das allgemeine Wahlrecht verweigert. (O.k. Gemeinderäte werden in Katar gewählt...) Mit Protesten wie seinerzeit in Kopenhagen ist also nicht zu rechnen.
Aber nach Kopenhagen hat sich bei einem Teil der Umweltschutzbewegung - genauer sollte man vielleicht von der neuen Klimabewegung sprechen, die im Vorfeld des Kopenhagener Gipfels entstand - ohnehin die Erkenntnis durchgesetzt, dass es sinnvoller ist, sich zuhause einige Brennpunkte herauszusuchen, als immer den zentralen Gipfeln hinterher zu reisen. Aus dieser Überlegung heraus haben in diesem Jahr zum Beispiel Klima-Camps an den Braunkohlestandorten in der Lausitz, bei Leipzig und im Rheinland stattgefunden.
Braunkohle deckt rund ein Viertel des deutschen Strombedarfs und ist mit Abstand unter den fossilen Energieträgern der Schädlichste für das Klima. Außerdem verursacht ihr Abbau enorme Landschaftszerstörungen. Da ist es eigentlich verwunderlich, dass sie außerhalb der direkt betroffenen Regionen kaum öffentlich thematisiert wird.
Besetzung geht weiter
Anders natürlich vor Ort. Der Westdeutsche Rundfunk berichtet letzte Woche von den Sympathien der Anwohner für die Proteste von Umweltschützern, die den Hambacher Forst seit April besetzt halten. Der Besitzer einer Wiese wurde von der Polizei festgenommen, weil er dagegen protestierte, dass die Beamten Umweltschützer von seinem Grundstück vertreiben wollten.
Dem WDR-Bericht nach zu urteilen ist die Polizei dabei nicht nur wieder einmal recht rabiat vorgegangen, sondern hat es auch in verschiedenen Fällen rundum die Räumung des Hambacher Forst mit der Wahrheit nicht besonders ernst genommen. Aber auch das ist bei derlei Einsätzen inzwischen leider ja schon fast die Regel (Schlechte Zeiten für Deutschlands Polizei).
Die Umweltschützer hielt das übrigens nicht davon ab, schon wenige Tage erneut die geplante Tagebau-Fläche zu besetzen. Dort, in der Nähe von Düren, westlich von Köln, will RWE einen Wald roden, um an die unter ihm liegende Braunkohle heran zu kommen. Als Motiv für ihre Aktion sprechen sie von Krieg und Vertreibung, die aufgrund des Klimawandels drohen. Die Belastung der Tagebau-Nachbarn und die Folgen der Grundwasserabsenkung seien aber genauso gut Gründe, gegen die weitere Zerstörung der Region vorzugehen.