170.000 Firmenpleiten: Europas Wirtschaft in der Krise
Europa erlebt eine massive Pleitewelle. Allein in Westeuropa meldeten 2023 rund 170.000 Firmen Insolvenz an. Experten warnen: Das ist wohl erst der Anfang.
Die Pleiten in Europa häufen sich. Besonders dramatisch ist die Situation in Schweden, wo die Zahl der Insolvenzen in diesem Jahr voraussichtlich 10.000 übersteigen wird – ein Niveau, das zuletzt in der Finanzkrise der 1990er-Jahre erreicht wurde. Das berichtet die US-Nachrichtenagentur Bloomberg auf Basis von Zahlen der Wirtschaftsauskunftei Creditsafe.
"Bisher sind in diesem Jahr 9.197 Kapitalgesellschaften pleitegegangen, ein Anstieg von 24 Prozent im Vergleich zum Vorjahr und ganze 64 Prozent mehr als vor zwei Jahren", sagt Henrik Jacobsson, Geschäftsführer von Creditsafe. Als einen wesentlichen Treiber für die Pleitewelle sieht die Auskunftei die Steuerstundungen während der Corona-Krise, die Creditsafe als "tickende Zeitbombe" bezeichnet.
Auch in Deutschland zeichnet sich eine beunruhigende Tendenz ab: Die Zahl der Regelinsolvenzen ist im September 2024 im Vergleich zum Vorjahresmonat um 13,7 Prozent gestiegen. Dies geht aus vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes (Destatis) hervor.
Auffällig ist, dass dieser Anstieg kein Einzelfall ist, denn mit Ausnahme des Juni 2024, in dem ein Anstieg von 6,3 Prozent zu verzeichnen war, bewegt sich die Zuwachsrate seit Juni 2023 durchgängig im zweistelligen Bereich.
Verzögerte Erfassung von Insolvenzen in Deutschland
Die Insolvenzstatistik basiert auf den Entscheidungen der Insolvenzgerichte, was bedeutet, dass die offiziellen Antragszahlen erst nach der ersten gerichtlichen Entscheidung Erfassung finden. Es ist daher zu beachten, dass der eigentliche Insolvenzantrag oftmals bereits rund drei Monate vor der gerichtlichen Erstentscheidung und somit vor der statistischen Erfassung eingereicht wird.
Im Fall Schwedens sorgte jüngst die Insolvenz des Batterieherstellers Northvolt in den USA für Schlagzeilen. Das einstige Vorzeige-Startup verfügte nur noch über 30 Millionen US-Dollar an liquiden Mitteln, nachdem es zuvor 15 Milliarden US-Dollar von Investoren eingesammelt hatte.
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Schwedens stellvertretende Ministerpräsidentin Ebba Busch nimmt die EU-Kommission für die Pleite von Northvolt in die Verantwortung. Sie kritisiert die "naive Herangehensweise der EU gegenüber China und den USA" und warnt vor einer Dominanz Chinas bei grünen Technologien, wie das Portal Euractiv berichtet.
"Wir ertränken die europäische Wettbewerbsfähigkeit im Moment nicht nur in einer Fülle von Vorschriften, sondern auch in einem regelrechten Labyrinth", sagte Busch laut Euractiv. Sie fordert einen Abbau von Vorschriften, um Start-ups den Zugang zu Finanzmitteln zu erleichtern. Europa müsse außerdem die Versorgung mit kritischen Rohstoffen diversifizieren.
Kritik aus Schweden an Brüssel
Ohne diese Maßnahmen "könnten wir sehr wohl in einer Situation enden, in der der europäische grüne Wandel zu einem chinesischen Wandel auf europäischem Boden wird", warnt Busch. Sie hofft, dass das EU-Gesetz zu kritischen Rohstoffen und zukünftige Regelungen "noch mehr Minen auf europäischem und insbesondere schwedischem Boden eröffnen werden".
Wirtschaftspolitiker aus Schweden, Deutschland und Frankreich drängen laut einem Euractiv vorliegenden Papier auf eine schnellere Umsetzung der EU-Maßnahmen im Batterie-Sektor. Sie betonen, dass "der globale Wettbewerb nicht auf gleichen Wettbewerbsbedingungen beruht".
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Die Allianz fordert bessere Bedingungen für die Batterieproduktion in Europa, einschließlich der Ausschreibung des Innovationsfonds sowie der Umsetzung der Batterieverordnung und des europäischen Industriegesetzes. Schutzzölle lehnt Busch als Vertreterin des exportabhängigen Schwedens jedoch ab.
Die Pleitewelle in Europa zeigt, dass die EU-Staaten den Wettbewerb mit China und den USA zu verlieren drohen. Ob die Maßnahmen der EU ausreichen, um eine Deindustrialisierung zu verhindern und Europas Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, bleibt abzuwarten. Die Uhr tickt.
Auf gesamteuropäischer Ebene hat sich der Trend steigender Unternehmensinsolvenzen in Europa im vergangenen Jahr 2023 fortgesetzt, wie aus einer aktuellen Analyse der Wirtschaftsauskunftsdatei Creditreform hervorgeht. In Westeuropa erhöhte sich die Zahl der Firmeninsolvenzen gegenüber dem Vorjahr um rund 21 Prozent auf knapp 170.000 Fälle.
Als Hauptursache nennt die Studie die schwache Wirtschaftslage, verstärkt durch vorangegangene Krisen wie Energiekostensteigerungen, hohe Inflation und Nachwirkungen der Pandemie.
In den meisten westeuropäischen Ländern stiegen die Insolvenzzahlen, besonders stark in den Niederlanden (+ 54,9 Prozent) und Frankreich (+35,6 Prozent). Auch in Schweden, Irland, Finnland, Norwegen und Deutschland lagen die Zuwächse über 20 Prozent. Nur wenige Länder wie Dänemark, Luxemburg, Spanien und Portugal verzeichneten rückläufige Fallzahlen.
Über alle Branchen hinweg stiegen die Insolvenzen 2023 im zweistelligen Bereich. Am stärksten betroffen war der Handel mit einem Plus von 24,8 Prozent. Aber auch im verarbeitenden Gewerbe beschleunigte sich die Entwicklung. Insgesamt sehen die Experten von Creditreform eine Trendwende, nachdem die Insolvenzzahlen während der Pandemie durch staatliche Hilfen gedämpft wurden.
Auch Osteuropa blieb vom Insolvenzanstieg nicht verschont: Hier gab es insgesamt fast 65.000 Unternehmensinsolvenzen, ein Plus von 8 Prozent gegenüber 2022. Ungarn war dabei für einen Großteil des Zuwachses verantwortlich. In sechs von zwölf untersuchten Ländern wie Kroatien und Lettland gingen die Fallzahlen allerdings auch zurück.
Die Studie sieht trotz verbesserter Eigenkapitalausstattung vieler Unternehmen zunehmende Risiken durch die restriktivere Geldpolitik der Zentralbanken, schwache Konjunktur und geopolitische Spannungen. Mit einer schnellen Trendumkehr bei den Insolvenzen sei daher vorerst nicht zu rechnen.