2020: Extremwetter und 41 Millionen Vertreibungen weltweit

Indiens Premierminister Narendra Modi besieht die Schäden des Zyklons Amphan, 22. Mai 2020. Foto: Prime Minister's Office; Govrenment of India. Lizenz: India GODL

IDMC-Bericht über Binnenflucht: Wetterbedingte Ereignisse, vor allem Stürme und Überschwemmungen, waren für 98 Prozent aller Vertreibungen verantwortlich

Der Zyklon Amphan hinterließ schwere Zerstörung in Indien, Sri Lanka und Bangladesch, war Ende vergangenen Jahres an dieser Stelle in einer düsteren Jahresbilanz der Energie- und Klimawochenschau zu lesen (Wirbelstürme, Überschwemmungen, Waldbrände und Heuschreckenplagen). Ende 2020 rechnete die NGO Christian Aid die Schäden in US-Dollars um: Amphan wurde als der teuerste tropische Wirbelsturm des Jahres bezeichnet, "mit Schäden in Höhe von mehr als 13 Milliarden Dollar".

Die Frage ist, was solche Milliarden-Dollar-Summen in diesen Zeiten noch bei Lesern an Reaktionen ausrichten. Schulterzucken? Resignation? Erleichterung, dass diese Katastrophe fernab geschah? Oder doch Beunruhigung? Mitgefühl?

Jetzt legt eine andere NGO, das Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC), das sich, wie es der Name schon sagt, zur Aufgabe gemacht hat, Fluchtbewegungen innerhalb von Ländern zu beobachten, eine andere Bilanz vor. Auch sie hat es mit großen Zahlen zu tun. In ihrem aktuellen Bericht, dem Global Report on Internal Displacement 2021 schreibt sie von geschätzt rund fünf Millionen "Displacements", auf Deutsch: erzwungenes Verlassen der eigenen Wohnstätte - Vertreibung, infolge des Zyklons Amphan in Bangladesch, Bhutan, Indien und Myanmar. Das berührt das Vorstellungsvermögen zur Katastrophe in einer anderen Weise. Fünf Millionen Vertriebene wären in etwa die Einwohnerschaft von Berlin und München zusammengerechnet.

Während nun hierzulande die Naturkatastrophen meist mit dem Verschwinden der News auch in den Köpfen der meisten Menschen hier in Vergessenheit geraten und irgendwie mit dem tröstlichen Gedanken verbucht werden, dass die durch den Zyklon aus ihren Häusern Gejagten hoffentlich bald wieder in wiederaufgebaute Heimstätten zurückkehren, ist die Realität Tausende Kilometer entfernt eine andere.

"Entgegen der landläufigen Meinung sind nicht alle Evakuierten in der Lage, nach wetterbedingten Katastrophen in ihre Häuser zurückzukehren, da es an Ressourcen für den Wiederaufbau von Häusern oder Infrastruktur fehlt. Einige bleiben für Jahre oder sogar Jahrzehnte vertrieben", heißt es dazu in einem Bericht von Le Monde.

55 Millionen Binnenvertriebene weltweit zählt der aktuelle IDMC-Bericht (Kartenübersicht hier). Das sei eine Rekordzahl. 48 Millionen derjenigen, die in ihrem Land gezwungenermaßen aus ihren Heimstätten geflüchtet sind, taten dies aufgrund von Konflikten und Gewalt. Geschätzt sieben Millionen taten dies aufgrund von Umweltkatastrophen. Das ist der eine Teil der Bilanz des Internal Displacement Monitoring Centre.

Der andere beziffert die Zahl der Vertreibungen. Da ein und dieselbe Person, mehrmals dazu gezwungen sein kann, ihre oder seine Behelfsunterkunft wieder aufzugeben, gibt sie nicht die Anzahl der Vertriebenen wider, sie ist ein Indiz dafür, wie instabil die Lage in dem Land ist. Sie fällt mit 40,5 Millionen im letzten Jahr (siehe Kurzfassung des Berichts) höher aus als in den Jahren letzten Jahrzehnt.

Das Augenmerk des Berichts lag diesmal auf den Fluchtbewegungen infolge von extremen Wetterereignissen und das Ergebnis ist eindeutig, wie der Generalsekretär der Norwegischen Flüchtlingshilfe (die mit der IDMC kooperiert), Jan Egeland zu Protokoll gibt:

Wetterbedingte Ereignisse, vor allem Stürme und Überschwemmungen, waren für 98 Prozent aller Vertreibungen infolge von Katastrophen verantwortlich. Intensive Perioden mit Zyklonen in Nord- und Südamerika, Südasien sowie Ostasien und dem Pazifik und ausgedehnte Regenzeiten im Nahen Osten und in Afrika südlich der Sahara entwurzelten Millionen von Menschen. (…) Die atlantische Hurrikansaison war mit dreißig Stürmen, die Namen bekamen, die aktivste seit Beginn der Aufzeichnungen, darunter die Hurrikane "Iota" und "Eta", die zwölf Länder in Mittelamerika und der Karibik trafen.

Jan Egeland

Dieser Trend wird sich mit dem Klimawandel, der Extremereignisse häufiger und intensiver werden lässt, noch verstärken, so die Befürchtung und der Alarm, den die NGO mit ihrem Bericht auslösen will. Wobei man im Bericht die Zusammenhänge vorsichtiger formuliert: "Der Klimawandel steht in Wechselwirkung mit vielen demografischen, historischen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Faktoren. Er löst nicht unbedingt direkt eine Vertreibung aus, ist aber ein zusätzlicher Stressor."

Der Bericht appelliert an die Staaten, Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen. Rechtliche Rahmenbedingungen müssten angepasst werden. Verwiesen wird auf Bangladesch. Dort habe man 2015 mit einer nationale Strategie zur Bewältigung von Binnenvertreibungen im Zusammenhang mit Umweltkatastrophen begonnen. Dazu gehörten Unterstützungsmaßnahmen in Wohnungsfragen. Wie erfolgreich diese Maßnahmen sind, ist nicht klar zu sagen. Wie das Beispiel Amphan vor Augen führte, ist die Reichweite der Hilfe begrenzt.