25 Millionen verteilt: Demokratie-Experiment der BASF-Erbin kann nur Impuls sein

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Vier von 50 repräsentativ ausgewählten Ratsmitgliedern: Elisabeth Klein, Dietmar Feurstein, Kyrillos Gadalla und Angelika Taferner (v.l.n.r.) Foto: Hanna Fasching

Ein "Guter Rat" hat 25 Millionen von Marlene Engelhorn an 77 Organisationen verteilt. Restlos befriedigend ist das Ergebnis nicht. Das war erwartbar. Ein Kommentar.

Es ist vollbracht: An sechs Wochenenden trafen sich 50 zufällig ausgewählte Personen, die ein möglichst genaues demografisches Abbild der österreichischen Gesellschaft bieten sollten, um über die sinnvolle Verwendung der 25 Millionen Euro zu entscheiden, die von der BASF-Erbin Marlene Engelhorn zur "Rückverteilung" freigegeben worden waren.

Millionen für Soziales, Gewaltschutz und Umwelt

77 Organisationen profitieren nun davon – darunter Projekte für benachteiligte Kinder und Jugendliche sowie für Menschen mit Behinderung, mehrere Frauenhäuser und Umweltinitiativen.

Die "Ratsmitglieder" bekamen für ihre Arbeit eine Aufwandsentschädigung und wurden laut Projektleiterin Alexandra Wang "von einem achtköpfigen Moderator:innenteam begleitet und von Wissenschaftler:innen und Expert:innen aus verschiedenen Bereichen beraten".

Die letztlich mit den Geldern beachten Organisationen konnten sich nicht bewerben, wurden aber geprüft, nachdem sie nach Anfrage des "Guten Rats für Rückverteilung" Bilanzen vorgelegt hatten.

Macht durch Vermögen: Kein gutes Gefühl?

Marlene Engelhorn war es wichtig, sich selbst von der "Macht" ihres Vermögens zu befreien, die ihr nach eigenen Worten nicht zusteht, denn sie bekam die Millionen leistungslos vererbt und musste nicht einmal Steuern dafür zahlen. Die AfD-Forderung in Deutschland wurde in Österreich nämlich schon längst Wirklichkeit: Die Erbschaftssteuer wurde im Jahr 2008 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben.

Engelhorn sieht darin eine gesellschaftliche Ungerechtigkeit, die es zu überwinden gilt. Gleichwohl muss sie einräumen, dass sich einfach keine parlamentarische Mehrheit für höhere Besteuerung von Vermögen und insbesondere Erbschaften finden lässt.

Deshalb der "Gute Rat", der mit gutem Beispiel vorangehen sollte, um zu zeigen, wie viel Gutes sich mit ererbtem Geld tun lässt. Ohne dass die Erben Macht ausüben, indem sie allein über die Verwendung entscheiden. Egal, wie gut es gemeint ist.

Kein Geld für Industrielle und Brauchtum

Dass die Industriellenvereinigung bei der Verteilung durch den Rat leer ausging, wird niemanden überraschen. Ihre Arbeit mag gesellschaftlich sinnvoll sein, aber die Ratsmitglieder durften annehmen, dass sich eine Vertretung von Industrieunternehmen schon irgendwie selbst finanzieren kann.

Warum allerdings auf der Liste keine Brauchtumsvereine bedacht wurden, wäre eine Frage. Als gelernter Österreicher beantwortet man die so: "Weil die eh von der ÖVP gestopft werden."

Ist das alles irgendwie links?

Nun ist aber just einer der höchsten Beträge, nämlich gut 1,2 Millionen Euro, an das Momentum Institut überwiesen worden. Dieser linke Think-Tank hat nicht nur recht ähnliche Ziele (Umverteilung, Klima, Steuern, Demokratie) wie Engelhorn selbst, sondern Alexandra Wang, die Projektleiterin des "Guten Rates" war auch noch bei diesem Institut angestellt.

Das Momentum Institut wiegelt ab: Es bestehe keine Geschäftsbeziehung mehr zu Frau Wang, die aber pikanterweise genau bis August 2023 als Fundraiserin für Momentum gearbeitet hat und seit September 2023 eben für den guten Rat. Eine blitzsaubere Optik wird das nicht mehr. Die Mitglieder des Rates waren allerdings über diesen Sachverhalt informiert.

Nun ist Österreich ein kleines Land und das Publikum darf sich häufig wundern, dass immer wieder die gleichen Murmeltiere grüßen. Das gilt für die linke Reichshälfte genauso wie für die rechte. Wer Kompetenzen erworben hat und gut vernetzt ist, bekommt neue attraktive Jobs, die immer im Zusammenhang mit der eigenen Weltsicht stehen.

Wäre ein Gegner von Reichensteuern die Idealbesetzung?

Einfach gefragt: Hätte Engelhorn einen rechten, der FPÖ nahestehenden Burschenschafter mit der Organisation des "Guten Rates" beauftragen sollen – oder zumindest jemanden, der erklärtermaßen Erbschaftssteuern ablehnt, um über jeden Verdacht erhaben zu sein?

Dennoch darf festgehalten werden, dass es dem "Guten Rat" nicht gelungen ist, ein strukturelles Problem zu lösen. "Unabhängigkeit" oder "Überparteilichkeit" sind meist nur Worte. In Wahrheit sind fast alle Menschen "punziert", wie man dies in Österreich nennt, das heißt, sie stehen ideologisch erkennbar links oder rechts.

Die unfaire Vermögensverteilung sollte eigentlich als gravierendes Problem sowohl von linken als auch von rechten Bürgern erkannt werden. Sorge bereitet diese Ungerechtigkeit aber scheinbar nur den Linken.

Geldverteilung nach Gießkannenprinzip

Etwas zeigt der "Gute Rat" sehr deutlich auf: Gesellschaftlich wichtige Arbeit, die von vielen der 77 Organisationen ganz konkret übernommen und nicht nur propagiert wird, ist chronisch unterfinanziert. Genau deshalb müsste es eben eine höhere Vermögenssteuer oder eine "Reichensteuer" geben, oder wie auch immer man diese Umverteilungsmaßnahmen nennen möchte.

Nur wirkt die Ausschüttung ein wenig so, als wäre das Vermögen Engelhorns nicht mehr als ein Platzregen in der Wüste. Umweltorganisationen, soziale Einrichtungen und Institutionen, die sich um eine Ausweitung der Demokratie bemühen, erhalten einen warmen Geldregen und gehen – im schlimmsten Fall – zwei Jahre später pleite.

Ohne Frage dürfen sich die Frauenhäuser über die wichtige Geldspritze freuen oder auch die mit jeweils gut 50.000 Euro bedachten Straßenzeitungen. (Offenlegung: Der Autor dieser Zeilen hat für eine dieser Straßenzeitungen gearbeitet.) Aber die Gelder finanzieren diese gesellschaftlich wichtige Arbeit nicht dauerhaft.

Hoffnung: Inspiration oder Druck auf Superreiche

Es ist auch fraglich, ob sich andere Millionenerben von Engelhorn inspiriert fühlen werden oder vielleicht sogar einen gesellschaftlichen Druck zu spüren bekommen. In den USA besteht dieser Druck auf Reiche und Vermögende zumindest in Ansätzen. Die Upperclass inszeniert sich und rechtfertigt sich durch ihre Wohltätigkeit.

Aber eine Charity-Lady will Engelhorn ja gerade nicht sein. Dann hätte sie die Engelhorn-Oper oder das Engelhorn-Institut gründen können und damit eine neue Einrichtung stiften, die dauerhaft einen lokalen Kulturmangel oder einen sozialen Missstand behebt, beziehungsweise mildert. Engelhorn will die demokratische Gesellschaft weiterentwickeln und wünscht, dass die Umverteilung gesetzlich festgeschrieben wird.

Dazu fehlt dem "Guten Rat" allerdings die zündende Idee. Die meisten Menschen in Österreich und wohl auch in Deutschland fänden mehr Umverteilung gut. Ihre politischen Vertreter stehen allerdings ganz offenkundig unter dem Einfluss reicher und dadurch mächtiger Spender, die nie müde werden, Gründe dafür zu finden, warum Umverteilung wirtschaftlich schädlich wäre.

Großer Wurf in Sachen Gerechtigkeit: Historische Beispiele

Dieser Kampf zwischen sozialen Interessen der Vielen und den Gewinnmöglichkeiten der Wenigen ist hinlänglich bekannt. Um eine andere Dynamik zu erzeugen, reicht es kaum aus, ein Potpourri an bestehenden Organisationen zu alimentieren. Der große Wurf läge in einer spürbaren gesellschaftlichen Veränderung, wie sie beispielsweise durch die Einführung der Sozialversicherung erreicht wurde.

Oder das "Lastenausgleichsgesetz" der deutschen Nachkriegsjahre. Das wurde von der Bevölkerung gut verstanden und allgemein mitgetragen. Kurzversion: Ob eine Bombe im Zweiten Weltkrieg das eigene Haus zerstört hat, war logischerweise eine Frage des zufälligen Schicksals. Deshalb sollten eben jene, die Glück gehabt hatten und intakte Häuser besaßen, denen helfen, deren Haus zerstört worden war.

Dieser unmittelbare gesellschaftliche Zusammenhang fehlte dem "Guten Rat" und ist deshalb nicht ohne gewisse Widersprüche politisch vertretbar. Fast allen ist bewusst, dass sich Frauenhäuser, Naturschutzinitiativen oder Straßenzeitungen nicht "am Markt" finanzieren lassen. Die soziale Arbeit, die gerade auch von Straßenzeitungsprojekten geleistet wird, ist notwendig auf Spenden angewiesen.

Aber über eine Spende entscheiden die Spendenden nach Gutdünken und geben dem, was sie für sinnvoll erachten. Anders gesagt, sie haben genau jene "Macht", die Engelhorn loswerden wollte.

Recht statt Gnade: Wofür Reiche zahlen müssten

Daraus kann kein gesellschaftlicher Vertrag entstehen, der garantiert, dass das, was sinnvoll ist, auch dauerhaft bezahlt wird. Der "Gute Rat" müsste deutlich machen, dass, wer beispielsweise aus Profitstreben die Natur schädigt oder ihr etwas entnimmt, dafür auch aufkommen muss.

"Muss" und nicht "darf", wen ihr oder ihm gerade danach ist, etwas "zurückzugeben". Aber dafür fehlen dieser Initiative selbstverständlich die gesetzlichen und demokratiepolitischen Möglichkeiten. Somit ist alle Arbeit des "Guten Rates" nur eine einmalige Geste.

Wenn Durschnittsmenschen Millionen verteilen

Ein bisschen haftet dem Rat auch das Geschmäckle der Elitenfeindlichkeit an. Warum hat Engelhorn nicht ein Gremium von Menschen, die sich lebenslang mit Fragen der Reichtumsverteilung beschäftigt haben, einberufen? Waren Vorarlberger Rentner oder Wiener Jugendliche – das Alter der Ratsmitglieder lag zwischen 16 und 85 Jahren – mit dieser Aufgabe nicht notwendig überfordert?

Es ist wichtig, Menschen ernst zu nehmen, denn dann wachsen sie gerne über sich hinaus. Sie entscheiden oftmals überraschend moralisch und sozial kompetent. Nur, ab einem bestimmten Punkt fehlt ihnen einfach das nötige Wissen, das herbeigerufene Experten an sechs Wochenenden nicht vermitteln können.

Außerdem sind die Ratsmitglieder tagtäglich der dünnen Diät ausgeliefert, die ihnen von den Massenmedien verabreicht wird. Manche der Äußerungen der Ratsmitglieder wirken somit zwar liebenswürdig, aber auch ein wenig possierlich. Viele Mitglieder verstehen vor allem die Mildtätigkeit des Projekts und weniger den demokratiepolitischen Ansatz.

Das Kämpferische fehlte der Aktion

Dadurch wird die Aktion auch für den konservativen Medienboulevard goutierbar, weil ihr die linke Schärfe und das Kämpferische fehlt – das Selbstbewusstsein, deutlich Missstände anzuprangern. Kurioserweise bedient damit diese linke Aktion konservative Gemütslagen, die sich mit den Machtverhältnissen arrangiert haben und meinen, ein paar Almosen würden reichen, um die Welt in Ordnung zu bringen.

Das Verhalten dieser einen sonderlichen Millionärin wirkt somit im oberflächlichen Blick irgendwie nett, aber auch ein bisschen sinnlos. Die von ihr sehr wohl angeprangerten Machtstrukturen können ungestört weiter im Hintergrund schalten und walten.

Dieser schale Beigeschmack bleibt, auch wenn sich die nun bedachten Initiativen zu Recht sehr freuen dürfen. Nicht nur über das Geld, sondern auch über eine gewisse mediale Aufmerksamkeit.

Neid und Missgunst in Kommentarspalten

Allerdings, ein üppiges Maß an Neid weht jetzt auch durch Österreichs Kommentarspalten. Die Vorstellung scheint vielen Menschen unerträglich zu sein, dass Organisationen einfach Geld "geschenkt" bekommen, während sie zugleich kommentarlos akzeptieren, dass riesige Vermögen vererbt werden.

Dieses Geld wird nicht nur ebenso steuerfrei geschenkt, sondern die Erben wissen bei zwei- oder dreistelligen Millionensummen oft gar nicht, was sie Sinnvolles damit anfangen könnten.

Sie verunglücken in ihrem "Klassenschicksal" und mampfen Austern auf Hochseejachten, einfach weil das alle in ihrer Peergroup so machen – und fragen sich vielleicht gar nicht, ob ihnen die glitschigen Schalentiere wirklich schmecken.

Die Zwänge der armen Reichen

Mitleid muss an dieser Stelle selbstverständlich nur in kleiner Dosis ausgezahlt werden, auffällig ist allerdings schon, wie homogen und offenkundig von gesellschaftlichen Zwängen geplagt sich reiche Menschen gebärden, denen doch eigentlich die Welt "zu Füßen liegen" müsste.

Vielleicht hat auch gerade deshalb Engelhorn so viel Widerspruch erfahren. Sie lässt erahnen, dass ein Erbe, also das Geschenk eines unerwarteten (oder je nach Familie erwartbaren) Reichtums keineswegs pure Glückseligkeit liefert.

Die richtige Dosis finanzieller Unabhängigkeit, die es ermöglicht in der Erwerbsarbeit dem Chef oder der Chefin ein herzliches "Gehabt Euch Wohl" zuzurufen und sich mit überschaubarer Sorge einen neuen Job zu suchen, ist möglicherweise erstrebenswerter als das nur vermeintliche Glück, nie mehr arbeiten zu müssen. Wer weiß?