71.400.000 cm2 Heldenboden

Uwe Seeler bewirbt WM-Rasenstücke aus dem Berliner Olympiastadion

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

"Rosicht, wie die Morgenstunde / Freundlich, wie ein Paradies" - Gottfried August Bürger hat diese zwei Zeilen an eine gewisse Molly gerichtet; hätte er aber die Pressefotos des Hauses Quelle mit dem sich darauf befindlichen Uwe Seeler vor sich gehabt, seine Wortwahl wäre keine andere gewesen.

Man möchte ihn permanent knuddeln, diesen Uns Uwe (Euch Uwe für Paulifans), wie er - ganz Teddybär mit Haarausfall - im Berliner Olympiastadion Rasenstücke im angestrengten Überschwange triumphierend in die Kamera reckt. Teils wird Herr Seeler dabei flankiert von einem jungen Mann im Trikot der deutschen Nationalmannschaft, dessen Frisur ihn sofort für eine Rolle im Marienhof oder in ähnlichen Sendeformaten qualifizieren sollte, und einer vorgeblichen Brasilianerin (wohl Mulattin und natürlich feurig) im grün-gelben Dreß, der erwartungsgemäß etwas knapper ausfällt, so viel Klischee muß sein. Diese beiden dürfen auch schon mal allein aufs Bild, sofern sie gleichermaßen euphorisch Rasenstücke beschnüffeln. Aber warum tun Menschen ein Solches? Und warum geht Uwe sogar mit dem Spaten auf das satte Berliner Grün los?

Die Antwort schlägt ein wie eine Arschbombe vom Beckenrand: Quelle verkauft jetzt Rasen, im rechteckigen Ausschnitt (30 x 20 cm) und eingegossen im (oder wie der Fachmann laut Quelle sich ausdrückt: "praktiziert" in einen) Acrylblock (14 x 8 x 5 cm). Präziser: Quelle wird Rasen verkaufen und zwar den des Berliner Olympiastadions nach dem Endspiel der Fußballweltmeisterschaft, also den "Original Rasen vom WM-Finale". Dass das nicht nur eine "Spitzenidee" (U. Seeler) sondern auch ein "botanisches", "logistisches" und etc. pp. Meisterwerk ist, und die Acrylblockpraktizierung nur "in einem für Europa einzigartigen Verfahren" gelingen kann, versteht sich hierbei von selbst, schließlich ist vorher ja auch noch nie jemand auf diese einzigartige (Spitzen-)Idee verfallen (beim F.C. St. Pauli konnte man vor geraumer Zeit den Rasen vom Millerntor nur pachten, vermutlich weils dort mit dem Praktizieren noch gehapert hat).

So geht dank Quelle für alle diejenigen, die rechtzeitig reservieren, einer der letzten unerfüllten Träume der Menschheit endlich in Erfüllung: Für nur 75 EUR erhalten die Besteller die "heiligste Trophäe", den "heiligen Boden", ein "Heiligtum", den "Heldenboden", den "Teppich der Weltstars" oder was dem Hirn des Quelle-Texters an heiligem Blödsinn noch so entwichen ist. Und gut fühlen darf man sich auch dabei, denn 100.000 EUR vom Erlös gehen an die Uwe-Seeler-Stiftung. Dagegen läßt sich zunächst nichts sagen, doch will das alles einmal durchgerechnet sein: Das Olympiastadion hat laut Quelle eine Fläche von 105 x 68 m, das sind 71.400.000 cm2. Die angebotenen Rasenstücke weisen eine Fläche von 600 cm2 respektive 112 cm2 auf. Geht man davon aus, dass in etwa gleichviel praktizierte wie nicht praktizierte Rasenstücke bestellt werden, ergibt sich ein Mittelwert von 356 cm2.

Es könnte somit gelingen, maximal 200.562 Rasenstücke zu gewinnen, was einem Umsatz von 15.042.134 EUR entspräche. Gestehen wir zu, dass nicht der gesamte Rasen nach dem Turnier verwertbar sein dürfte, und setzen wir z.B. nur 180.000 Portionen an, so sind es immer noch 13.500.000 EUR. Hat das Uns Uwe seine Frau, von der wir ja wissen, dass sie seine wichtigste Beraterin ist, nicht durchgerechnet? Das noch als karitativ hinzustellen grenzt ja schon an Seeler-Mißbrauch.

Apropos Seeler, schön und gut - aber ein Geschäft solchen Ausmaßes, eine derartige (Spitzen-)Idee, der Verkauf des golden Vlieses der Fußballherrlichkeit - sollte das nicht ER bewerben? Wo ist ER, der Lichtkaiser, die Giesing-Gestalt, der Meister aller Klassen und Kolumnen, der Ich-bin-schon-da-Igel der deutschen Werbewirtschaft? Der ist zwar eigentlich genausowenig weltgewandt wie der Uwe, tut dafür aber permanent so als ob. An der fehlenden Stiftung kann es nicht liegen, die Franz-Beckenbauer-Stiftung ist schnell daher gegoogelt und mindestens so unterstützenswert wie die Uwe-Seeler-Stiftung, jetzt aber wirklich und unbedingt mal ganz ehrlich - lobenswert ist das! Kann der kaiserliche Beraterstab besser rechnen und fordern ("Unter 1 Mio. für die Stiftung läuft gar nichts!")? Ist der Wahlkitzbühler generell zu teuer, hatte er keine Zeit, wirbt er schon für die Konkurrenz, die den heiligen Heldenboden der Münchener Allianz-Arena verscherbelt, oder fand er die Idee am Ende gar nicht sooo spitze?

So lange diese Fragen nicht geklärt sind, bleibt der fade Beigeschmack, warum wir uns dieses absolut beste Fanprodukt aller Zeiten von der zwar sympathischeren (nur Herr Seeler darf Pelé so betonen wie "Seele": "Ich sach mal Peele.") aber trotzdem nur zweiten Garde des deutschen Fußball-Olympes verkaufen lassen sollten. Niemand nimmt George Lazenby, wenn er auch Sean Connery haben kann. So wird das nichts, Herr Quelle, üben sie erst mal mit dem Fürther Playmobil-Stadion, dessen Rasen will auch keiner haben.