Abbau der Demokratie
Staatliche Willkür in den USA - Teil 2
Im ersten Teil (Staatliche Willkür) habe ich versucht zu zeigen, dass die Bedrohung durch den Terrorismus von der Politik und den Medien extrem aufgebauscht wird. Allein die Zahl der Verkehrsopfer übersteigt die Zahl der Terroropfer weltweit etwa um das Zweihundertfache. Und die Opfer unter der Zivilbevölkerung des sogenannten „Krieges gegen den Terror“ übersteigen die direkten Opfer durch Terroranschläge noch um das Fünfzigfache. Würde wirklich der Schutz von Menschenleben im Visier der Politik stehen, hätte sauberes Trinkwasser für alle Menschen oberste Priorität der internationalen Politik.
Die Zahl der Opfer durch Terroranschläge ist jedoch unbestreitbar gestiegen. Aber dies ist eher eine Folge des angeblichen Krieges „gegen den Terror“, der bei genauerer Betrachtung die internationale Terrorgefahr aber weiter dramatisch angeheizt hat.
Der Krieg gegen den Terror ist meines Erachtens vor allem ein medialer Krieg. Er dient der Legimitation einer neo-imperialen Politik der USA, einer Politik, von der wir eigentlich schon glaubten, dass sie überwunden wurde (Sicherheit als einzige Antwort auf den Terror?). Und es ist eine zunehmend menschenverachtende Politik, die auch vor den eigenen Landesgrenzen nicht halt macht.
Willkommen im Imperium des 21. Jahrhunderts
Schon bei der Einreise in die USA fühlt man sich an alte Zeiten des Transitverkehrs erinnert. Die Stimmung ist die eines Polizeistaates. Das soll jetzt noch besser werden. Künftig dürfen private Unternehmen über Schicksale von Menschen entscheiden, ganz im Stil der neuen Zeit des globalen Turbokapitalismus (Gläsern, aber dafür schneller und teurer).
Aber nicht nur an der Grenze sind die Auswüchse der derzeitigen Panikmache deutlich zu spüren, sondern im ganzen Land herrscht inzwischen ein Klima der Einschüchterung. In den USA hat die Terrorwelle längst auch auf den politischen Alltag übergegriffen: Friedens- und Umweltgruppen werden vom FBI überwacht, Reporter, die über Gesetzesbrüche der Regierung berichten, werden kurzerhand des Geheimnisverrats bezichtigt und vom Justizministerium verfolgt Und die Menschen werden mit Email- und Telefonüberwachung verängstigt.
Im Land der Erfinder der Freiheit steht es nicht mehr gut mit den Bürgerrechten. Leute, die anderer Meinung sind, werden einfach als potentielle Terroristen ausgekanzelt und damit ökonomisch und psychisch gebrandmarkt.
Beispielsweise James Moore, Autor des Buches „Bush’s Brain: How Karl Rove Made George W. Bush Presidential“. In einem Blog der Huffington Post beschreibt Moore, wie er eines Morgens am Flughafen feststellen muss, dass er auf einer der Terrorlisten der amerikanischen Bundesregierung steht. Es wird ihm weder gesagt, warum er auf dieser Liste steht, noch was er tun kann, damit er von dieser Liste wieder gestrichen wird. Nicht einmal gerichtliche Schritte gegen diese Maßnahme sind ihm möglich. Denn alles ist geheim und darf nicht veröffentlicht werden. Er kann nur vermuten, dass es seine kritische Haltung gegenüber der Regierung ist, die ihm dieses Danaergeschenk eingebracht hat. Inzwischen sollen bereits über 80.000 Menschen auf dieser Liste stehen.
Ein anderes Beispiel: Polizisten schüchtern einen Kriegsveteranen ein, der in einer Radioshow Bush als Lügner bezeichnet. Kurz nachdem Doug Stout, ein 77-jähriger Kriegsveteran, in einer Radioshow Bush heftig kritisiert hatte, schwirrte ein Helikopter über seinem Grundstück, die Beamten stiegen aus und durchsuchten sein Land - ohne Durchsuchungsbefehl oder auch nur einer Erklärung. Sie verschwanden nach einiger Zeit wieder, ohne ein Wort zu sagen. Bis heute hat er keine offizielle Stellungnahme zu dem Vorfall erhalten. Stout hat schon öfters seinem Ärger über den Präsidenten Luft gemacht und gehört zu einer Reihe von regelmäßigen Anrufern bei einer lokalen Radio-Show in Albany, Ohio. Er nennt Bush „a lying dog of a President”.
Das Erschreckende ist, dies sind keine Einzelfälle. Es gibt Hunderte weiterer Beispiele wie Bürgerrechte von der derzeitigen amerikanischen Regierung systematisch unterdrückt und eingeschränkt werden. Devvy Kidd nennt in ihrem Blog einige weitere und macht auf die totalitären Tendenzen in den USA aufmerksam.
Gleitet Amerika in eine Diktatur?
In einer Rede vor der American Constitution Society und der Liberty Coalition hat der ehemalige Präsidentschaftskandidat Al Gore bereits im Januar dieses Jahres in unmissverständlicher Weise vor der Gefahr eines Abgleitens der amerikanischen Republik in ein totalitäres Regime gewarnt: „Albert Gore denounces the totalitarianism that’s casting its shadow over the United States.“
Dabei kritisierte er vor allem das kurz vorher erstmals bekannt gewordene Programm der Bush-Regierung, amerikanische Bürger vorbei an allen Gesetzen auszuhorchen (Umfassender Lauschangriff auf US-Bürger):
As we begin this new year, the executive branch of our government has been caught eavesdropping on huge numbers of American citizens and has brazenly declared that it has the unilateral right to continue without regard to the established law enacted by Congress precisely to prevent such abuses. It is imperative that respect for the rule of law be restored in our country.
Er nutzte die Gelegenheit, den Tag, an dem Martin Luther King geehrt wird, auf die Folgen der derzeitigen Regierungspolitik hinzuweisen. Denn Martin Luther King und seine Gruppe wurden in den letzten Jahren seines Wirkens vom FBI intensiv ausgehorcht. Die Regierung der USA versuchte damals, ihn mit den aus der Überwachung gewonnenen Erkenntnissen zu diskreditieren, seine Ehe zu zerrütten und sogar ihn in den Selbstmord zu treiben. King wurde vom FBI als der gefährlichste Führer der schwarzen Bevölkerung bezeichnet und man wollte ihn unbedingt auf die eine oder andere Art kalt stellen.
Es war unter anderem die Aufdeckung dieser Mafia-Methoden der damaligen US-Regierung gegenüber einem Mann, der in den USA heute als Held gefeiert wird, die zu der danach folgenden Einführung von gesetzlichen Restriktionen bei möglichen Überwachungsmaßnahmen der Regierung führte. Der Foreign Intelligence and Surveillance Act (FISA) wurde daraufhin mit großer Mehrheit vom amerikanischen Kongress beschlossen. Darin wurde ausdrücklich festgelegt, dass ein unabhängiges Gericht jegliche Überwachung genehmigen muss.
Bush hat sich mit dem jetzt scheibchenweise bekannt gewordenen Programm zur Telefonüberwachung klar gegen dieses Gesetz gestellt. War es anfangs nur die Überwachung von Auslandsgesprächen, sind es jetzt auch die Verbindungsdaten eines Großteils aller amerikanischen Telefonanschlüsse und deren Inlandsgespräche, die protokolliert werden. Man kann eigentlich getrost davon ausgehen, dass auch weitere Kommunikationsmittel, wie Email und Internetverbindungen, aber vielleicht auch medizinische Daten, Unterschriften bei Petitionen, Zugehörigkeit zu Friedens- oder Umweltgruppen etc. von der amerikanischen Regierung ausgewertet werden.
Nachdem Bush nun mehrfach bei derartigen gesetzeswidrigen Abhörpraktiken erwischt worden ist, will er trotzdem einfach damit fortfahren. Er stellt sich damit nicht nur gegen die amerikanische Verfassung und ein vom Kongress beschlossenes Gesetz, sondern will auch noch weiter das Gesetz brechen. Und wie es scheint, wird ihn niemand daran hindern.
Es wirkt schon fast lächerlich, wenn man bedenkt, dass damals Präsident Clinton wegen eines kleinen Sex-Skandals in ein Impeachment-Verfahren geriet, jetzt aber, wo tatsächlich schwerwiegende Verstöße gegen die Verfassung zur Debatte stehen, nichts weiter passiert.
Bush argumentiert, dass die Überwachung zur Abwehr von terroristischen Angriffen notwendig ist. Und er sieht die rechtliche Grundlage in erweiterten Vollmachten, die er vom amerikanischen Kongress zur Terrorabwehr nach dem 11. September 2001 erhielt.
Wie bereits im Dezember letzten Jahres ein Blogger schrieb, entwickelt sich der 11. September für Bush immer mehr zu einem Geschenk des Himmels (The Gift that keeps on giving). Und tatsächlich wäre die derzeitige Politik der Bush-Regierung ohne den 11. September vollkommen unvorstellbar. Das gilt sowohl für den Irak- und Afghanistan-Krieg, als auch für die erheblichen innenpolitischen Veränderungen (z.B. den Patriot Act oder die Zusammenlegung aller Geheimdienste), bis hin zum jetzt bekannt gewordenen Abhörskandal.
Die Argumentation von Bush zur Rechtfertigung seiner Abhörpraktiken ist überdies absurd. Die bestehenden Vorschriften geben der Regierung bereits im Rahmen des FISA-Gesetzes die Möglichkeit, Überwachungen ad hoc durchzuführen und erst nachträglich das Gericht über diese Maßnahmen zu informieren. Offenbar zieht die amerikanische Regierung es jedoch vor, lieber im Dunkeln, jenseits jeglicher Kontrolle zu operieren. Zumindest wird neben der angeblichen Abwehr des Terrorismus damit auch versucht, Gegner der Regierung auszuhorchen oder zumindest zu verunsichern. Außerdem besteht mit diesem unkontrollierten Überwachungsprogramm auch die Möglichkeit, politische Kontrahenten kompromittierbar zu machen. Viele Beobachter wundern sich ja schon länger, angesichts der zahmen Haltung der Demokraten im Kongress. Hat die Bush Regierung den Kongress mittels Geheimdienstmethoden bereits unter ihre Kontrolle gebracht?
Jedenfalls werden Beamte der Regierung, die die Rechtmäßigkeit der Abhörpraktiken in Frage stellen, einfach ausgeschaltet oder aus ihrem Job verdrängt. Jetzt ist sogar die Untersuchung des Justizministeriums zu den Abhörpraktiken der Regierung gestoppt worden. Das Argument: Die Beamten des Justizministeriums hätten von der NSA keine Sicherheits-Freigabe bekommen. Das heißt, nicht einmal die eigene Regierung darf die Vorfälle wegen Sicherheitsbedenken weiter untersuchen.
Dazu noch einmal Al Gore, der seinen Vortrag mit den Worten schließt:
If his (Bush’s) attempt to dramatically expand executive power goes unquestioned, then our constitutional design of checks and balances will be lost. And the next president or some future president will be able in the name of national security to restrict our liberties in a way the framers would never have imagined possible.
Dabei waren es eigentlich gerade die schlechten Erfahrungen mit den tyrannischen europäischen Herrscherhäusern, die die Väter der amerikanischen Verfassung zu eben dieser Gewaltenteilung veranlasst haben. Oder wie Ray McGovern in seinem neuesten - sehr lesenswerten - Artikel Bowing to the Police State schreibt:
When the writers of the Constitution envisioned a separation of powers to ensure checks and balances in our government, they were relying on the leaders of those branches to fight to maintain their own power within the system. Fresh from the struggle against King George, they could not have predicted that some of our leaders would voluntarily sign away their own rights to another George who would be king.
Es ist jedoch gerade der Erfolg des amerikanischen Freiheitsmodells, das zumindest der westlichen Welt einen nie dagewesenen Wohlstand verschafft hat. Nicht nur die Erfahrungen des letzten Jahrhunderts haben deutlich gezeigt, dass jede Form von repressiven Staatssystemen langfristig die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung lähmen: Die Menschen gehen einfach in die „innere Emigration“.