Abnickverfahren und die Hingezogenheit zu Religionen

Anatomie eines teilweise verfassungswidrigen BKA-Gesetzes - Teil 2

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Der internationale Terrorismus

Anders als die Beschwerdeführer sah das Gericht den Begriff des "internationalen Terrorismus" nicht als mehrdeutig und nicht der Normenklarheit entsprechend an. Vielmehr wäre dieser Begriff bereits hinreichend durch die Aufgabenbeschreibung des § 4a Abs. 1 BKAG und dessen Verweis auf § 129a Abs. 1, 2 StGB in enger Anlehnung an den EU-Rahmenbeschluss vom 13. Juni 2002 und die internationale Begrifflichkeit1 auf spezifisch charakterisierte Straftaten von besonderem Gewicht begrenzt. Straftaten mit dem "Gepräge des Terrorismus" seien stets darauf ausgerichtet, eine Destabilisierung des Gemeinwesens zu erreichen, wobei sie in rücksichtsloser Instrumentalisierung anderer Menschen Angriffe auf Leib und Leben beliebiger Dritter umfassen. Sie richten sich gegen die Grundpfeiler der verfassungsrechtlichen Ordnung und das Gemeinwesen als Ganzes. Ferner sei das Gesetz auch dazu geeignet, dem Ziel, dem internationalen Terrorismus zu begegnen, zu entsprechen, und die Kompetenzrichtlinien, die die Beschwerdeführer rügten, seien nicht verletzt worden. Doch bei all den Maßnahmen seien stets auch die Erforderlichkeit und Geeignetheit zu beachten. Diesen Anforderungen genüge das Gesetz vielfach nicht.

Hingezogenheit zu fundamentalistischen Religionen

Überwachungsmaßnahmen, so das Gericht, können auch dann erlaubt werden, wenn zwar noch nicht ein seiner Art nach konkretisiertes und zeitlich absehbares Geschehen erkennbar ist, jedoch das individuelle Verhalten einer Person die konkrete Wahrscheinlichkeit begründet, dass sie solche Straftaten in überschaubarer Zukunft begehen wird. Als Beispiel führten die Richter eine Person an, die aus einem terroristischen Ausbildungslager nach Deutschland einreise. Doch, und dies ist hinsichtlich der oft geäußerten Ansicht, jeder, der mit dem fundamentalistischen Islam sympathisiere oder sich zu ihm hingezogen fühle, sei automatisch verdächtig, wichtig: Die Erkenntnis über eine solche Hingezogenheit zu fundamentalistischen Religionen allein ist nicht ausreichend, um Überwachungsmaßnahmen zu rechtfertigen. Dies ist eine deutliche Absage an die vage Interpretation des Begriffes des Gefährders.

Kontakt zu Verdächtigen

Der reine Kontakt zu einem Verdächtigen reicht ferner laut Urteil nicht aus, um auch die Kontaktperson durch heimliche Maßnahmen zu überwachen. Zwar könnten Ermittlungsmaßnahmen mit geringer Eingriffstiefe durchgeführt werden, um zu erfahren, ob sich so Begründungen für Maßnahmen mit höherer Eingriffstiefe finden lassen, automatisch aber tiefgreifende Maßnahmen auch auf Kontaktpersonen auszudehnen entspreche nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es sei stets darauf zu achten, dass es eine spezifische individuelle Nähe der Betroffenen zu der aufzuklärenden Gefahr oder Straftat gibt. Es bedürfe zusätzlicher Anhaltspunkte, dass der Kontakt einen Bezug zum Ermittlungsziel aufweist und so eine nicht unerhebliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass die Überwachungsmaßnahme der Aufklärung der Gefahr dienlich sein wird, um heimliche Maßnahmen rechtfertigen zu können. Ermittlungen, die lediglich darauf abzielen, zu erfahren, ob sich irgendwelche Gründe für eine Überwachung finden lassen, seien nicht verfassungskonform.

Auch hier hat das Gericht noch einmal klar bestimmt, dass der Gesetzgeber dem BKA nicht einfach Kompetenzen geben darf, die eine Überwachung ins Blaue hinein ermöglichen oder jeglichen Kontakt zu Verdächtigen bereits als Grund für tiefgreifende Überwachungsmaßnahmen definieren.

Eigenverantwortlichkeit beim Richtervorbehalt

Den Richtervorbehalt sah das oberste Gericht noch einmal als unabdingbar für eine effektive Kontrolle des BKA an. Die Richter gaben dabei dem BKA wie auch den Landesverwaltungen für Justiz sowie deren Präsidenten eine Hausaufgabe: die Schaffung der notwendigen sachlichen und personellen Voraussetzungen dafür, dass der Richtervorbehalt nicht zu einem bloßen Abnickverfahren verkomme. Es sei nicht nur unerlässlich, dass diejenigen, die eine Anordnung auf eine Überwachungsmaßnahme vorlegen, vollständigen Informationen seitens der antragstellenden Behörde über den zu beurteilenden Sachstand vorlegen; auch der Richter sei verpflichtet, sich eigenverantwortlich ein Urteil darüber zu bilden, ob die beantragte heimliche Überwachungsmaßnahme den gesetzlichen Voraussetzungen entspricht.

Diese Entscheidung ist als direkte Reaktion auf das rhetorische Spiel mit den überlasteten Richtern zu sehen, die vorgeschoben werden, um den Richtervorbehalt auszuhöhlen. Der Idee, durch finanzielles Ausbluten die Hüter der Grundrechte zum Unterschreibautomaten mutieren zu lassen und damit die Grundrechte einer finanziellen Räson zu opfern, haben die Karlsruher Richter noch einmal deutlich eine Absage erteilt.

Der Kernbereich der privaten Lebensführung

Die Besprechung und Planung von Straftaten gehört ihrem Inhalt nach nicht zum Kernbereich privater Lebensgestaltung, sondern hat Sozialbezug. Dieser Satz klingt auf den ersten Blick selbstverständlich, doch die weitere Ausführung der Richter zeigt, wie schwierig es ist, die Abgrenzungen zwischen dem Sozialbezug und dem höchstpersönlichen Kernbereich, der vor Überwachung geschützt werden soll, zu treffen. So geht das Urteil auf die Problematik der Gespräche mit Geheimnisträgern ein, indem es formuliert: "Ein höchstpersönliches Gespräch fällt nicht schon dadurch aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung heraus, dass es für die Aufklärung von Straftaten oder Gefahren hilfreiche Aufschlüsse geben kann. Aufzeichnungen oder Äußerungen im Zwiegespräch, die zum Beispiel ausschließlich innere Eindrücke und Gefühle wiedergeben und keine Hinweise auf konkrete Straftaten enthalten, gewinnen ebenfalls noch keinen Gemeinschaftsbezug, wenn sie Ursachen oder Beweggründe eines strafbaren Verhaltens freizulegen vermögen. Auch können trotz Straftatenbezugs Situationen, in denen es Einzelnen gerade ermöglicht werden soll, ein Fehlverhalten einzugestehen oder sich auf dessen Folgen einzurichten, wie Beichtgespräche, vertrauliche Gespräche mit einem Psychotherapeuten oder einem Strafverteidiger, der höchstpersönlichen Privatsphäre unterfallen, die dem Staat absolut entzogen ist."

Die Wichtigkeit der Möglichkeit für (potentielle) Täter, sich ihren Vertrauenspersonen gegenüber auch aussprechen zu können, ohne eine Überwachung zu befürchten, wird noch einmal durch diesen Passus betont. Der Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung ist strikt und darf nicht durch Abwägung mit den Sicherheitsinteressen nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes relativiert werden, schreiben die Richter, nur um im nachfolgenden Satz zu erläutern, dass dies nicht bedeute, dass jede tatsächliche Erfassung von höchstpersönlichen Informationen stets einen Verfassungsverstoß oder eine Menschenwürdeverletzung begründet. Doch Maßnahmen, die ausdrücklich dem Eindringen in diese privateste Sphäre dienen, könnten nicht einfach aus einer vagen Einzelfallentscheidung heraus getroffen werden.

Dieser Teil des Urteils zielt nicht nur auf die Vorschaltung einer umfassenden Prüfung hinsichtlich der möglichen Eingriffe in den Kernbereich der privaten Lebensführung ab, die sich durch eine Überwachungsmaßnahme ergeben könnten, er schreibt auch noch einmal deutlich vor, dass es bei diesen Eingriffen eine zweistufige Kontrolle geben muss. Im Vorgriff müsse Sorge getragen werden, dass die Maßnahme nur dann erfolgt, wenn sie wirklich nicht vermieden werden kann, bei der Auswertung und Verwertung der erhobenen Daten seien die Folgen eines dennoch nicht vermiedenen Eindringens in den Kernbereich privater Lebensgestaltung strikt zu minimieren. Für den Fall, dass die Erhebung der Daten des Kernbereiches nicht zu vermeiden sei, müsse sie eine unabhängige Stelle sichten und die entsprechenden Daten herausfiltern. Dabei kann auf die Sichtung durch eine unabhängige Stelle umso eher verzichtet werden, je verlässlicher schon auf der ersten Stufe die Erfassung kernbereichsrelevanter Sachverhalte vermieden wird und umgekehrt.

Die Pflicht der Strafverfolgung, bei allen Überwachungsmaßnahmen den Kernbereich der privaten Lebensführung zu achten und in die Überlegungen, welche Maßnahmen sich eignen, einzubeziehen, ist von den Richtern in Karlsruhe somit ebenfalls noch einmal in aller Klarheit formuliert worden. Zwar ließen sich Regelungen bezüglich der Gefahr im Verzug treffen, dies entbindet die Strafverfolgung jedoch nicht von der grundsätzlichen Verpflichtung.

Mehr Personal für den Datenschutz

Die Gewährleistung einer wirksamen aufsichtlichen Kontrolle setzt zunächst eine mit wirksamen Befugnissen ausgestattete Stelle - wie nach geltendem Recht die Bundesdatenschutzbeauftragte - voraus. Angesichts der Kompensationsfunktion der aufsichtlichen Kontrolle für den schwach ausgestalteten Individualrechtsschutz kommt deren regelmäßiger Durchführung besondere Bedeutung zu und es sind solche Kontrollen in angemessenen Abständen, deren Dauer ein gewisses Höchstmaß, etwa zwei Jahre, nicht überschreiten darf, durchzuführen.

Diese zwei Sätze beinhalten, wenn auch versteckt, eine Rüge an jene, die die Datenschutzbeauftragte, ähnlich wie beim Richtervorbehalt, personell und auch in Bezug auf Befugnisse, eher ausbluten lassen, als ihre Wichtigkeit durch finanzielle und personelle Mittel zu betonen. Um die vom Gericht angegebene Dauer der Kontrollabstände einzuhalten, wird eine bessere Ausstattung der Bundesdatenschutzbeauftragten notwendig werden.

Andrea Voßhoff hat das Urteil dementsprechend auch als Bestätigung für ihre Forderungen nach Verbesserung der datenschutzrechtlichen Kontrollmöglichen angesehen. "Mit seinem Urteil hat das Gericht erneut einen weiteren Meilenstein für den Datenschutz und für das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit vorgelegt. [...] Die Forderung des Gerichts nach turnusmäßigen Pflichtkontrollen sowie Berichtspflichten gegenüber Parlament und Öffentlichkeit belegen, dass auch wichtige Aufgaben wie die Terrorismusbekämpfung in einem Rechtsstaat nur in den Grenzen der Verfassung erfolgen dürfen. Das Urteil hat insoweit Grundsatzcharakter für den gesamten Sicherheitsbereich."

Dies zeigt sich auch in den deutlichen Beurteilungen der Richter, was das BKAG angeht. "Die angegriffenen Ermittlungs- und Überwachungsbefugnisse sind in verschiedener Hinsicht auch hinsichtlich der weiteren, gleichartig an sie zu stellenden Anforderungen nicht mit der Verfassung vereinbar. Es fehlt an flankierenden Regelungen, ohne die die Verhältnismäßigkeit dieser Eingriffe nicht gewahrt ist."

Datenaustausch und Menschenrechte

Komplette juristische Analysen des Urteils werden in den nächsten Monaten sicherlich zahlreich zu finden sein, doch ein Aspekt soll hier noch angesprochen werden, da er nicht nur in Bezug auf den Datenaustausch von großer Tragweite ist.

Zum Thema Datenaustausch mit anderen Staaten haben die Richter sich eindeutig positioniert, indem sie festschrieben, dass die Datenübermittlung zwingend auszuschließen ist, wenn zu befürchten ist, dass elementare rechtsstaatliche Grundsätze verletzt werden. Der Gesetzgeber habe ferner dafür Sorge zu tragen, dass der Grundrechtsschutz durch eine Übermittlung der von deutschen Behörden erhobenen Daten ins Ausland und an internationale Organisationen ebenso wenig ausgehöhlt wird wie durch eine Entgegennahme und Verwertung von durch ausländische Behörden menschenrechtswidrig erlangten Daten.

Eine solche Formulierung ist eine klare Beurteilung der Frage, ob z.B. durch Folter erlangte Daten verwendet werden dürfen. Die Richter haben es sich nicht nehmen lassen, hier noch sozusagen "einen draufzulegen" und schrieben: "Keinesfalls darf der Staat seine Hand zu Verletzungen der Menschenwürde reichen."

Dieser Satz dürfte, auch wenn er sich hier nur auf den Datenaustausch bezieht, auch in anderen Bereichen des Öfteren zitiert werden. Gerade auch hinsichtlich der Frage, inwiefern z.B. mit der Türkei beim Thema Flüchtlinge zusammengearbeitet werden sollte, bleibt offen, wie sich dies mit der von den Richtern formulierten Absolutheit in Bezug auf die Ablehnung von Menschenrechtsverletzungen verträgt. "Wir sollten nicht der Schiedsrichter beim Thema Menschenrechte für die ganze Welt sein", hat der Bundesinnenminister vor kurzem erst in Bezug auf die Türkei festgestellt. Die Verfassungsrichter haben diesbezüglich eine sehr klare Meinung geäußert.

In Teil 3 wird es darum gehen, dass die Reaktionen auf die Entscheidung zum BKA-Gesetz symptomatisch für den Umgang mit den Grundrechten sind