Ärzte, Katholiken und Umweltschützer geißeln Biopatente
Mit der am Freitag vor Pfingsten veröffentlichten "Erklärung von Berlin" steht der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries in Sachen europäische Biopatentrichtlinie erneut Ungemach ins Haus
In der Sache nichts Neues, im Timing aber brisant: Am Freitag vor Pfingsten haben die Bundesärztekammer, die Umweltschutzorganisation Greenpeace und das katholische Hilfswerk Misereor erneut lautstark an die Bundesregierung appelliert, auf die Umsetzung der so genannten Biopatentrichtlinie oder der Richtlinie 98/44, wie sie im Amtseuropäisch heißt, zu verzichten. Der Hintergrund: Bundesjustizministerin Brigitte Zypries macht seit Anfang des Jahres verstärkt Druck. Ihr Ministerium hat angekündigt, noch vor der Sommerpause einen Gesetzentwurf im Bundestag einzubringen, der die Richtlinie eins zu eins umsetzen soll. Genau das wird von der pharmazeutischen und biotechnologischen Industrie seit Langem gefordert.
Der erste Versuch eines solchen Gesetzentwurfs war im Juni vergangenen Jahres kurz vor der geplanten Einbringung in den damaligen Bundestag zurück gezogen worden. Angesichts starker öffentlicher Bedenken war der ersten rotgrünen Bundesregierung das Thema kurz vor der Wahl wohl zu brisant gewesen.
Biopatentrichtlinie in Deutschland: Seit Jahren ein Eiertanz
Die Biopatentrichtlinie wurde am 6. Juli 1998 von Europarat und Europäischem Parlament erlassen und im Juni 1999 in das Europäische Patentübereinkommen aufgenommen. Im Kern legalisiert sie die Praxis, Patente auf (mit Anwendungen verknüpfte) Gensequenzen und andere "lebendige" Produkte zu erteilen. Das Europäische Patentamt in München arbeitet bereits nach dieser Richtlinie (Europäisches Patentamt gibt Patentierung von Pflanzen und Tieren frei).
England und die Mehrzahl der übrigen europäischen Staaten haben die Richtlinie umgesetzt. Die anderen, allen voran Deutschland und Frankreich, zögern. Während jedoch in Frankreich der Widerstand bis hoch zum Staatspräsidenten reicht, sind deutsche Regierungspolitiker der Richtlinie eher zugeneigt. Nicht so der Bundestag.
Kontrovers sind vor allem die Absätze 16 und 20. Absatz 16 bekräftigt den Grundsatz,
wonach der menschliche Körper in allen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung (...) sowie die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile oder Produkte, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines menschlichen Gens, nicht patentierbar sind.
Absatz 20 schränkt das dann wieder ein. Er besagt, dass
eine Erfindung, die einen isolierten Bestandteil des menschlichen Körpers oder einen auf eine andere Weise durch ein technisches Verfahren erzeugten Bestandteil betrifft und gewerblich anwendbar ist, nicht von der Patentierbarkeit ausgeschlossen ist, selbst wenn der Aufbau dieses Bestandteils mit dem eines natürlichen Bestandteils identisch ist.
Richtlinienkritik auf schwierigem Terrain: Was ist Leben? Wo fängt Natur an?
Die jetzt veröffentlichte Erklärung von Berlin enthält im Kern wenig Neues. Im Einklang mit einem Statement der Enquete-Kommission des letzten Bundestages zu "Recht und Ethik der modernen Medizin" vom 25. Januar 2001 hat die Bundesärztekammer (BÄK) in Person ihres Vorsitzenden Jörg-Dietrich Hoppe bereits ziemlich genau vor einem Jahr lautstark klar gemacht, dass sie Patente auf DNA-Sequenzen oder Lebewesen ablehne, weil es sich dabei nicht um erfinderische Leistungen handele (Patente auf Erzeugung menschlicher Körperteile oder tiefgekühltes Sperma). Genau dies wurde jetzt wiederholt. Orchestriert wird die Berliner Erklärung allerdings von einem etwas markigeren Aufsatz des stellvertretenden Hauptgeschäftsführers der BÄK, Otmar Kloiber, im "Rheinischen Ärzteblatt", der die Argumente der Richtliniengegner noch einmal zusammenfasst.
Neben einer moralischen Ablehnung von "Patenten auf Leben" führt Kloiber vor allem die mit einer Patentierung verbundene Geheimhaltung von Forschungsergebnissen vor der Erteilung eines Patents an. Dies, so Kloiber und Hoppe, behindere den medizinischen Fortschritt. Ob diese These innerhalb des forschenden Teils der deutschen Ärzteschaft mehrheitsfähig ist, darf bezweifelt werden.
Allerdings wurde in jüngster Zeit wiederholt selbst in großen Wissenschaftszeitschriften Kritik an der gegenwärtigen Patentierungswut laut. Diese Kritik bezog sich jedoch nicht so sehr auf biologische Patente, sondern generell auf die zunehmend gängige und in der Tat fragwürdige Praxis, einzelnen Wissenschaftlern Patente auf die Ergebnisse öffentlich finanzierter Forschung zu erteilen. Ein Kommentar in der Zeitschrift "Nature Materials" etwa trug kürzlich den Titel "Read patents, not just papers" [Lesen Sie Patente, nicht nur (Zeitschriften-)Artikel].
DNA: Stoff oder nicht Stoff, das ist hier die Frage...
Diese Einwände hat Justizministerin Zypries zuletzt am 27.März 2003 in einem Vortrag vor dem Nationalen Ethikrat als "weitgehend ungerechtfertigt" bezeichnet.
Im Einklang mit den Richtlinienbefürwortern aus der Industrie stützt Zypries sich vor allem auf zwei Argumente. Erstens sei die Richtlinie nur eine Harmonisierung, keine radikale Veränderung der herkömmlichen Patentierungspraxis. Das ist im Kern richtig, und auch einige Kritiker haben das mittlerweile erkannt. So ist es zum Beispiel seit langem üblich, künstlich hergestellte "natürliche" Stoffe zu patentieren, Humaninsulin etwa. Wohl deswegen dehnt Kloiber in seinem aktuellen Artikel seine Kritik auf alle so genannten "Stoffpatente" aus.
Das Prinzip hinter den Stoffpatenten ist, dass ein (natürlicher) Stoff dann als Erfindung eingestuft wird, wenn er mit einem technischen Prozess verbunden ist. Das trifft auf künstliche Hormone oder Proteine zu und soll nun auch auf DNA-Sequenzen ausgedehnt werden.
Einige Kritiker versuchen, an dieser Stelle zu differenzieren und bezeichnen DNA-Patente im Gegensatz zu Patenten auf Proteine oder Hormone als "strategisch" oder "spekulativ", will sagen: Man patentiert eine Sequenz für den Fall, dass sich daraus eine Anwendung ergeben könnte. Tatsächlich erteilen aber weder das von den Ärztevertretern viel gescholtene Europäische Patentamt noch andere Patentämter Patente auf reine Gensequenzen, sondern - genauso wie bei Eiweißen und Hormonen - immer auf Sequenzen in Verbindung mit einer Anwendung.
Ein Beispiel sind die vieldiskutierten Brustkrebsgene BRCA1 und BRCA2, die von der Firma Myriad nicht als Gene per se, sondern zusammen mit einem Gentest patentiert wurden. Wer nun mit der Sequenz (kommerziell) arbeiten will, der muss sich von Myriad eine Lizenz einkaufen, genauso wie sich eine Firma eine Lizenz für ein patentiertes Hormon erkaufen muss, wenn sie dieses Hormon für einen anderen als den patentierten Zweck einsetzen will.
Kurz gesagt: Wer die spätestens seit den 70er Jahren gängige Patentierungspraxis bei Hormonen, Proteinen und anderen künstlich hergestellten Naturstoffen in Ordnung findet, der kommt in arge argumentative Schwierigkeiten, wenn er sich gegen Genpatente aussprechen möchte.
Das zweite Argument, das Zypries den Patentgegnern entgegen hält, ist ein rechtliches: Die Bundesregierung könne gar nicht anders, als die Richtlinie umsetzen. Täte sie es nicht, verstöße sie einerseits gegen europäisches Recht, zum anderen gegen das so genannte TRIPS-Abkommen, ein internationales Handelabkommen, dass sich mit dem Schutz geistigen Eigentums auseinander setzt.
Alles in allem sind die Argumente wohl im Wesentlichen ausgetauscht. Durch Einbeziehung aller Stoffpatente in die Kritik an "Patenten auf Leben" ist die von Ärztevertretern, vielen Kirchenfunktionären und Umweltgruppen vertretene Kontraposition jetzt konsistenter, aber dadurch auch um einiges radikaler geworden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Extremposition (Abschaffung der Stoffpatente) national oder international durchsetzen lässt, ist gleich Null.
Ob das im Interesse der Patienten wünschenswert wäre, ist ohnehin fraglich. Dieter Laudien etwa, leitender Patentanwalt bei dem Pharmakonzern Boehringer Ingelheim und Vorsitzender der Ausschüsse für gewerblichen Rechtsschutz beim Bund der deutschen Industrie (BDI) weist darauf hin, dass Stoffpatente an sich bislang nie kritisiert wurden und demnach offenbar ihren Zweck erfüllt haben. Der besteht darin, biologische Forschung in marktreife Produkte, sprich: Arzneimittel, zu verwandeln, ein Job, den Unternehmen in der Regel besser beherrschen als reine Forscher. Kein Pharmaunternehmen sei zudem daran interessiert, wie eine Glucke auf einem Patent zu sitzen, denn, so Laudien:
Wer eine neue Anwendung für ein patentiertes Gen erfindet, kann sie auch gewerblich nutzen, wenn er vom Inhaber des Stoffpatents eine Lizenz erwirbt. Er kann auf die Anwendung sogar selbst ein Patent anmelden. So funktioniert das etwa bei synthetischen Arzneimitteln, und es gibt da eigentlich nie Probleme. Die gegenseitige Patentabhängigkeit wird in der Regel durch wirtschaftliche Vereinbarungen, etwa Kreuzlizenzen, Substanzlieferung oder eine gemeinsame Vermarktung zum Wohl beider Seiten gelöst.
Alles halb so wild also? Vielleicht. Interessant bleibt allemal, wie der Bundestag abstimmt, wenn Zypries die Vorlage wirklich noch vor der Sommerpause einreicht. In ihrer Rede im März hat sie bereits einen Köder ausgeworfen, der die Richtlinie durchs Parlament bugsieren soll: "Natürliche menschliche Gensequenzen" möchte sie als Zugeständnis an den Bundestag aus dem Gesetz heraus halten. Dies sei auch mit der EU-Kommission machbar, so Zypries. Nur: Was heißt schon natürlich?