AfD-Blaupause im Nachbarland: Von Kickl lernen heißt siegen lernen?

In Österreich gibt es seit Jahrzehnten eine große Partei, die als in Teilen rechtsextrem gelten darf. Archivbild: János Korom Dr. / cc-by-sa-2.0

Rechtes Establishment: In Österreich läuft der Wahlkampf an. Die FPÖ und Parteichef Kickl geben die Themen vor. Kann er schon Kanzler? Ein Kommentar.

Wo steht die AfD in wenigen Jahren – und ist Österreich eigentlich Deutschland voraus? Mit der FPÖ gibt es dort eine Partei, die seit fast vier Jahrzehnten als große Partei gelten darf und die zumindest in Teilen offen rechtsextremistisch agiert.

Sie regiert in Landesregierungen mit, sie konnte mit Jörg Haider bereits einen Landeshauptmann stellen und war in diesem Jahrhundert bereits zwei Mal an Bundesregierungen beteiligt. Jeweils in Regierungskoalitionen mit der ÖVP. Könnte so die Zukunft der AfD aussehen, nachdem der Widerstand der Konservativen gebrochen ist?

Die FPÖ ist etabliert, sie ist aber nicht in der Mitte der Gesellschaft. Das lässt sich mit einem Alltagsbeispiel illustrieren. Eine Musikkapelle, die sich dazu entscheidet auf einer FPÖ-Veranstaltung zu spielen, bejaht ihr Karriereende offensiv. Auf anderen Veranstaltungen werden sie kaum mehr zu hören sein.

Der Geruch, den die Partei nicht loswird

Der FPÖ haftet unausmerzbar ein Hautgout an, den der österreichische Satiriker Manfred Deix treffend als "pfui-gack" bezeichnet hat; ein volkstümlicher Ausdruck des Abscheus. Die Partei selbst weiß am wenigsten, wie sie diesen Geruch abschütteln könnte. Deshalb ist das Nervenkostüm von FPÖ-Funktionären immer hauchdünn.

Vor einigen Tagen kommentierte in der niederösterreichischen Provinz (auch dort regiert die FPÖ in der Landesregierung mit) ein grüner Gemeinderat das Wahlverhalten eines FPÖ-Mitgliedes mit den burschikosen Worten: "Der Nazi stimmt dafür".

Kein Nazi sein trotz brauner Denke: Der ewige Spagat

Die Reaktion der FPÖ war überschäumend, man fühlte sich maßlos in der eigenen Ehre gekränkt. Allerdings ist hiermit keineswegs jene "Ehre" gemeint, die laut SS-Parole "Treue heißt", und in FPÖ-Kreisen immer mal wieder unvorsichtig geäußert wird.

Das zeigt wie tief die Spaltung sitzt. Selbstverständlich will man als FPÖ-Funktionär kein "Nazi" sein, findet aber manches am Nationalsozialismus schon irgendwie gut. Das äußert sich in den berüchtigten "Einzelfällen", wenn wieder wem ein "Sager" herausgerutscht ist, der ein bisschen zu braun war.

Die nazistischen, oder latent-nazistischen Aussagen werden dann zwar zurückgenommen, aber niemals inhaltlich bekämpft. Wenn man sagt, dass man etwas nicht sagt, heißt das ja noch lange nicht, dass man es falsch findet. Diese Spaltung findet sich auch unter den Wählerinnen und Wählern. Man gibt es selten oder nie zu, aber man wählt die FPÖ dann doch.

Die rechten Reime des Spitzenkandidaten

Bei der nächsten Nationalratswahl im Herbst könnte die FPÖ unter ihrem Parteivorsitzenden Herbert Kickl mehr als 30 Prozent der Stimmen einfahren. Und dass, obwohl Kickl eher so etwas wie eine Notlösung an der Spitze der FPÖ ist.

Frühere Parteichefs wie Jörg Haider oder Heinz-Christian Strache waren persönlich viel überzeugender, wurzelten aber unverkennbar in einer gewissen Halbwelt. Der biedere Kickl ist hier durchaus in einem guten Sinn etwas langweiliger, nur macht ihn das noch lange nicht seriös.

Nahezu alles, was Kickl sagt, ist weitgehend substanzlos. Der studierte Philosoph hat unter Strache und Haider mitgeholfen, die FPÖ zu dem zu machen, was sie heute ist: Eine Art Werbeagentur für rechte und rechtsextreme Deutungsmuster.

Kickl ist der Reimeschmied, der für Preziosen wie "Daham statt Islam" oder "Wiener Blut – zu viel Fremdes tut niemand gut" mitverantwortlich ist. Bei der Wortwahl dieser Sprüche zeigt sich die gleiche Spaltung. Es wird immer mal wieder zurückgerudert, um dann im nächsten Wahlkampf die mehr oder weniger gleichen Slogans zu schalten.

Wahlkampf ohne Koalitionsaussicht: Parallele zur AfD?

Diese rhetorische Taktik ist bierzelterprobt: Stell Dir den Dümmsten im Publikum vor und sprich zu ihm. Das passt vorzüglich zur betont antiintellektuellen Haltung der FPÖ. Von Klimawandel bis zu Corona: Das sind alles nur Erfindungen von "Eliten", die wollen, dass "wir" uns schlecht fühlen.

Nur, an der Stelle merkt man auch ohne Hochschulabschluss, dass sich so kein Staat machen lässt. Man muss schon ein paar Dinge einschätzen und daraus Konsequenzen ziehen können.

Herbert Kickls FPÖ steht sich hier zuverlässig selbst im Weg. Da man fürchtet, dass die programmatische Arbeit und am Ende sogar Kompromissbereitschaft im Wahlkampf schadet, gibt man sich unnachgiebig.

Der Kanzler nannte ihn rechtsextrem

Alle anderen politischen Parteien, einschließlich der ÖVP, haben bereits überraschend deutlich eine Regierungszusammenarbeit mit Herbert Kickl ausgeschlossen. ÖVP-Chef und Kanzler Karl Nehammer bezeichnete Kickl sogar als rechtsextrem.

Die FPÖ stürzte dies in einen argumentativen Taumel. FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker sieht die FPÖ nun mangels Koalitionsoptionen in einer "Koalition mit den österreichischen Bürgern". Was immer das bedeuten soll. Eine Außenseiterrolle, die im Wahlkampf allerdings gut ankommt: "Alle (die sogenannten Systemparteien) sind gegen uns."

Für Kickl und Co. ist der Vorwurf des Rechtsextremismus aktuell besonders plagend, weil man befürchtet damit Stimmen in der Mitte zu verlieren. Aber wofür hat man eine Werbeagentur mit pfiffiger Wortschmiede? Kickl: "Wir sind nicht rechtsextrem, wir haben nur extrem oft recht."

Ja genau. Ein typisches Wortspiel bei dem oberschlau die Worte "recht" und "rechts", die inhaltlich nichts miteinander zu tun haben, aufgrund ihres Gleichklangs vermischt werden. Selbst wenn man dies einmal spielerisch ernst nimmt, bleibt die Frage: Wo hat die stets rechts argumentierende FPÖ denn recht gehabt?

Der Rechtspopulismus drückt auf die Stimmung

Das lässt sich allein deshalb nur schwer sagen, weil sie sich zu Sachproblemen kaum positioniert. Als ihre Hauptthese darf gelten, dass zu viele "Fremde" schlecht für Österreich sind?

Nun sind es aber, seitdem Jörg Haider 1986 die FPÖ übernommen und rechtspopulistisch ausgerichtet hat, von Jahr für Jahr immer mehr Fremde gekommen. Mittlerweile hat jeder fünfte Mensch, der in Österreich lebt, eine ausländische Staatsbürgerschaft.

Wenn man das so unendlich schlimm findet und Konzepte wie jene der Remigration propagiert – was Herbert Kickl zumindest indirekt tut – dann muss der Nachweis geführt werden, dass Österreich jetzt am Boden liegt. Dieser "Nachweis" kommt allerdings bei breiten Teilen der Wahlbevölkerung nicht gut an und wird auch nicht geglaubt.

Rechte Wirtshausreden und Frustwähler, die nicht hinhören

Deshalb zeigt sich bei der FPÖ ein typischer Effekt des heutigen Rechtspopulismus. Die Popularität der FPÖ und namentlich die von Herbert Kickl steigt, je weniger die Bevölkerung von dem Kandidaten tatsächlich mitbekommen.

Kickls Wirtshausreden sind – ohne Frage – sehr erfolgreich. Die Menschen klopfen ihm die Schulter weich und grölen, ob der rechten Sprüche. Aber das ist nur ein relativ überschaubarer Kreis. Weit entfernt von jenen mehr als 29 Prozent, die die FPÖ bei den nächsten Wahlen einfahren könnte.

Ein Großteil der FPÖ-Wähler will im Grunde gar nicht so genau wissen, was Kickl vorhat und er erscheint ihnen in ihrer losen Erinnerung viel wählbarer als in der Realität. Der Wahlzuspruch der FPÖ ist meist ein Frustbarometer. Deshalb ist die beste Wahlhilfe für die FPÖ das Gebaren der anderen Parteien. Wirken diese verzagt, widersprüchlich, streitsüchtig oder orientierungslos, dann punkten die Blauen.

Migration: Die große Massenflucht kommt erst

Die Entwicklung der nächsten Jahrzehnte ist eindeutig und – so darf man sagen – naturwissenschaftlich belegt. Teile der Erdkugel werden unbewohnbar werden. Das hat sich die Menschheit schon längst eingebrockt. Hunderte Millionen Menschen werden aus den Tropen und Subtropen wegziehen müssen und ein neues Leben im Norden beginnen.

Das kann mit bürgerkriegsähnlichen Zuständen einhergehen oder zivilisiert und solidarisch passieren.

AfD und FPÖ mit den Köpfen im Sand

Herbert Kickl, die FPÖ in Österreich oder die AfD in Deutschland haben keine Antworten auf diese enorm wichtigen Zukunftsfragen. Sie haben ihre Köpfe metertief im Sand vergraben und säuseln lieber ein Lied von Heimat und Schutz vor dem bösen Fremden.

Die politische Hauptaufgabe der nächsten Jahre wird darin liegen, die gesellschaftliche Mehrheiten von diesem dumpfen, rechten Eskapismus wegzuführen und ihnen ein erwachsenes, verantwortungsvolles Leben zu ermöglichen.

Herbert Kickl und seine Werbeagentur für rechte Sprüche ist hierbei ein enormer Stolperstein, weil sich auch immer wieder karrierebezogene Politiker-Persönlichkeiten aus anderen Parteien am Stil Kickls orientieren.