AfD gegen Kultur: Ein aussichtsloser Kampf

Rechte greifen Künstler an und wünschen sich mehr Heimat-Kunst - und entlarven sich dabei nur selbst. Ein Kommentar

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Im Mai 2017 besuchte ich das Chaostheater in Aachen. Unter der Regie von Reza Jafari brachte das junge Ensemble das Stück "Heiliger Krieg" auf die Bühne. Da ging es um die Verzweiflung von Müttern, deren Kinder sich dem Islamischen Staat (IS) angeschlossen haben und in den Krieg gezogen sind, aber auch um Ausgrenzung und Rassismus im bundesdeutschen Alltag.

Nicht nur das Stück wollte ich sehen, sondern auch mit Regisseur Jafari sprechen, der Hassmails von einem AfD-Sprecher erhielt, dem es nicht gefiel, dass auf der Bühne ein Vergleich der Mentalitäten von Islamisten und Rechtsradikalen gezogen wurde. Ich berichtete damals für die taz darüber. Jafari und sein Team knickten nicht ein vor dem Druck von rechts - im Gegenteil, sie fühlten sich in der Wichtigkeit ihrer Arbeit bestätigt.

Seither nehmen die Angriffe der AfD und anderer rechtsradikaler Gruppierungen auf die deutsche Kulturlandschaft zu. Die AfD macht keinen Hehl daraus, dass ihr die gerade dort gelebte Interkulturalität ein Dorn im Auge ist, stört sich an ausländischen Künstlerinnen und Künstlern auf deutschen Bühnen und wünscht sich mehr Heimattümelei und Lokalpatriotismus. Die Süddeutsche Zeitung und die ARD haben nun neben den Vorgängen in Aachen vor zwei Jahren eine Vielzahl ähnlicher Vorfälle zusammengetragen und zeigen, wie groß das Ausmaß inzwischen ist.

Das muss erschrecken - aber kaum verwundern. Die Kultur und das freie Wort sind immer die ersten Opfer überall dort, wo Antidemokraten nach der Macht greifen. Das Ergebnis ist stets verheerend. Egal ob man ins Dritte Reich blickt, in Erdogans Türkei oder in jedes andere Land, das repressiv regiert wird, man findet das gleiche Bild: Gefängnisse voller Künstler und Journalisten, Zensur und obendrein eine "saubere" Kunst im Sinne der Mächtigen. Es ist angesichts all der nun gesammelten Vorfälle nicht schwer vorstellbar, dass es genau das ist, was auch unseren hiesigen Rechtsradikalen vorschwebt.

Aber man muss sie schonmal vorsorglich enttäuschen: An der deutschen Kunst- und Kulturszene werden sie sich die Zähne ausbeißen!

Die Aktionen und Drohungen, die in aller Regel rassistisch motiviert sind, sind ja nicht nur selbstentlarvend. Sie demonstrieren auch wieder einmal, dass am rechten Rand niemand begreift, was Kunst und Kultur eigentlich sind. Noch nie ist es diesem Klientel selbst gelungen, Kunst zu produzieren, die etwas taugt, und wenn sich doch mal Künstler in ihre Reihen verirren, sind es talentfreie Nieten, die sich im Frust darüber, abgelehnt worden zu sein, jenen andienen, die ohnehin kulturlos sind.

Patriotische Kunst?

Schon Goethe verabscheute patriotische Kunst, erteilte der "National-Literatur" eine Absage zugunsten der "Welt-Literatur", die sich nur entwickeln kann, indem Autorinnen, Autoren, Künstlerinnen und Künstler aus unterschiedlichen Ländern und Kulturen in Austausch miteinander treten. Goethes Vorstellung, die sich damals, im Jahr 1827, erst in zaghaften Ansätzen zeigte, ist heute längst gelebte Realität.

Ich erinnere mich noch gut an die Lesung des französischen Journalisten Pascal Manoukian aus seinem beeindruckenden Roman Nachtvögel im Literaturhaus Köln im letzten Jahr, die ich moderieren durfte. In dem Buch verarbeitet er die Erfahrungen von Flüchtlingen aus mehreren Ländern, deren Wege sich in Villeneuve-le-Roi kreuzen. Ein Werk, das sich stellenweise wie ein Kommentar zu den Flüchtlingsdebatten unserer Zeit liest, dabei spielt es in den frühen Neunzigern - und nimmt die Perspektive der Betroffenen ein, die Manoukian aus seiner Arbeit bestens kennt.

Nach der Veranstaltung kamen zwei etwas empört dreinschauende alte weiße Herren zu mir und beschwerten sich, dass der Autor ja gar nichts Negatives über Flüchtlinge gesagt hätte. Ich hätte meine Zeit damit verschwenden können, ihnen zu erklären, dass es nicht Aufgabe eines Schriftstellers ist, ihre Vorurteile zu bestätigen, und dass sie in dieser Erwartungshaltung besser zu einer Sarrazin-Lesung gegangen wären. Aber ich ersparte es mir. Wann hat es je was gebracht, mit Rechten zu reden?

Die anregendsten Gespräche in der ersten Hälfte des laufenden Jahres verdanke ich der iranischen Bestsellerautorin Fariba Vafi, die im April ihren neuen Roman "Der Traum von Tibet" in Köln vorstellte und danach noch ein paar Tage in der Stadt blieb, bis es zur nächsten Lesung nach Wien ging. Kaum einer Schriftstellerin in Iran gelingt es aktuell so geschickt, humorvoll und sensibel, Geschichten zu schreiben, deren Seele sich zwischen den Zeilen bewegt, womit sie höchst kunstvoll die Zensur umgeht - sie weiß, was es bedeutet, wenn Künstler angegriffen werden. Und sie weiß, was daraus entsteht. Ihre Romane sind ein lebendiges Zeichen gegen all die Kleingeister dieser Welt, die sich eine angepasste Kunst wünschen.

Aktuell freue ich mich auf die im September anstehenden Lesungen mit Dogan Akhanli, der für sein unermüdliches Engagement gegen Gewalt und Unterdrückung Ende August in Weimar mit der Goethe-Medaille geehrt wurde und dessen neuer Roman "Madonnas letzter Traum" ein Fanal gegen das Vergessen ist.

Wie auch schon in seinen früheren Büchern stellt er den Schrecken der Genozide des 20. Jahrhunderts in den Mittelpunkt und verknüpft kunstvoll die deutsche, polnische und türkische Geschichte miteinander. Auch er lässt sich, trotz der Erfahrung von Haft und Folter, nicht einschüchtern, weder von deutschen noch von türkischen Rechtsradikalen.

Für mich ist es ein Geschenk, mit diesen Menschen arbeiten, mich mit ihnen - und vielen weiteren - austauschen zu können und dabei zu helfen, ihre Werke auf die Bühne zu bringen. Dem haben die braunen Dampfplauderer nichts entgegenzusetzen. Und das gilt freilich nicht nur für mich, sondern auch für alle anderen, die in der Kulturszene aktiv sind.

Die deutsche Kulturlandschaft ist pluralistisch, kosmopolitisch und interkulturell, und sie engagiert sich immer selbstbewusster gegen Ausgrenzung, Rassismus und nationalistische Engstirnigkeit. Die Akteure der Szene reisen ins Ausland, knüpfen Kontakte, gehen Kooperationen ein, die sich von Ländergrenzen nicht beeindrucken lassen.

Sie rezipieren Kunst aus allen Teilen der Welt, setzten sich intensiv mit der kulturellen Vielfalt, die sie vorfinden, auseinander, und lassen das Erfahrene wiederum in ihre eigenen Arbeiten einfließen. Während die Westentaschen- und Gartenzaunpatrioten sich mehr Heimatkunst wünschen, tun die KünstlerInnen das, was ihre Aufgabe ist: Sie legen den Finger in die Wunde, sind nicht gefällig, sondern Sand im Getriebe.