Alexis Tsipras: Einer gegen alle?

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Der griechische Wahlkampf geht zu Ende. Ein Regierungswechsel gilt als sicher

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Alexis Tsipras erfreut sich einer seltenen Ehre, innenpolitisch hat er alle anderen Parteien einig gegen sich. Jede Partei stichelt auf eine eigene Art und Weise und doch versuchen viele griechische Parteien einen Weg zu finden, um doch noch mit SYRIZA ins Geschäft zu kommen. Tsipras spielte - frei nach dem Motto Georg von Frundsbergs: "Je mehr Feind, je mehr Glück." - bei seiner Abschlussrede am Athener Omonia-Platz mit allen gegen ihn ins Feld gebrachten Klischees.

Alexis Tsipras. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Dass mit Marine Le Pen eine europäische Politikerin aus dem nationalistischen Lager auf einen Sieg SYRIZAs hofft, gab der amtierenden griechischen Regierung die letzte Munition. Dabei ist es offensichtlich, dass die als rechtsextrem eingestufte Front National, die sich selbst vom Rechtsextremismus abgrenzen möchte, andere politische Ziele verfolgt als SYRIZA.

Le Pen ist gegen eine europäische Union und zetert wo immer sie kann gegen die Einwanderung fremder Menschen nach Frankreich. Alexis Tsipras hingegen möchte die EU erhalten, aber im Sinn einer sozialen Politik für die Bürger reformieren. Seine Partei unterstützt das Recht von Bürgern der dritten Welt zur Einwanderung nach Europa. So war denn auch ein anderer Franzose, Pierre Laurent, der Generalsekretär der französischen Kommunisten vor Ort in Athen, um Tsipras zu applaudieren.

Laurent lauschte Tsipras, während die vom Namen nach ideologisch eher verwandte Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) zeitgleich am Syntagma Platz ihre Abschlusskundgebung abhielt. Die KKE möchte mit Tsipras überhaupt nichts zu tun haben, wie Generalsekretär Dimitris Koutsoumpas bei jeder Gelegenheit betont. Koutsoumpas möchte raus aus EU und Nato, weil er in beiden internationalen Organisationen Organe des internationalen Kapitals sieht. Seine Strategie zielt darauf ab, sich als die einzig wahre Opposition zu präsentieren.

Fast wie eine Bestätigung von Koutsoumpas Vorwürfen wirkten Teile der Rede von Tsipras. Mehrfach bediente er sich beim Gründer der PASOK, Andreas Papandreou. Ebenso wie dieser einst, 1981, seine Allagi (die Wende) eingeläutet hatte, sprach auch Tsipras von einer "Verabredung mit der Geschichtsschreibung", die seine Partei und das Volk am Wahltag habe. Ganz sozialdemokratisch und weniger links hob er seine beiden Arme zum typischen umarmenden Gruß von Andreas Papandreou.

Tsipras möchte mit diesem Schritt die älteren Generationen gewinnen. Hätten vor 31 Monaten nur die Griechen im Erwerbsalter unter 65 Lebensjahren gewählt, dann wäre Tsipras schon längst Premier. Der Linke appellierte an die Opas und Omas im Land, auch im Interesse ihrer Enkel zu wählen. Die Regierung Samaras hatte nämlich die Aktualisierung der Wahllisten verbummelt und sich im Parlament stur gegen jegliche Extraregelung verweigert, so dass die achtzehnjährigen Griechen bei dieser Wahl schlicht nicht teilnehmen können. Ein Schelm, wer Absicht dahinter vermutet.

Bernd Riexinger. Foto: Wassilis Aswestopoulos

Mehrfach beteuerte Tsipras, dass er anders, als es Angela Merkel erwartet, keineswegs vorhabe, gegenüber dem harten, aus Berlin verordneten, Sparkurs einzulenken. Für Tsipras sind Premier Antonis Samaras und Vizepremier Evangelos Venizelos Stellvertreter Angela Merkels in Griechenland.

Die während des gesamten Wahlkampfs von Antonis Samaras Parteigängern prophezeiten Horrorszenarien für den Fall eines Wahlsiegs von SYRIZA sind für Tsipras und Co ebenso ein Werk Berlins wie das übrige Säbelrasseln, das den Plänen SYRIZAs entgegen geworfen wird.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Während Tsipras in den vergangenen Wochen eher wie ein Wolf mit einer ordentlichen Dosis Kreide im Hals wirkte, zeigte er am Donnerstagabend demonstrativ Krallen. "First we take Manhattan, then we take Berlin", schallte es direkt nach dem Ende seiner Rede aus den Lautsprechern. Leonard Cohens Song löst in Griechenland schnell Assoziationen zu den Linken aus.

Dass es nicht gegen die Deutschen als solche, sondern gegen das "Dogma Merkel" genannte Spardiktat geht, zeigte die überaus freundliche Begrüßung des deutschen Linke-Parteichefs, Bernd Riexinger. Ob aus Italien, Schottland, England oder den Niederlanden, SYRIZA hatte sich alle europäische Schwesterparteien nach Athen zur gemeinsamen Front gegen den Sparwahn eingeladen.

Neben Tsipras auf der Bühne stand jedoch dessen spanisches Pendant Pablo Iglesias Turrión von Podemos. Der spanische Politikprofessor adressierte sogar eine kurze Rede auf Griechisch an die jubelnde Menge. Turrións Auftritt war das Gegengewicht zum Staatsbesuch der spanischen Premiers Mariano Rajoy in Athen. Vor einer Woche und mitten im Wahlkampf hatte der kurzfristig zur Amtshilfe eingeladene Spanier nach Ansicht der linken Presse eine Ode an die europäische Sparpolitik gehalten.

Alexis Tsipras und Pablo Iglesias Turrión; Foto: Wassilis Aswestopoulos

Der gesamte griechische Wahlkampf lief nach diesem Muster ab. Ein Vergleich von Parteiprogrammen fand kaum statt, zumal Premierminister Antonis Samaras sich weiterhin gegen jeden öffentlichen Dialog mit Alexis Tsipras stemmte.

In politischen Sendungen unterbrachen die Regierungsvertreter denn auch jeden Satz eines oppositionellen Kandidaten mit der Standardfrage: "Wo kommt das Geld dafür denn her?" Im Gegenzug präsentierten die Oppositionellen aller Parteien der Regierung die Leistungsstatistiken. Eine rasant auf die Größenordnung von 180 Prozent gestiegene Staatsschuldenquote trotz der strengen Sparprogramme spricht ebenso wenig für das Dogma Merkel wie die immens hohe Arbeitslosenquote. Letztere bleibt trotz Tourismusboom, Beschäftigungsprogrammen und mehr als 200.000 Auswanderern beharrlich bei über 25 Prozent.

Neue Lösungen wurden den Griechen dennoch nicht präsentiert. Die meisten hoffen, dass SYRIZA sie nicht allzu sehr belogen hat. Ein Regierungswechsel gilt als sicher.

Was wird für die Wahl erwartet?

Neuesten Umfragen zufolge steigt der Vorsprung von SYRIZA gegenüber der Nea Dimokratia immer weiter an. Er liegt vier Tage vor der Wahl bei sechs bis acht Prozent. Immer wahrscheinlicher wird, dass acht Parteien in die Vouli am Syntagma-Platz einziehen.

Als Faustregel gilt, dass je mehr Parteien die drei Prozent Hürde überspringen, umso mehr Prozent für eine absolute Parlamentsmehrheit benötigt werden. Bleibt es bei den aktuellen Werten, dass verpasst SYRIZA um wenige Prozentpunkte die absolute Mehrheit.

Antonis Samaras

Interessant an den Umfragen sind die sich abzeichnenden Tendenzen. SYRIZA legt demnach erheblich stärker zu als die ebenfalls Wähler gewinnende Nea Dimokratia. Der dritte Platz, dessen Gewinner mit dem dritten Regierungsauftrag rechnen kann, fällt offenbar an die Partei To Potami (Der Fluss) um den Fernsehjournalisten Stavros Theodorakis. Die eher apolitische Bewegung hat sich sowohl mit Politikern aus dem linken als auch aus dem nationalliberalen Lager verstärkt. Ohne klares Parteiprogramm bietet sie sich den Wählern als europafreundlicher Koalitionspartner für "den jeweiligen Gewinner" an.

Die Kommunistische Partei zeigt sich erholt und könnte der Goldenen Morgenröte auf der Zielgeraden noch den vierten Rang abknöpfen. Dagegen sackt die PASOK immer weiter ab, während die Abspaltung von Giorgos Papandreou, KiDiSo, kurz "Bewegung" genannt, immer mehr anzieht und wahrscheinlich ins Parlament kommt. Ebenfalls erheblich erholt präsentieren sich die Unabhängigen Griechen von Panos Kammenos. Offenbar ist die schon totgesagte Partei sicher im Parlament.

Wie es genau ausgehen wird, dass werden am Sonntag direkt nach Schließung der Wahllokale um 19 Uhr Ortszeit die ersten Exit-Poll-Hochrechnungen verkünden.