"Allah hat euch im letzten Moment verraten"

Die Entführer der beiden französischen Journalisten stellen angeblich neue Forderungen auf einer islamischen Webseite

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Das Blatt hat sich gewendet. Die Entführer der beiden französischen Journalisten haben gestern ein neues 48stündiges Ultimatum auf einer islamischen Forums-Website veröffentlicht – mit neuen Forderungen, die Frankreich wohl nicht erfüllen wird. Zwar gibt man sich von offizieller französischer Seite nach wie vor optimistisch, wenn auch "vorsichtig", was die Chancen auf die Befreiung der Geiseln betrifft; aber es ist ein bemühter Optimismus, dem mehr und mehr skeptische Töne beigemischt sind.

Während sich Ende letzter Wochen noch die Geiselnehmer einem Dilemma ausgesetzt sahen (vgl. Angst vor den Amerikanern), weil der Entführung "im Namen des Islam" von einem erstaunlichen Aufgebot an muslimischen Stimmen jede "Legitimität" abgesprochen wurde, und alles darauf hindeutete, dass die Entführer, die "Islamische Armee" (vgl. Diskurs gegen Kill-Kultur), die Geiseln bald freilassen würden, steht jetzt die französische Regierung wieder unter Druck.

Denn die neuen Forderungen sind unerfüllbar. Nachdem die Entführer von Frankreich gefordert hatten, das sogenannte "Kopftuch-Verbot", das sich im Übrigen gegen das Tragen aller allzu deutlichen religiösen Symbole an öffentlichen Institutionen erstreckt, wieder abzuschaffen und diese Forderung allenthalben von muslimischer Seite als illegitim –sogar eine Fatwa wurde dazu erlassen - verurteilt wurde, u.a. weil sie sich in die Innenpolitik Frankreichs einmischte, legte man jetzt Forderungen an die außenpolitische Haltung Frankreichs auf den Verhandlungstisch – samt Geldforderung:

Die islamische Armee hat nach zahlreichen Konsultationen folgende Forderung für die Freilassung der zwei französischen Geiseln entschieden: die Annahme des Waffenstillstands mit Scheich Osama Bin Laden, ein Lösegeld von 5 Millionen Dollar und das verbindliche Versprechen, dass sich Frankreich weder militärisch noch geschäftlich im Irak engagiert.

Die Erklärung der "Befehlshaber der Gruppe" wurde gestern auf der islamischen Website Islamic-minbar.com (Islamisches Forum) veröffentlicht. Bislang ist die Authentizität dieses Schreibens allerdings noch nicht sichergestellt. Der französische Premierminister Jean-Pierre Raffarin ließ dazu verlauten, das Kommuniqué würde von Experten skeptisch aufgenommen, und betonte, dass "nichts unser Vertrauen in einen günstigen Ausgang in Frage stelle."

Ein Appell also, den Mut nicht zu verlieren, nachdem der günstige Ausgang am Wochenende so greifbar schien und der beispiellose diplomatische Erfolg so nah. Wie vom Nouvel Observateur verbreitet wird, haben amerikanische Angriffe am Wochenende auf das Gebiet von Latifiya südlich von Bagdad, wo die Geiseln Ende August entführt wurden, die Verhandlungen mit den Geiselnehmern sehr erschwert. Die Angriffe der Amerikaner, bei denen 500 "Verdächtige" verhaftet wurden, würden Fortschritte in den Verhandlungen nicht erleichtern und das Leben der Geiseln riskieren, heißt es deutlich in einer Verlautbarung der Entführer:

Passt auf, dass ihr uns nicht angreift, wie ihr es in Latifyia gemacht habt, an dem Tag, wo wir euch die Geiseln übergeben wollten, aber Allah hat euch im letzten Moment verraten.

Dieses Argument sei für eine Gruppe, die dazu fähig sei mitten am Tag das Hauptquartier der amerikanischen Truppen in Bagdad anzugreifen, nicht plausibel; man wäre parfaitement in der Lage gewesen, die Geiseln diskret zu übergeben, meint dazu der Figaro. Da im Unterschied zu den vorangegangenen Veröffentlichungen der Islamischen Armee, wie auch im Fall des von der Gruppe ermordeten italienischen Journalisten Baldoni (vgl. Italienischer Journalist und Weblogger wurde ermordet) dieses Mal die üblichen Bilder fehlten, zweifelt man in Paris an der Authentizität der neuen Forderung. Gleiches gelte für die Lösegeldforderung, die in der gängigen Praxis nie öffentlich gemacht werden.

Aus Quellen, die Näheres von den Verhandlungen wissen, höre man, so der Figaro (für den einer der entführten Journalisten als freelancer arbeitete), dass es nötig sei, "das Problem neu zu betrachten", falls die Journalisten (und ihr arabischer Fahrer) nicht in den nächsten Tagen freigelassen würden. Diese Aussage, schreibt die französische Tageszeitung, würde wie ein Euphemismus wirken – "für das mögliche Eingeständnis des Scheiterns".