Allein wie ein Stein

Seite 2: Warnende Widmung

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Lang entschied sich für eine Strategie der radikalen Künstlichkeit, um gar nicht erst den Verdacht aufkommen zu lassen, er habe Vergangenes rekonstruieren wollen. Die Bäume des Waldes, durch den Siegfried am Anfang reitet, wurden aus Gips gebaut und mit Rindenmustern bemalt. Das Licht der Scheinwerfer vermischte sich mit dem durch das Glasdach über dem Ateliergebäude fallenden Licht der Sonne, was das Ganze noch unwirklicher erscheinen lässt. Enno Patalas, der in den 1970ern damit begann, die nur noch verstümmelt erhaltenen Nibelungen wieder zusammenzusetzen, kamen die Bäume des Odenwalds vor, als leuchteten sie von innen wie Neonröhren. Einer der genialen Filmarchitekten der Ufa, die Lang in sein Team holte, war Erich Kettelhut (in der Privatwohnung Langs und Harbous am Hohenzollerndamm fanden schon Monate vor dem ersten Drehtag regelmäßige Regiesitzungen mit dem gesamten Stab statt). "Dieser Wald", schreibt Kettelhut in seinen Erinnerungen, "sollte nicht aussehen wie gewachsene Natur, sondern wie ein von geheimnisvollen Kräften erschaffener Dom, dessen Baumpfeiler sich astlos in ein dämmeriges Dunkel reckten. Einzelne breite Sonnenbahnen erhellten das Dunkel unter dem unsichtbaren Laubdach."

Die Nibelungen - Teil 1: Siegfried

Wenn doch einmal etwas natürlich ist, wird es für harte Kontraste eingesetzt wie die Blumen, die im Herbst gesät wurden und im Frühling, als Symbol neuen Lebens, an der Quelle blühten, an der Siegfried getötet wird. Fast alles in diesem Film ist stilisiert. Ein wichtiger Ideengeber war Wilhelm Worringers Studie Formprobleme der Gotik. Berühmte Vorbilder aus Malerei, bildender Kunst und Architektur wurden in Filmbilder übertragen, das Nebeneinander von Stilen und Perioden wurde zum ästhetischen Prinzip erhoben. Arnold Böcklin kann man genauso finden wie Gustav Klimt, Julius Diez, Pieter Bruegel, Caspar David Friedrich, Hans Thoma oder die von Hans Poelzig für das Große Schauspielhaus in Berlin geschaffenen Lichtsäulen (der Einfluss des Jugendstils überwiegt). Wenn Siegfried auf seinem Schimmel im Wald unterwegs ist könnte man fast glauben, es mit einer animierten Version des Bamberger Reiters zu tun zu haben. Aber das, was sich in diesem Wald abspielt, ist trotz der märchenhaft-unwirklichen Atmosphäre nur allzu menschlich - egal, ob man Lendenschurzträgern, Zwergen oder schockierend unedlen Rittern begegnet.

Die Nibelungen - Teil 1: Siegfried

Siegfried sehen wir das erste Mal in einer Höhle im Wald. Er ist bei Mime dem Schmied in die Lehre gegangen und liefert gerade sein Meisterstück ab: ein Schwert, das so scharf ist, dass eine auf dieses herabschwebende Daunenfeder glatt durchgeschnitten wird. Nun würde man erwarten, dass der Lehrer stolz auf seinen Schüler ist, doch Mime wirkt mürrisch und misstrauisch, weil Siegfried ihn in der Schmiedekunst übertroffen hat. Einer der Gesellen erzählt von den zu Worms am Rhein residierenden Burgundern und von der schönen Kriemhild. Siegfried ist begeistert und will nach Worms, um Kriemhild - oder genauer: das Bild, das er sich aufgrund der Erzählung von der Frau macht, die er noch nie gesehen hat - zu heiraten. Mime zeigt ihm einen Weg durch den Wald, der angeblich nach Worms führt, tatsächlich aber zu Fafner dem Drachen, der ihn töten soll. In diesem Film, heißt das, darf man keinem trauen. Die Verschwörungen im Märchenwald, der Welt des Mythos, sind eher unterkomplex. Siegfried können sie daher nichts anhaben. Doch den Realpolitikern am Königshof von Worms, in der vermeintlich zivilisierten Gesellschaft, wird er nicht gewachsen sein. Das ist nicht ausschließlich eine schlechte Nachricht. Ich zumindest kann dem durchaus etwas abgewinnen, dass letztlich das Gehirnschmalz über die Muskelkraft des blonden Helden siegt. In keinem Film von Fritz Lang wird je behauptet, dass man den Verstand nur dafür verwenden kann, andere Leute umzubringen. Außerdem steigert man bei Lang das eigene Vergnügen, indem man sein Hirn eben nicht an der Garderobe abgibt (wie bei dem ganzen Schrott zwingend erforderlich, in den Drehbuchautoren, Regisseure und Produzenten den Nibelungenstoff später verwandelt haben).

Die Nibelungen - Teil 1: Siegfried

Die Tricktechnik in Die Nibelungen setzte 1924, als man Spezialeffekte noch vor und in der Kamera schuf, statt sie nachträglich am Computer zu generieren, neue Maßstäbe (wie es gemacht wurde kann man in Erich Kettelhuts Der Schatten des Architekten nachlesen und - weil reich illustriert - nachschauen, einem der schönsten Filmbücher der letzten Jahre). Der Drache war eine Sensation. Nach heutigen Sehgewohnheiten wirkt er vielleicht zu plump und mechanisch, wie ein überdimensioniertes Urmel aus dem Eis (im Körper steckten sieben Männer, die ihn bedienten). Lang hätte es nicht anders haben wollen. Das ist daran zu erkennen, dass auch der Vogel betont künstlich ist, obwohl man problemlos einen echten hätte nehmen können. Die Spezialeffekte fügen sich in das Gesamtkonzept des Films ein und sind diesem untergeordnet, statt alles zuzudonnern, um von den Löchern in der Handlung abzulenken, wie man es mittlerweile gewohnt ist.

Die Nibelungen - Teil 1: Siegfried

Kein anderer Lang-Film ist kunstvoller strukturiert als dieser. Das ist auch das Verdienst Thea von Harbous, die wusste, wie man für das Kino eine Geschichte baut und mehr war als die Kitschkönigin und Nazitante, der Langs Verehrer gerne alles zuschieben, was ihnen an seinen deutschen Filmen nicht gefällt. Jeder der beiden Teile ist in sieben Kapitel ("Gesänge") untergliedert. Jedes Kapitelende ist eine Zäsur, die Lang und Harbou zur Rekapitulation des Geschehenen und als Ausblick auf das Kommende nützen, meistens zu einer Einstellung verdichtet, um zu Beginn des folgenden Gesangs eine Information hinterherzuschieben, die wir bisher nicht hatten und die eine neue Perspektive auf das Gesehene eröffnet.

Am Schluss des ersten Gesangs taucht Siegfried den Finger in das Blut des sterbenden Lindwurms. Das Blut ist heiß und Siegfried steckt den schmerzenden Finger in den Mund. Weil er dadurch von ihm trinkt, kann er plötzlich den (künstlichen) Vogel verstehen, der zwitschert, dass er, Siegfried, unverwundbar würde, wenn er im Blut des Drachen baden würde. Siegfried zieht sich nackt aus und stellt sich unter den Blutstrahl, der aus dem Körper des Untiers schießt wie das Wasser aus einer Quelle. Der Körper des sterbenden Monsters macht letzte Zuckungen. Sein Schwanz schlägt gegen den Stamm einer Linde, ein Blatt segelt herab und landet auf Siegfrieds Rücken. Im ersten Gesang sehen wir, wie der blonde Recke zum unverwundbaren Märchenhelden wird. Die letzte Einstellung zeigt, dass er doch verwundbar ist, weshalb er später - an einer Quelle - sterben wird. So ist in der Szene, die Siegfried unsterblich machen soll, bereits sein Tod enthalten.

Die Nibelungen - Teil 1: Siegfried

Durch das Töten des Lindwurms setzt Siegfried eine Kettenreaktion in Gang, die dazu führt, dass er selbst, bei einer Treibjagd mit ihm als Wild, ermordet wird, worauf ein immer größer werdendes Gemetzel folgt, das erst mit dem Untergang der Burgunder endet. Das ist noch schlimmer als in The Alamo von John Wayne, wo wenigstens ein junger Mann, eine Mutter und ihr Kind überleben. Man kann darin eine fatalistische Weltsicht erkennen, die nach Meinung vieler Kritiker typisch für den Regisseur Fritz Lang ist, sollte dann aber auch anfügen, dass es immer wieder Momente gibt, in denen die Charaktere eine Wahl haben. Siegfried muss den behäbig im Wald sitzenden Drachen nicht töten (weit und breit keine Jungfrau in Not), er muss nicht nach Worms reiten, die Burgunder müssen ihn nicht in ihre Burg lassen (Hagen rät explizit davon ab) und so weiter. Sich auf ein unabänderliches Geschick berufen zu können, oder gar auf die Vorsehung wie Adolf Hitler, so einfach macht Lang es seinen Figuren nicht. Seine Charaktere müssen Entscheidungen treffen. Dann zeigt er mit unerbittlicher Konsequenz, wohin der Weg führt, den sie eingeschlagen haben. Die Widmung, "Dem deutschen Volke zu eigen", kann man auch als Warnung verstehen.

Reise in das Unbewusste

Die Burgunder werden betont distanziert eingeführt. Durch die Lücken zwischen den im Vordergrund Spalier stehenden Rittern schauen wir ihnen dabei zu, wie sie, an der statischen Kamera vorbei, durch ihre von Quadern, Torbögen und geometrischen Mustern dominierte Burg schreiten. Lang stellt damit klar, dass wir immer nur einen Ausschnitt dieser zivilisiert wirkenden, scheinbar als Gegenentwurf zur barbarischen Welt des Waldes gedachten Gesellschaft am Königshof zu sehen bekommen, nicht das ganze Bild. Besonders im ersten Teil soll sich der Zuschauer dauernd fragen, was er sieht (und was nicht), aus wessen Perspektive, und was es bedeutet. Das ist das Thema des zweiten Gesangs, der mit Volker von Alzey beginnt, dem Minnesänger. Volker berichtet Kriemhild, König Gunther und dem Rest der Sippschaft von Siegfried, dem Drachentöter. Auf diese Weise erfahren wir, dass das, was wir im ersten Gesang gesehen haben, die Illustration von Volkers Heldenlied war. Das ist nicht das einzige Mal in Die Nibelungen, dass wir der Fiktion dabei zuschauen, wie sie verfertigt wird.

Die Nibelungen - Teil 1: Siegfried

Kriemhild verliebt sich nicht in den realen Siegfried, sondern in den Siegfried aus Volkers Erzählung, so wie sich Siegfried in die Kriemhild aus der Erzählung des Schmiedegehilfen verliebt hat. Das wirft die Frage auf, wie wir die Wirklichkeit wahrnehmen, wie wir uns ein Bild von anderen Menschen machen und uns in unseren Fiktionen einrichten; und wie nebenbei rückt es den Minnesänger, den Repräsentanten der Hochkultur, ganz nah an den behaarten Gesellen aus dem Wald heran, denn beide sind Erzähler - so wie Lang und Harbou, die sich eine trickreiche Struktur ausgedacht und die Geschichte so mit einer sehr modernen Metaebene ausgestattet haben, ohne dadurch Zuschauer zu vergrätzen, die eine stringente Handlung haben wollen (das ist immer noch ein Film für das große Publikum). Wer sich auf die Metaebene einlässt, erhält einen intellektuellen Mehrwert.

Die Nibelungen - Teil 1: Siegfried

In einem Film wie diesem, in dem Hinterwäldler, Zwerge und in Höhlen lebende Hunnen auftreten, hat die Problematisierung der Erzählperspektive auch eine wichtige politische Komponente. Ein primitiver Bewohner des Waldes oder der Steppe ist ein Primitiver. Ist der Waldbewohner aber eine Figur in einem vom Minnesänger vorgetragenen Lied, wie wir im zweiten Gesang erfahren, stellt sich die Frage, wie sehr das, was uns als "primitiv" vorgeführt wird, ein von den Vorurteilen des Königshofs gespeistes Zerrbild ist. Manchmal ist Die Nibelungen so verschachtelt wie ein Film noir. Man merkt nur nicht gleich, dass man in einen Vexierspiegel blickt, weil Langs Einstellungen genau da, wo die schlimmsten Ränkespiele getrieben werden, am Hof der Burgunder (also dort, wo angeblich Kultur und Zivilisiertheit wohnen), streng geordnet sind und sich am stärksten an symmetrischen Mustern ausrichten.

Nicht immer, sagt Gesang Nummer Zwei, sehen wir, was wirklich da ist, denn der Blick ist trügerisch. Siegfried reitet durch den Nebelwald und wird vom Nibelungenkönig Alberich überfallen, der durch seine Tarnkappe unsichtbar geworden ist. Das ist kein schlechtes Bild für die Boshaftigkeit und Negativität in dieser Welt. Man sieht sie nicht, und doch sind sie immer anwesend und drohen, einem die Luft abzuschneiden wie Alberich dem blonden Helden. Eines der besten Bücher, die man lesen kann, um sich Langs Filmen anzunähern, ist Freuds Die Traumdeutung. Gegen eine psychoanalytische Interpretation (der Märchenwald als Manifestation des Unbewussten) hätte Lang bestimmt nichts einzuwenden gehabt. Auch hier ist es bedeutsam, dass die Bewohner des Waldes als Figuren im Lied des Minnesängers kenntlich gemacht werden, als nach außen projizierte Angstbilder aus dem Inneren einer Kultur.

Die Nibelungen - Teil 1: Siegfried

Genauso kann man die Hunnen in Kriemhilds Rache interpretieren, die wie Affen auf Bäumen sitzen und in Höhlen leben. Politisch korrekt sind solche Darstellungen natürlich nicht. Die Übertreibung nimmt aber so groteske Formen an, dass diese Hunnen weniger zur Verkörperung der Bedrohung aus dem Osten werden, sondern vielmehr zur Karikatur einer solchen Bedrohung, was die Angelegenheit genauso verkompliziert wie die Tatsache, dass die Hunnen 1924 nicht mehr nur Hunnen waren wie vielleicht noch zur Entstehungszeit des Nibelungenlieds. Am 27. Juni 1900 verabschiedete Kaiser Wilhelm II. das deutsche Expeditionskorps, das sich in Bremerhaven Richtung China einschiffte, um den Boxeraufstand niederzuschlagen, mit einer berühmt-berüchtigten Rede, in der er die Soldaten aufforderte, kein Pardon zu geben und den Gegner mit derselben Brutalität zu bekämpfen, die einst Etzels Hunnen an den Tag gelegt hätten. Wer sich schon mal gefragt hat, warum deutsche Soldaten in amerikanischen und britischen Kriegsfilmen oft als huns bezeichnet werden: das ist ein Verdienst von Kaiser Wilhelm. Durch seine "Hunnenrede" schenkte er den Sprachen anderer Länder ein bis heute gebrauchtes Synonym für die Deutschen. Das war auch 1924 schon so.

Die Nibelungen - Teil 2: Kriemhilds Rache

Lang ging gern Wagnisse ein und verknüpfte Dinge, die andere fein säuberlich getrennt hielten. In gewisser Weise ist Die Nibelungen eine ihrem Wesen nach intime, kammerspielartige Doppelgängergeschichte wie Der Student von Prag, realisiert als Monumentalfilm mit Westernelementen. Der Besuch der Burgunder am Hof des Hunnenkönigs Etzel (= Attila) wird so zur Reise in das eigene Unbewusste, mit desaströsem Ausgang. Gut möglich, dass das die Nazis 1933 so unheimlich fanden, dass sie den zweiten Teil deshalb nicht mehr aufführen ließen, denn von den Untergangsphantasien im Führerbunker waren sie damals noch ein gutes Stück entfernt, oder zumindest war es nicht politisch opportun, dem deutschen Volk, dem dieser Film gewidmet ist, zu zeigen, wie das tausendjährige Reich mitsamt seiner Verherrlichung von Rittern, Germanen und Nibelungentreue einmal enden könnte.

Die Nibelungen - Teil 2: Kriemhilds Rache

Trotzdem würde Fritz Lang heute manches anders machen. Hätte er gewusst, dass Werner Krauß in Veit Harlans Jud Süß mehrere jüdische Figuren karikieren würde, hätte er vermutlich Georg John nicht für drei Rollen besetzt (als Mime, Alberich und Blaodel, Etzels verschlagenen Bruder), als Bindeglied zwischen dem Märchenwald in Siegfried und dem Hunnenreich in Kriemhilds Rache. John, der zu Langs Stammpersonal gehörte (in M ist er der blinde Ballonverkäufer), erhielt nach Goebbels’ Kaiserhof-Rede keine Filmrollen mehr und wurde 1941 in das Ghetto von Lodz deportiert, wo er bald danach starb, weil seine Gesundheit den unmenschlichen Lebensbedingungen nicht gewachsen war.

Albtraum aus Stein

Wer glaubt, dass die Burgunder für Heldenverehrung und die Suche nach nationalen Leitfiguren taugen, ist nach dem zweiten Gesang desillusioniert. Sollten König Gunther und seine Verwandtschaft irgendwann große Taten vollbracht haben, muss das lange her sein. Sie sitzen so blasiert und gelangweilt in ihrer Burg herum, dass man meinen könnte, man sei unter den dekadenten Müßiggängern im Salon von Graf und Gräfin Told gelandet (Dr. Mabuse, der Spieler), wenn sie anders angezogen wären und wenn es in der Burg nicht so zugig wäre. Es gibt nämlich noch keine Fensterscheiben, weshalb ich persönlich es für sehr vernünftig halte, wenn das Fußvolk der Hunnen in warmen Höhlen haust. Kurz vor der Pleite stehen die Burgunder scheinbar auch, denn Hagen wird später sagen, dass der Nibelungenhort sehr gelegen käme, um die Ausgaben zu decken.

Die Nibelungen - Teil 1: Siegfried

Der Nibelungenhort, das ist der in einem Bergwerk angefertigte und aufbewahrte Schatz des Zwergenkönigs Alberich, den dieser Siegfried verspricht, wenn er ihn dafür am Leben lässt. Der Schatz liegt auf einer von angeketteten Zwergen getragenen Schale. Lang sind da Einstellungen gelungen, die auch aus einem Agitationsfilm gegen den Raubtierkapitalismus stammen könnten. Als der heimtückische Alberich erneut versucht, Siegfried zu töten, um sich nicht von seinen Pretiosen trennen zu müssen, wird er von diesem umgebracht. Sterbend belegt Alberich den Schatz mit einem Fluch. Dann versteinern er und die anderen Zwerge (Kettelhut erklärt, wie es gemacht wurde). Das ist eines der zentralen Bilder des Films. In einem betont langsamen Erzählrhythmus sehen wir den Burgundern dabei zu, wie sie majestätisch durch ihren Palast in Worms schreiten oder herumsitzen. Weil das menschliche Auge zu träge ist, um den eigentlichen Vorgang zu erkennen, schiebt Lang in Alberichs Schatzhöhle eine Art Zeitraffer ein. Hinter dem höfischen Zeremoniell in Worms, sagt der Film, verbirgt sich die allmähliche Versteinerung einer dekadenten Oberschicht. Denn letztlich sind die Burgunder auch nur Zwerge. Ganz egal, wie heldenhaft sie einem erscheinen mögen.

Die Nibelungen - Teil 1: Siegfried

Volkers Lied vom Drachentöter bringt etwas Abwechslung in das tägliche Einerlei, doch der rechte Kick ist das noch nicht für die blasierte Herrenrunde. Nur Kriemhild ist rundum zufrieden mit dem Gehörten und überreicht dem Minnesänger zum Dank einen von ihr bestickten Mantel. Die Nibelungen ist auch ein Film über den Kapitalismus, über Warentausch und Geschäftsbeziehungen. Kaum hat Kriemhild dem Dichter sein Honorar ausgehändigt, stößt schon ein Wachposten ins Horn und ein Diener bringt die Kunde, dass Siegfried mit zwölf Vasallen vor dem Tor steht und Einlass begehrt. Kriemhilds Wunschbild von einem Mann nimmt damit konkrete Formen an, und der sagenhafte Held tritt in die Wirklichkeit ein, die ihm zum Verhängnis werden wird. Bei Siegfrieds Einmarsch in die Burg hat sich Leni Riefenstahl einiges abgeschaut und später, auf dem Umweg über Triumph des Willens, George Lucas, als er Star Wars drehte.

Die Nibelungen - Teil 1: Siegfried

Auch solche Aufmarschbilder sind bei Lang für Heldenverehrung ungeeignet. Siegfried ist gekommen, weil er um Kriemhilds Hand anhalten will, und die Burgunder machen ein Geschäft daraus. Gunther möchte die Königin der Amazonen ehelichen, muss Brunhild dafür aber im Wettkampf besiegen, und weil er das allein nicht kann, soll Siegfried ihm dabei helfen. Im Austausch kann er Kriemhild haben. Darum machen sich die edlen Recken nach Island auf, um für Gunther mit List und Tücke eine Frau zu erobern. Das Nahen dieser Ehrenmänner wird Brunhild von einer Hellseherin avisiert, und Lang zeigt uns die Bilder dazu: die Landung des Burgunderschiffs, den Marsch zu Brunhilds Felsenburg und den diese umgebenden See aus Feuer, das verlischt, wenn der Stärkste (Siegfried) kommt. Wir sind jetzt im dritten Gesang, der uns die dritte Erzählerfigur präsentiert. Lang und Harbou waren schon postmodern, als die Postmoderne noch gar nicht erfunden war. Sie sind nur weniger arrogant als mancher postmoderne Künstler, der einen gern seine intellektuelle Überlegenheit spüren lässt.

Die Nibelungen - Teil 1: Siegfried

"Menschen, die ich als ‚Film-Idioten’ zu bezeichnen liebe", schrieb Lang 1924 in einem Aufsatz, "machen dem Film einen Vorwurf daraus, dass er der Sensationslust der Masse entgegenkommt. Meine Herrschaften, was tut der Film da anderes, als was das vielgepriesene Volksmärchen, die verherrlichten Heldensagen aller Völker tun!" Lang trat mit dem Ziel an, das Nibelungenlied den Bildungsbürgern, den Spezialisten und den Ideologen zu entreißen und einen massentauglichen Film daraus zu machen. Also: Keine Angst vor stummen Bildern (die sowieso nicht stumm sind, weil Gottfried Huppertz eine kongeniale Musik komponiert hat), Hochkultur und Germanentum. Langs Ritter sind Gangster im Kettenhemd, die Vorläufer der Corleones, der Sopranos und der Lannisters. Und keine Angst vor Verdummung. Trotz seines elitären Gehabes mit Monokel und Reitpeitsche dachte Lang, der Liebhaber von Karl May, Edgar Wallace und amerikanischen Comics, keinen Augenblick daran, den Stoff auf ein Niveau abzusenken, auf dem sich die Masse angeblich aufhält. Es spricht für sich, dass er ein großes Publikum erreichte, ohne sich dem leider branchenüblich gewordenen Zynismus auszuliefern ("Wir würden ja gern anders, aber die Leute sind zu blöd dafür.").

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