Alles aufgeklärt trotzdem geht es weiter
Spanien: Vielleicht ist aufgeklärt, was der Richter über die Anschläge vom 11. März aufklären wollte. Tatsächlich erblicken aber stets neue beunruhigende Informationen das Licht der Welt, denen bisher nicht oder nur kaum nachgegangen wird
Nach Ansicht des Ermittlungsrichters sind die Anschläge vom 11. März in Madrid aufgeklärt, trotzdem wird die parlamentarische Untersuchungskommission ihre Arbeit vorerst weiter führen. Die kleinen Parteien sehen noch Klärungsbedarf und haben ein frühes Ende verhindert. Die Rolle der spanischen Sicherheitskräfte ist weiter undurchsichtig. Neben dem Sprengstoff, den Spitzel der Sicherheitsdienste vermittelt haben, soll ein Beamter der Guardia Civil den Attentätern Waffen verkauft haben.
Ginge es nach den großen Parteien Spaniens, würde sich die parlamentarische Kommission zur Untersuchung der Massaker in Madrid am 11. März nur noch um Abschlussberichte streiten. Doch die kleinen Parteien haben diese Woche starken Druck entfaltet und so eine schnelle Beerdigung der Kommission verhindert. Auf diversen Treffen hatten sich die regierenden Sozialisten (PSOE) mit der konservativen Volkspartei (PP) in der Sommerpause weitgehend auf deren Ende verständigt. Die PP wollte nur der PSOE den Schwarzen Peter zuspielen und forderte deshalb öffentlich weitere Untersuchungen.
Hinweise auf Verstrickungen der Sicherheitskräfte in das Massaker
So durchkreuzte vor allem die Baskisch-Nationalistische Partei (PNV) das Ende der Ermittlungen. Deren Kommissionsmitglied Emilio Olaberria warnte, man werde eine Abstimmung erzwingen. Die Öffentlichkeit solle sehen, wer an einer Aufklärung kein Interesse habe. Ein "betrügerisches Ende" sei "quasi ausgehandelt" worden, sagte Olaberria. Er sah die Gefahr, "Fehler zu wiederholen", eine generelle "Kriminalisierung der islamischen Welt" sei die Folge. Ähnlich hätten es die großen Parteien ihn ihrem Anti-Terror Pakt vorexerziert und setzen den baskischen Nationalismus vereinfacht mit Terrorismus gleich.
Tatsächlich hat die Kommission in den vier Wochen vor der Sommerpause nur wenig geklärt. Aber es gibt erhebliche Kräfte, die versuchen ein Bild zu zeichnen, als wäre praktisch alles ermittelt, um den Fall zu den Akten legen zu können. Dazu gehört auch der umstrittene Ermittlungsrichter Juan del Olmo.
Vielleicht ist aufgeklärt, was der Richter aufklären wollte. Tatsächlich erblicken aber stets neue beunruhigende Informationen das Licht der Welt, denen bisher nicht oder nur kaum nachgegangen wird. So gab es diese Woche weitere Hinweise auf Verstrickungen der Sicherheitskräfte in das Massaker. "Pedro" ein Mitglied einer Sondereinheit der Guardia Civil soll Waffen an die Attentäter verkauft haben. Über den Deal mit Lang- und Kurzwaffen habe der Marokkaner Rafael Zuheir, Spitzel der Guardia Civil (siehe Neue Festnahmen, neue Spitzel), seinen Führungsbeamten "Victor" schon an Weihnachten 2003 informiert haben , berichtete die Zeitung El Mundo.
Zuheir, der den Verkauf des Sprengstoffs an die Islamisten vermittelt hat, habe dies vor dem Ermittlungsrichter am 26. August erklärt. Da hatte sich Del Olmo endlich dazu bequemt, den Spitzel über sein Wissen bezüglich der Sicherheitskräfte zu vernehmen (siehe Spanische Untersuchungen). Ohne ihn zu befragen, hatte er schon Wochen zuvor die Nationalpolizei und Guardia Civil exkulpiert. Sie hätten nichts vom Sprengstoffdeal gewusst, weil ihre darin verwickelten Schnüffler darüber keine Informationen weiter gegeben hätten.
Sicherheitskräfte beim Sprengstofftransport per Telefonüberwachung dabei
Bekannt ist aber, dass Zuheir der Guardia Civil sogar eine Probe des Dynamits Goma 2 ECO übergeben hat (vgl. Spanische Wirren im Antiterrorkampf). Ein Dokument, dass der Richter selbst an die Kommission geschickt hat, zeigt zudem, dass die Sicherheitskräfte quasi live beim Sprengstofftransport per Telefonüberwachung dabei waren (vgl. Spanische Untersuchungen).
All dies wurde bisher nur am Rand oder gar nicht in der Kommission erörtert. Genauso wenig die Tatsache, dass die Guardia Civil bei den monatlichen Kontrollen in der Mine keine Unregelmäßigkeiten feststellte, aus der etwa 200 Kilogramm Sprengstoff entwendet worden sein sollen.
Entweder wurde wieder geschlampt oder der Sprengstoff spanischer Herstellung, welcher der Spitzel der Nationalpolizei José Emilio Suárez Trashorras (vgl. Spitzel in Madrider Anschläge verwickelt) den Islamisten verkauft hat, stammt gar nicht aus der Mine La Conchita. Woher Suárez das Goma 2 Eco hatte, dazu sollte ihn die Kommission jetzt endlich befragen. Sein Ex-Arbeitgeber, die Firma Caolines de Merillés, S.L, hatte schon frühzeitig erklärt, in der Mine sei kein Dynamit geklaut worden. Das sei wegen der Sicherheitsbestimmungen unmöglich.
Auffällig ist auch, wie Del Olmo versucht eine Kollegin aus seinen Ermittlungen zu drängen. Ein Gericht muss nun darüber entscheiden, ob Teresa Palacios einen Teil der Ermittlungen weiter führen darf. Ihr war die Untersuchung der Explosion zugefallen, als sich sieben Islamisten im März in einer Wohnung im Madrider Stadtteil Leganés in die Luft gejagt haben, als sie von der Polizei umstellt waren (vgl. "Spanien in eine Hölle verwandeln").
Es ist klar, dass das Vorgehen dieses Richters von der Regierung gedeckt wird. So durfte er der Kommission Dokumente vorenthalten, ohne dass sich die sozialistische Mehrheit im Ausschuss beschwerte. Auch die Regierung hat ebenfalls der Kommission Geheimdienstdokumente vorenthalten.
Man muss sich darüber wundern, warum die PSOE kaum Interesse an der Aufklärung hat. Bisher hat sie in der Kommission, die zudem durch die Opposition zustande kam, nur daran gearbeitet, die Lügen der Vorgänger herauszuarbeiten (vgl. Schwierige Aufklärung). Diese Lügen hatten den Konservativen den Wahlsieg gekostet und die PSOE erst an die Macht gebracht (vgl. Lügen haben kurze Beine, auch in Spanien).
Geht es den Sozialisten wieder einmal darum, keine Diskussion über die diversen Geheimdienste, die Nationalpolizei, die Guardia Civil oder den Sondergerichten wie den Nationalen Gerichtshof aufkommen zu lassen? Schon in den 80er Jahren, als sie nach der Diktatur erstmals an die Macht kamen, lösten sie ihre Versprechen nicht ein, die Organe aufzulösen, die bis zur Halskrause in die Verbrechen der Diktatur verwickelt waren.
Jetzt wäre erneut der Zeitpunkt gekommen. Denn im Fall der Anschläge von Madrid haben sie zumindest erneut völlig versagt. Ob sich die Lage verbessert, wenn man die Polizei, Guardia Civil und Geheimdienst (CNI – vgl. Alter Wein in neuen Schläuchen), die auch nach dem Ende der Diktatur in Folter und Mord verwickelt waren (vgl. Falange bereitet schmutzigen Krieg gegen Basken vor), unter einer Leitung zusammenfast, darf ebenfalls bezweifelt werden (vgl. Terrorbekämpfung auf sozialistisch) Ohnehin wurde dies schon beschlossen, bevor die Kommission gebildet wurde.