Spanische Wirren im Antiterrorkampf

Einstige Hauptverdächtige der Anschläge vom 11. März wieder frei

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Die Ermittlungen um den die Anschläge vom 11. März in Madrid werden immer konfuser. Drei der einst hauptverdächtigen Marokkaner mussten frei gelassen werden. Die Spitzel der Sicherheitskräfte, zum Teil ebenfalls wieder frei, wollen vor den Anschlägen nicht über den Sprengstoffdeal informiert haben, in den sie verwickelt sind.

Wer die Ermittlungen in Spanien um die Anschläge vom 11. März in Madrid beobachtet, reibt sich nur noch die Augen. Zunächst wurden Mitte der Woche drei Marokkaner frei gelassen, die kurz nach den Anschlägen (Blutiger Wahlkampf in Spanien) als Hauptbeschuldigte präsentiert wurden. Seither saßen sie offenbar unschuldig, wie sie immer beteuert haben, weil die Polizei schnell Ermittlungsergebnisse brauchte. Sie wurden verhaftet, weil sie mit Jamal Zougam verwandt waren oder in seinen Telefonladen im Madrider Stadtteil Lavapiés arbeiteten. Aus dem Laden sollen zum Teil die Handys stammen, die als Zünder der Bomben dienten.

Nun sind also der Halbbruder von Zougam, Mohamed Chaoui, Abderrahim Zbakn (Der Physiker), und Mohamed Bekkali (Der Chemiker) wieder frei (Madrid: Die Spur führt nach Tanger). Keiner der Zeugen konnte sie für die angebliche Anwesenheit bei dem Massaker identifizieren. Von ihnen wurden weder Fingerabdrücke noch ADN-Spuren in dem Haus gefunden, in dem die Bomben gebaut worden seien, noch in der Wohnung, in der sich danach ein Teil der mutmaßlichen Attentäter in die Luft gesprengt hat (Al-Qaida bietet Europa Waffenruhe an).

Man fragt sich nun, wie die Sachlage beim angeblichen "Drahtzieher" Zougam aussieht. Auch er hat ein Alibi, seine Familie sagt, er sei zum Zeitpunkt der Anschläge zu Hause gewesen. Ohnehin stellte sich die Frage, warum er, wie andere mutmaßliche Attentäter, nicht auch die Flucht ergriffen hat (Terroristenjagd auf spanisch). Wäre jemand, der so minutiös geplante Anschläge ausführt, wirklich so blöd, Handys aus dem eigenen Laden zu benutzen? Fragen, auf die es bisher noch keine Antworten gibt.

Antworten darauf, was die Sicherheitskräfte von dem Sprengstoffdeal gewusst haben, in den Spitzel der Militäreinheit Guardia Civil und der Nationalpolizei verwickelt sind, gibt es nun angeblich (Spitzel in Madrider Anschläge verwickelt). Der Ermittlungsrichter Juan del Olmo will herausgefunden haben, dass die Spitzel ihre Führungsbeamten nicht über den Deal informiert haben, in den sie bis zur Halskrause stecken. Ein Telefonat vom 11. März hörte sich da aber anders an (Neue Festnahmen, neue Spitzel). Jedenfalls schreibt del Olmo: "

n keiner Art und Weise konnte der ermittelnde Richter feststellen, (...) dass Daten von ihrem Wissen über die Vorbereitung, Intentionen oder Aktivitäten im Zusammenhang einer terroristischen Aktion weiter gegeben wurden.

Deshalb kommt del Olmo ausgerechnet dem Antrag des Ministeriums nach und setzte gestern einen großen Teil der in den letzten zwei Wochen Verhafteten wieder auf freien Fuß. Darunter die Frau des Ex-Minenarbeiters und Polizeispitzels José Emilio Suárez Trashorras, der den Sprengstoff für die Anschläge besorgt haben soll, und dessen Schwager.

Dabei, so konnte man aus dem abgehörten Telefonat vom 11. März mit dem Chefinspektor der Polizei Manuel García Rodríguez entnehmen, wusste die Frau des Polizeispitzels über den Sprengstoffdeal Bescheid. Carmen Toro stand selbst in regem Kontakt mit dem Chefinspektor. Man sollte glauben, dass man, vor allem als Spitzel, an der Aufdeckung oder Vereitelung von schwersten Straftaten teilnehmen muss. Sonst machte man sich bei fast 200 Tote und 1500 Verletzten der Beihilfe oder Ähnlichem strafbar. Offenbar nicht. Bis auf drei der zehn in den letzten zwei Wochen verhafteten Spanier, sind alle wieder auf freiem Fuß. Nur der Aufseher der Mine Conchita und zwei weitere Beschäftigte, die offenbar keinen Nebenjob bei den Sicherheitskräften hatten, sind noch in Haft.

Auch Suárez Trashorras (Spitzel der Nationalpolizei) und der Marokkaner Rafael Zuheir (Spitzel der Guardia Civil), die kurz nach den Anschlägen verhaftet wurden, wollen den Kontaktbeamten nichts von ihrem Sprengstoffdeal gesagt haben. Zuheir, der überhaupt erst den Kontakt von Suárez Trashorras zu den fundamentalistischen Islamisten hergestellt hat, soll erst am 17. März der Guardia Civil einen Hinweis auf die Attentäter gegeben und sie auf die Spur der Wohnung gebracht haben, wo die sich zum Teil nach der Entdeckung in die Luft gejagt haben. Ein, wegen Zuheirs Drogendeals, abgehörtes Telefonat ist in Auszügen heute in diversen Zeitungen zu lesen. Es ist klar, dass damit die Guardia Civil entlastet werden soll.

Dabei habe Zuheir schon Anfang 2003 davon berichtet, dass Suárez Trashorras und sein Schwager "ihm die Möglichkeit angeboten haben, an Sprengstoff zu kommen". Er habe der Guardia Civil sogar Proben übergeben, die wiederum habe eine Untersuchung eingeleitet. Mit welchem Ergebnis, ist unklar. Ob daraus die Telefonüberwachung der Familie Suárez Trashorras stammt, ist ebenfalls unklar.

Erneut stellt sich aber die Frage, ob die Sicherheitskräfte durch das Anzapfen von Suárez Trashorras und Zuheir nicht ohnehin vom Sprengstoffdeal ihrer Informanten wussten und ihre Hinweise gar nicht gebraucht hätten. Dass bestimmte Dokumente, wie das abgehörte Telefonat von Zuheir, so gezielt von den Ermittlern an die Presse lanciert werden, spricht ohnehin für sich. Vieles weist darauf hin, dass hier gezielt eine Mitwisserschaft der Sicherheitskräfte verschleiert werden könnte. Auch die Geschwindigkeit, mit der del Olmo in diesem Fall zu Ergebnissen kommt, ist auffällig. Im Fall von zwei noch inhaftierten Journalisten der vorläufig geschlossenen Baskischen Tageszeitung (Euskaldunon Egunkaria) hat er es in 16 Monaten bisher nicht geschafft, auch nur mitzuteilen, was der Zeitung oder den Journalisten eigentlich konkret vorgeworfen wird (Baskische Journalisten gefoltert). Dort ermittelt er weiterhin fleißig geheim.