Alles nur Spiel?

Streit um "Big Brother"-Show

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Der Streit zwischen Landesmedienanstalten und dem Privatsender RTL 2 um die Reality-Show "Big Brother" eskaliert. Dabei geht es nicht nur um die Frage der Menschenwürde und der Meinungsfreiheit, sondern auch darum, ob "Big Brother" tatsächlich nur eine Spiel-Show ist.

Obwohl die Gutachten, die RTL bei den Medienwissenschaftlern Hubertus Gersdorf, Universität Rostock, und Lothar Mikos, Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg, angefordert hat, noch nicht vorliegen, führt die RTL 2-Pressestelle die Wissenschaftler bereits in Stellungnahmen vor. So wird Gersdorf damit zitiert, dass "Big Brother" dem besonderen Schutz der Rundfunkfreiheit, die den Schutz der Vielfalt der Meinungen garantiert, unterliege.

Was ist "schlecht"?

Hubertus Gersdorf meint "niemand hat das Recht, gleichzeitig mit der "goldenen Niveaunase" nach dem "Guten" oder "Schlechten" Ausschau zu halten und das vermeintlich "Schlechte" und "Anstößige" vom Bildschirm zu eliminieren." Ähnlich argumentiert auch Lothar Mikos. Er hält vor allem die politische Vorverurteilung der Sendung für bedenklich. Auch er beruft sich insbesondere auf das Zensurverbot in Deutschland. Beide Gutachten sollen erst in den nächsten Wochen veröffentlicht werden. Ein RTL 2-Sprecher konnte keinen Termin nennen.

Anders sieht es bei der hessischen Landesmedienanstalt aus, die für den Privatsender zuständig ist. Ihr Maßnahmenkatalog reicht von Beanstandungen über Bußgelder bis zum Lizenzentzug. Ein Einschreiten ist allerdings erst nach der Ausstrahlung möglich. Sie verfügt bereits über ein Gutachten des Rechtsprofessors und Verfassungsrichters Udo Di Fabio, das erstmals durch die TV-Programmzeitschrift Hoerzu vorgestellt wurde.

Verstoß gegen die Menschenwürde

In seiner 140-seitigen Studie stellt Fabio heraus, dass eine Kommerzialisierung von Kandidaten und ihre Degradierung zum Objekt auch dann als Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen werden kann, wenn "die Beteiligten aus eigenem Entschluss an den Sendungen teilnehmen". Eine echte Freiwilligkeit sei nicht gegeben, "wenn Menschen die Folgen einer Teilnahme nicht absehen können, sich instrumentalisieren lassen, ohne so recht zu wissen, was mit ihnen geschieht." Der Direktor der hessischen Landesmedienanstalt Wolfgang Thaenert bat RTL 2-Geschäftsführer Josef Andorfer in einem zweistündigen Gespräch, auf die Ausstrahlung zu verzichten. Ohne Erfolg. Andorfer gab zu, dass in Deutschland ein Teil der Spielregeln und der Kriterien der Kandidatenauswahl verändert wurden. Andorfer: "Dies dient allein dem Zweck, das Programm noch interessanter und spannender zu machen." Damit werde aber die Sendung "nicht schärfer oder aggressiver". Immerhin will RTL 2 in Deutschland die Container-Wohngemeinschaft mit einer "bunteren Mischung verschiedenster Typen und Charaktere zeigen".

Nur ein Spiel?

Lothar Mikos wies darauf hin, dass der Aspekt der festen Spielregeln bei der Spielshow "Big Brother" bisher von den Kritikern vernachlässigt worden sei. Seit Jahrzehnten würden sich bei TV-Games Kandidaten freiwillig bestimmten Aufgaben stellen und das Wagnis des Gewinnens und Verlierens eingehen. Dabei übersieht Mikos allerdings, dass sich das Spiel als solches dadurch auszeichnet, dass es nicht das "gewöhnliche" oder das "eigentliche" Leben ist.

Der Kulturwissenschaftler Johan Huizinga beschrieb in seinem Klassiker "Homo Ludens" das Spiel so, dass es "außerhalb des Prozesses der unmittelbaren Befriedigung von Notwendigkeiten und Begierden" stehe. Seine Ziele "liegen selber außerhalb des Bereichs des direkt materiellen Interesses oder der individuellen Befriedigung von Lebensnotwendigkeiten." Schließlich sei die "Wiederholbarkeit eine der wesentlichsten Eigenschaften". Zudem haben "in der Sphäre eines Spiels die Gesetze und Gebräuche des gewöhnlichen Lebens keine Geltung".

Legt man diese Maßstäbe an die "Spiel-Show" an so stellt man fest, dass es sich bei "Big Brother" nicht um ein reines Spiel handelt. Denn dem letzten Teilnehmer winken 250.000 Mark - das materielle Interesse ist hier damit gegeben. Zudem sollen die Teilnehmer das alltägliche Leben "spielen". Genau aus der mangelnden Abgrenzung zwischen "normalem" Leben und Spiel entsteht nicht zuletzt auch der enorme psychische Druck, unter dem die Teilnehmer stehen.

Abgesehen davon, dass die Teilnehmer nach der Show nicht mehr in ein normales, unberührtes Leben zurück kehren können, können sie auch nicht wissen, auf welche Weise ihr psychisches Gleichgewicht sich in der Dauerstresssituation des Big-Brother-Spiels verändert. Schließlich können die Kandidten nicht wiederholt bei der Show auftreten. Bei "Big Brother" handelt es sich um eine "Jetzt-oder-Nie"-Situation. Auf welche Beurteilungskriterien Mikos zurückgreift, bleibt bis jetzt unklar.

Kommerzieller Erfolg "unaufhaltsam"

Laut RTL 2 ist "der internationale Erfolg nicht aufzuhalten". Inzwischen haben der englische Sender Channel 4, der portugiesische TVI und der US-Fernsehsender CBS die Senderechte erworben. CBS blätterte für die Lizenz sogar 20 Millionen US-Dollar hin. Die niederländische Produktionsfirma Endemol steht zudem in Verhandlungen mit weiteren ausländischen Sendern.

Nach Ansicht von RTL 2 zeigt die Debatte um "Big Brother", "wie weit sich die Lebenswirklichkeit der Politiker und Medienwächter von der des durchschnittlichen Fernsehzuschauers entfernt hat". Auch SAT 1-Moderator Kai Pflaume äußerte sich in einem TV Today-Interview zur Sendung. Während Actionshows im Fernsehen "nicht zur europäischen Kultur passen", seien in Europa Psyschoshows wie "Big Brother" im Trend. Das Prinzip sei doch uralt: "Ganz Dresden war mal "Big Brother". Die Leute hatten doch weder Zeitung noch Telefon noch Zugang zur Außenwelt".