Als Garagenfirmen noch in Garagen gegründet wurden

Die Neuauflage eines Klassikers ist in einer "Milenniums-Edition" erschienen: "Fire in the Valley" erzählt die Geschichte des PCs

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Im Januar 1975 meldete die amerikanische Bastler-Zeitschrift "Popular Electronics" auf seiner Titelseite etwas, das sie als einen technologischen Durchbruch bezeichneten: "World's First Minicomputer Kit to Rival Commercial Models: Altair 8800". Darunter war das Bild einer rechteckigen Kiste mit vielen Kippschaltern und kleinen Lämpchen. Tatsächlich konnte das Blatt exklusiv über eine Neuentwicklung berichten, die inzwischen Technikgeschichte gemacht hat: der erste Minicomputer, der weniger als 400 Dollar kostete.

Altair 8800

Die Maschine hatte nur einen kleinen Fehler: es gab sie noch gar nicht. Das Modell auf dem Cover von "Popular Electronics" zeigte lediglich das Chassis des neuen Rechners, der noch gar nicht existierte, als "Popular Electronics" in den Druck ging. Ein Prototyp, den die Firma per Railway Express an die Redaktion des Bastler-Blattes geschickt hatte, war verloren gegangen. Nur mit größter Anstrengung und vielen Nachtschichten gelang es der kleinen Firma aus Albuquerque eine funktionierende Version des Altairs fertigzustellen. Die war zwar nicht baugleich mit dem Modell, das in "Popular Electronics" zu sehen war. Aber immerhin hatte die Firma nun einen funktionstüchtigen, vergleichsweise billigen Computer, dem sie als Bausatz verschicken konnten.

Ed Roberts, der Gründer der Firma MITS, hatte ausgerechnet, dass sie etwa 200 Stück verkaufen mussten, um ihre Unkosten decken zu können. Aber binnen kurzer Zeit hatten Hobbyisten aus den ganzen USA schon 2000 Stück geordert. Die Firma war mit der Herstellung der Maschine vollkommen überfordert. Selbst der Versand von Bausätzen dauerte monatelang; wer ein fertig zusammengebautes Gerät haben wollte, musste noch viel länger warten. Auch die zahlreichen wütenden Anrufe und Protestbriefe änderten nichts daran, dass viele der Besteller Woche um Woche warten mussten, bis sie einen Altair oder wenigstens seien Bauteile per Post bekamen.

Der fertige Rechner besaß weder einen Monitor noch eine Tastatur oder gar eine Maus. Die einzige Möglichkeit, ihm Informationen einzugeben, war über die kleinen Kippschalter an der Front des Geräts. Wer einen einzigen Fehler beim Hin- und Herkippen machte, konnte wieder von vorne anfangen. Das einzige Programm, das der Rechner mit den 256 Byte Arbeitsspeicher (ja, 256 Byte, nicht KB!) war eine Art Spiel mit dem Namen "Kill the Byte", bei dem man raten musste, in welcher Reihenfolge die roten Lämpchen am Gehäuse des Altairs aufleuchten würden. Textverarbeitung, Rechnen oder gar Tabellenkalkulationen waren mit dem neuen Computer nicht möglich. Im Grunde konnte man mit dem Altair nicht viel mehr machen, als ihn ein und auszuschalten. Aber es war ein richtiger Computer, den man sich für einen vergleichsweise niedrigen Preis kaufen konnte.

Ed Roberts

Schon bald kamen ungeduldige Elektronikbastler persönlich vorbei, um sich ihr Gerät abzuholen. Ein Computerfreak soll mehrere Tage in seinem VW-Bus neben dem MITS-Geschäft übernachtet haben, um seinen Bausatz mit nach Hause nehmen zu können. Der kalifornische Informatiker Steve Dompier reiste sogar aus San Francisco nach Albuquerque, um nachzusehen, wo seine Maschine blieb. Als er bei MITS ankam, hatte er dort ein Bürogebäude oder eine Fabrik erwartet, aber er fand sich in einer etwas verwahrlosten Shopping Mall wieder. Doch am Fenster eines kleinen Ladens neben einer Schnellreinigung stand tatsächlich in großen Buchstaben: MITS. Dompier betrat das Geschäft, um nach seinem Computer zu fragen. Ein überfordert wirkender Angestellter suchte in den drei Büroräumen kommentarlos einige Einzelteile zusammen, steckte sie in eine Plastiktüte und drückte Dompier das Ganze zusammen mit einer Bauanleitung in die Hand.

Zurück in Kalifornien stellte der langhaarige, schlacksige Dompier seine Neuerwerbung beim Treffen einer illustren Gesellschaft namens Homebrew Computer Club vor. Das Gerät war ein richtiger Computer, wie ihn vorher nur Angestellte in Universitäten, Forschungslaboren und großen Firmen zur Verfügung gehabt hatten. Der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte: die Mitglieder des Homebrew Computer Clubs mögen zum damaligen Zeitpunkt ein für Außenstehende seltsam wirkende Zusammenkunft von Computerfans gewesen sein; heute gilt der informelle Verein als einer der wichtigsten Katalysatoren, aus dem die heute boomende digitale Ökonomie des Silicon Valley hervorgegangen ist.

Wer genauer wissen will, wie aus dem "Altair", der Hacker-Kiste für 395 Dollar, das Milliarden-Geschäft werden konnte, das die Computerindustrie heute ist, sollte zu dem Buch Fire in the Valley von den amerikanischen Computerjournalisten Paul Freiberger und Michael Swaine greifen. Das Buch, das 1984 zum ersten Mal erschien und nun in einer vollkommen überarbeiteten Ausgabe vorliegt, erzählt davon, wie der Computer vom riesigen "Elektronengehirn" in Universitäten und Forschungslaboren zum alltäglichen Arbeitsinstrument im Büro und zu Hause geworden ist. Leider liegt es bisher nur in englischer Sprache vor.

"Fire in the Valley" erzählt die Geschichte der komischen Bastler, ihrer merkwürdigen Erfindungen und der Firmen, die sie gründeten, und deren Namen heute oft niemand mehr kennt. Eine von ihnen hieß "Kentucky Fried Computers", bis die fast gleichnamige Fastfood-Kette ihnen ein Verfahren androhte. In einer anderen nahm die Freundin des Gründers die Bestellungen per Telefon entgegen, während sie sich nackt im Garten hinter ihrem Haus sonnte. Die Begeisterung für die neue, utopische Maschine Computer war so groß, dass in dieser Zeit Firmengründungen stattfanden, die so unglaublich sind, dass man sich wundert, warum sich noch kein Hollywood-Film dieses an Anekdoten, Verrücktheiten und Blitzkarrieren so reichen Kapitels der amerikanischen Technikgeschichte angenommen hat.

Paul Freiberger und Michael Saine haben als Reporter für Branchenblätter die Entwicklung des PCs aus nächster Nähe verfolgen können. Sie waren dabei, als Garagenfirmen noch wirklich in Garagen gegründet wurden, und sie haben verfolgt, wie einige von ihnen zu Milliarden-Dollar-Unternehmen geworden sind und andere nach ein paar Jahren pleite machten. Ihr Buch ist die definitive Chronologie dieser Entwicklung, auf die sich bis heute alle stützen, die über die Geschichte des Computers arbeiten. Besonders deutlich wird in "Fire in the Valley", dass der PC nicht zuletzt von Leuten vorangetrieben worden ist, die aus der linken Gegenkultur Kaliforniens stammten. Sie waren weniger aus finanziellen Gründen an der Entwicklung von Rechnern für normale Leute interessiert, sondern vielmehr daran, diese machtvolle neue Informationstechnologie zu demokratisieren und möglichst vielen Usern zugänglich zu machen.

Der ENIAC-Computer

Im Homebrew Computer Club, der durch "Fire in the Valley" zu der ihm zustehenden Berühmtheit gekommen ist, trafen sich unter anderem Leute wie Apple-Gründer Steve Jobs und Steve Wozniak, der Ex-Hippie und Polit-Aktivist Lee Felsenstein, Adam Osborne, der später den ersten tragbaren Computer in den Handel brachte, oder die Hackerlegende John Draper. Ihre Geschichte ist durch die Erstausgabe von "Fire in the Valley" bekannt geworden, die jahrelang vergriffen war. Die Neuauflage ist zwar um einige Kapitel erweitert worden, die aber eher als eine Epilog zu der Geschichte zu verstehen sind, die in der Originalausgabe geschildert wurde.

Paul Allen und Bill Gates

Zwar kommt in der "Millenniums-Edition" von "Fire in the Valley" auch die Entwicklung des Internets vor, aber der Schwerpunkt liegt nach wie vor auf der halb mythischen Gründerzeit des Silicon Valley. Die Entwicklung von Apple, Lotus, Oracle oder Sun Microsystems, die Zeit der Blue Boxes und des Phone-Phreakings, die Entstehung von Programmen wie VisiCal oder Windows, die Entwicklung der ersten Graphic User Interfaces werden in dem Buch ebenso liebevoll beschrieben, wie auch einigen der Visionäre aus der Zeit der PC-Entwicklung wie Douglas Engelbart und Ted Nelson gewürdigt werden. Einige von ihnen sind heute mehrfache Millionäre, andere haben finanziell nie von ihrer Vorreiterrolle profitiert.

Das Betriebssystem, mit dem der Altair lief, war übrigens eine Version der Programmiersprache BASIC, die von einer Firma namens Micro Soft entwickelt worden war. Die beiden Gründer waren zwei Jurastudenten von der Eliteuniversität Harvard: ein blasser Hacker namens Bill Gates und sein vollbärtiger Freund Paul Allen. Die beide machten mit Software später ein Vermögen und gehören heute zu den reichsten Leuten der Welt. Ed Roberts, der Gründer von MITS und der Anbieter des ersten PCs, wurde dagegen später Arzt, dann Farmer und lebt heute als Rentner in Florida.

Die PC-Revolution der 70er- und 80er-Jahre hat Gewinner und Verlierer hinterlassen. "Fire in the Valley" erzählt ihre Geschichte auf ebenso unterhaltsame wie lesbare Weise, wenn auch aus rein amerikanischer Perspektive. Wer wissen will, wie unser aller PC entstanden ist, liegt mit diesem spannenden Buch richtig.

Paul Freiberger und Michael Swaine: Fire in the Valley - The Making of the Personal Computer, McGraw-Hill (New York), 450 Seiten mit zahlreichen Fotos, 16 Dollar 95