Als Palästinenser in Israel: Shoppen für den kommenden Krieg
Alle horten Vorräte, ich denke an die Zeit nach dem Krieg. Warum es dann schwer wird. Und weshalb ich mich auf den Staat Israel nicht verlasse.
Ich stehe in der Schlange, um ein Radio zu kaufen – für den Fall, dass ein Krieg zwischen Israel und dem Iran ausbricht. Wenn das Internet ausfällt und ich mit der Außenwelt in Kontakt bleiben muss, brauche ich das Radio. Ich habe bereits Taschenlampen gekauft, Batterien, einen Generator und alles Mögliche, was meine Frau auf die "War Shop List" gesetzt hat.
Die Schlange im Laden ist zu lang und es geht zäh voran. Jedem steht die Angst ins Gesicht geschrieben. Jeder ist besorgt, wir sehen aus wie Statisten in einem dieser Weltuntergangsfilme.
Und doch schaffe ich es, mich nicht von dieser Angst bestimmen zu lassen. Vielleicht bin ich zu zynisch. Vielleicht verdränge ich meine Angst. Oder ich gehöre zu dieser Generation, die glaubt, dass ein Krieg größeren Ausmaßes nur noch in Geschichtsbüchern zu finden ist.
Aber ich stehe in der Schlange und urteile nicht über andere. Wenn ich eines in der Therapie gelernt habe, dann, dass man die Gefühle der Menschen nie unterschätzen darf, auch wenn man nicht mit ihnen übereinstimmt.
Jeder muss sich seinen Ängsten stellen, sie nicht unterdrücken. Ich habe aber auch gelernt, dass man sich nicht von ihr beherrschen lassen darf. Es ist ein schmaler Grat zwischen Sorge und Furcht.
Das Wichtigste, was ich immer wieder höre, wenn ich in der Schlange stehe, ist: "Israel kämpft um seine Existenz, sonst gibt es einen neuen Holocaust". Ich verstehe diesen Reflex, aber ich verstehe auch die Fakten. Das jüdische Volk ist nicht mehr diese schwache Gemeinschaft, die in den dunklen Tagen Europas brutal gejagt wurde.
USA: 1939, 2023
Wir sprechen über eines der weltweit mächtigsten Länder, wenn es um Militär, Finanzen und Technologie geht. Umsorgt und unterstützt von den USA und dem größten Teil der westlichen Welt.
Dieselben USA, die im Juni 1939 das Schiff St. Louis mit jüdischen Flüchtlingen an Bord, die dem Tod zu entfliehen versuchten, zurückgewiesen haben, entsandten nach dem 7. Oktober 2023 einen Flugzeugträger zur Unterstützung Israels.
Ich glaube nicht, dass diese unverhältnismäßige militante Unterstützung aus humanitären Gründen erfolgt. Sie erfolgt auf Basis gemeinsamer Interessen und einer extremen evangelikalen Überzeugung, die ebenso auf einem fragwürdigen Verhältnis zum Judentum und stets auch einem Quäntchen Islamophobie beruht.
Meine Angst und ihre Angst
Aber ich werde diese Gedanken nicht mit den Menschen teilen, die neben mir in der Schlange stehen. Auch hier verstehe ich ihre Angst. Und wenn ich nun anfangen würde, mich zu streiten, dann wäre das nur meine Art ist, meiner Angst Ausdruck zu verleihen.
Dabei wünsche ich mir, dass sie auch meine Angst verstehen, denn in gewisser Weise ist es auch ihre Angst. Ich habe weniger Angst vor dem Krieg als vor dem Frieden, nicht vor dem Lärm der Flugzeuge, sondern vor der Stille danach.
Die Kriege werden enden, und die Führer werden sich die Hände reichen, und die alte Frau wird weiter auf ihren gemarterten Sohn warten, und das Mädchen wird auf ihren geliebten Ehemann warten, und die Kinder werden auf ihren heldenhaften Vater warten. Ich weiß nicht, wer die Heimat verkauft hat, aber ich weiß, wer den Preis dafür bezahlt hat.
Mahmud Darwish, palästinensischer Dichter
Meine größte Angst also gilt dem Tag danach. Es ist nicht der Iran oder die Hisbollah oder beide zusammen; meine größte Angst ist Israel. Denn wenn alles vorbei ist, wird die Mehrheit der Juden, unter denen wir leben, eine Gesellschaft voller junger Männer vorfinden, die aus Gaza als potenzielle Kriegsverbrecher zurückgekehrt sind. Sie kommen von einem Ort zurück, an dem es keine Gesetze, keine Menschenrechte und keine Regeln gibt.
Wir werden mit Menschen leben müssen, die im berüchtigten Gefängnis Sdeh Timan palästinensische Gefangene schikaniert und misshandelt haben und dafür kaum bestraft wurden.
Versagen der Rechten und Linken
Der rechte Flügel preist das als Heldentum, und der feige linke Flügel sagt: "Tut das nicht, wenn Den Haag zusieht".
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Wir werden wieder mit bewaffneten Zivilisten leben; mehr als hunderttausend jüdische Zivilisten werden uns begegnen, mit M16s auf ihren Schultern und Pistolen an ihren Gürteln. Und sie werden nicht zögern, jeden zu erschießen, der nicht wie ein Jude aussieht, einschließlich Juden arabischer Herkunft und vielleicht Äthiopier, aber ganz sicher Palästinenser.
Erinnerung an Musa Hassuna
Und es ist schon einmal passiert, lange vor dem 7. Oktober, als Siedler meinen Nachbarn Musa Hassuna erschossen, einen 31-jährigen Vater von zwei Kindern. Er wurde im Mai 2021 ermordet, und gegen die Täter wurde nicht einmal ermittelt.
Am selben Tag wurde auch Yigal Yehoshua, ein 56-jähriger Jude, getötet und seine Mörder verhaftet. Wir werden also wieder in einer Gesellschaft leben, in der "Du sollst nicht töten" zu "Du sollst keine Juden töten, aber wenn du einen Palästinenser tötest, sorgen wir für dich" wird.
Die kommende Gewalt
Diese Gewalt breitet sich auch unter den jüdischen Israelis aus. Die Männer, die mit Erlaubnis der Regierung Palästinenser töten und misshandeln, werden zurückkommen, um unter uns und unter sich zu leben. Da diese Männer die Grenze zwischen Recht und Unrecht verloren haben, werden sie diese Gewalt mit nach Hause bringen: häusliche Gewalt, Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder, Schlägereien in Bars und um dumme Parkplätze.
Wie mich mein NY-Cap rettete
Während der israelisch-palästinensischen Krise 2021, die manchmal als Intifada der Einheit bezeichnet wird, erhielt ich eine SMS, in der es hieß, in der Stadt sei eine Ausgangssperre verhängt worden. Ich war wieder auf der Straße und folgte der Einkaufsliste meiner Frau, denn wir hatten das Gefühl, dass Armageddon nahe war. Unterwegs sah ich einen bewaffneten Siedler, also setzte ich meine NY-Hip-Hop-Mütze auf und sprach ihn mit NY-Akzent an (Und ich danke dem Hip-Hop dafür.).
"Wussup man, ich habe gehört, es gibt eine Ausgangssperre".
"Na Mann, das ist nichts für uns, wir sind sicher."
Keine Hilfe von der israelischen Polizei
Ich fuhr nach Hause, und Minuten später drangen Dutzende bewaffneter jüdischer Siedler in mein Viertel ein und riefen "Tod den Arabern", während sie von der Polizei eskortiert und beschützt wurden.
Ich war zu Hause bei meiner Frau und meinen beiden Kindern. Ich war unbewaffnet, denn meine Waffe sind Stift, Papier und Mikrofon, und dieselbe Polizei, für die ich Steuern zahle, schützt die Bewaffneten, die meinen Tod herbeisehnen.
Ich habe die Polizei angerufen, nicht um Hilfe zu erbitten, sondern um den Anruf zu dokumentieren. Die Polizei hat einfach aufgelegt und gesagt: "Kümmern Sie sich selbst darum."
Die Ängste in Schach halten
Heute brauche ich meinen Therapeuten, der mir hilft und mich durch diese dunklen Tage führt, der mich berät, wie ich mit meinen Ängsten umgehen kann und gleichzeitig die Ängste der Menschen, die mit mir in der Schlange stehen, in Schach hält.
Aber auch wenn wir die Angst teilen, sind wir in der Schlange der Gefahr nicht gleich. Anstelle meines Therapeuten möchte ich daher Primo Michele Levi zitieren, einen jüdisch-italienischen Chemiker, Partisanenschriftsteller und Holocaust-Überlebenden.
Jeder ist der Jude von jemandem, und heute sind die Palästinenser die Juden der Israelis.
Nun ist dieser Tag ist gekommen. Und kein US-amerikanisches Schiff wird kommen, um uns zu retten.
Tamer Nafar ist ein palästinensischer Rapper, Schauspieler, Drehbuchautor und Aktivist mit israelischer Staatsbürgerschaft. Nafar wuchs in ärmlichen Verhältnissen in Lod auf, einer arabisch-israelischen Stadt in Israel, die unter Drogenschmuggel und Kriminalität leidet.
Im Jahr 2016 spielte Nafar als Hauptdarsteller in dem halb-autobiografischen Spielfilm Junction 48, der bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin mit dem Publikumspreis ausgezeichnet wurde.
Tamer Nafar ist außer auf YouTube auch auf Instagram, Facebook und X (Twitter) sowie auf Spotify zu finden.