Am Abgrund mit der Dollarflut

Seite 3: "Finanzielle Massenvernichtungsmittel"

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Dennoch ändern all diese „inflationären“ Rettungsmaßnahmen der Fed nichts an der fundamentalen, durch das Platzen der Spekulationsblase auf dem US-Immobilienmarkt geprägten ökonomischen Lage. Es gilt inzwischen als sicher, dass sich die USA in einer Rezession befinden – selbst wenn sich US-Finanzminister Paulson noch immer weigert, diesen Begriff öffentlich zu benutzen.

Die Welle an Zwangsvollstreckungen und Aufgaben von hypothekenbelasteten Häusern, die nun durch die Vereinigten Staaten schwappt, nimmt erst richtig Fahrt auf. Vielen der US-Hausbesitzer, die durch niedrige Einstiegszinsen zur Aufnahme von variabel verzinsten Subprime-Hypotheken geködert wurden, stehen in diesem Jahr noch Zinserhöhungen ins frischbezogene Haus. Diese Verteuerungen der Hypotheken dürften mitsamt der aufkommenden Rezession deren Ausfallraten massiv in die Höhe treiben und somit auch all die „Finanzprodukte“, in denen diese gebündelt und weltweit gehandelt wurden, weiter abwerten. Es wird gemeinhin erwartet, dass diese Lawine platzender Hypotheken erst gen Jahresende zum Stehen kommt.

Das Desaster, auf das die Vereinigten Staaten mitsamt der Weltwirtschaft zusteuern, schilderte der US-Ökonom Paul Krugman in einem Interview für das Magazin Fortune. Demnach dürften die Häuserpreise in den USA um weitere 25 Prozent fallen, während die Volkswirtschaft der Vereinigten Staaten bis 2010 – oder sogar länger – in der Rezession versinken werde. Die Möglichkeit, Häuser oftmals ohne Eigenkapital per Subprime-Kredit zu erwerben, werde sich besonders verheerend auswirken, da nun die Hypotheken oft den – fallenden – Marktwert der Immobilien übersteigen:

Ich glaube, dass die Häuserpreise stark genug fallen dürften, um 20 Millionen Menschen mit negativem Eigenkapital zu generieren. Das wäre nahezu ein Viertel aller US-Häuser. Wenn die Häuserpreise steigen oder wenn es positives Eigenkapital gibt, kann man refinanzieren oder verkaufen. Aber wenn man negatives Eigenkapital hat, kann man in Zwangsvollstreckung enden, und manche Menschen werden es vorteilhaft finden, einfach wegzugehen. Wir werden wohl 6 bis 7 Billionen an Verlusten auf dem Immobilienmarkt haben. Einiges davon werden die Hypothekengeber schultern müssen. Ich denke, dass die derzeitigen Schätzungen - von 400 bis 600 Milliarden an Verlusten - zu niedrig sind, es wird eine Billion an Verlusten bei den auf Hypotheken basierenden Wertpapieren geben, die irgendwo auftauchen werden.

Paul Krugman

Die Fragilität der derzeitigen, größtenteils deregulierten Finanzmärkte behandelte inzwischen sogar die New York Times in einem Bericht, der von einem möglichen „Domino-Effekt“ warnt: Das Verhalten der Fed im Fall von Bear Stearns unterstreiche die Befürchtungen, wonach eine einzige Pleite einer größeren Bank das gesamte Finanzsystem gefährden würde, da die Verzahnung zwischen den einzelnen Teilen des gesamten Finanzüberbaus eine besonders hohes Niveau erreicht habe:

Wall Street Firmen wie Bear Stearns stehen in Geschäftskontakten mit vielen Individuen, Unternehmen, Finanzinstituten, Pensionsfonds und Hedge Fonds. Sie führen auch milliardenschwere Geschäfte untereinander an jeden Tag durch, indem sie Wertpapiere in einem verwirrenden Tempo borgen und verleihen und somit die Räder des Kapitalismus betreiben.

Paul Krugman

Ein Großteil der problematischen Wertpapiere, der kafkaesk komplexen „Kreditderivate“, wurde aber völlig unreguliert zwischen den Finanzhäusern gehandelt. Hierzu zählen auch die Credit Default Swaps (CDS), die eine Art Versicherung auf Wertpapiere bilden sollen und wie diese auf den Finanzmärkten gehandelt wurden. Dieser CDS-Markt wuchs exponentiell und beläuft sich dank exzessiver Hebel inzwischen auf die Kleinigkeit von 45,5 Billionen US-Dollar. Die Pleite einer Bank kann somit zu einer zweistufigen Schockwelle führen, indem deren Wertpapiere wertlos, und die entsprechenden, diese versichernden CDS fällig werden. Der amerikanische Milliardär und Investment-Guru Warren Buffett bezeichnete schon 2003 Derivate als „finanzielle Massenvernichtungswaffen“.