Amerikakritik und Engagement

Bei der Eröffnungsrede zum PEN-Kongress in Berlin wirft Günter Grass dem englischen Premierminister Tony Blair und dem US-Präsidenten George Bush Lügen, Heuchelei und Verbrechen vor. Damit verbunden wird die Forderung an den Schriftsteller, sich politisch stärker zu engagieren

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Beim 49. Internationalen PEN-Kongress (Poets, Essayists, Novelists), der 1986 in Hamburg unter dem Thema Zeitgeschichte im Spiegel internationaler Literatur statt fand, war Deutschland noch ein getrenntes Land und Europa ein gespaltener Kontinent. Darauf wird auf der Homepage des diesjährigen Kongresses, der in Berlin unter der Schirmherrschaft von Horst Köhler bis zum 28. Mai tagt, hingewiesen. PEN setzt sich ein für „politisch, rassisch, religiös oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer Herkunft Verfolgte ein, insbesondere für Schriftsteller, Übersetzer, Herausgeber, Journalisten und Publizisten in aller Welt, die wegen freier Meinungsäußerung bedroht und verfolgt werden“ (PEN-Satzung Deutschland. Das diesjährige Motto fügt sich gut in die Forderungen der Satzung ein, Thema ist „Schreiben in friedloser Welt“, wobei die afrikanische Literatur einen Schwerpunkt bildet, für die der Abend des 25. Mai vorgesehen ist.

Nach den Reden des tschechischen PEN-Präsidenten Ji?í Gruša und Horst Köhler bei der Eröffnungsfeier im Berliner Hotel „Hilton“ am Gendarmenmarkt hielt Günter Grass seine Rede, in der er sehr deutlich Stellung gegen die Politik der USA nahm, die er als eine „kriminell handelnde Großmacht“ bezeichnete und betonte: „Dümmer und deshalb gefährlicher kann Politik nicht sein“. Er sieht die Welt einem hybriden Alleingang der Großmacht ausgesetzt, der mit dem Zerfall der Sowjetunion kein Gegengewicht mehr entgegengesetzt ist. Zudem wirft er den USA vor, dass sie den Terrorismus, den sie bekämpft, selbst hergestellt hat, und greift den religiös gefärbten pseudoethischen Diskurs an, der als Fassade für machtpolitische Intentionen genutzt wird:

Wann immer ihren Lügen Zugkraft mangelt spannen sie Gott ins Geschirr. Ob Bush oder Blair, die Heuchelei ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Jenen Priestern und Missionaren gleichen sie, die seit Alters her Waffen segneten und mit der Bibel den Tod in ferne Länder trugen.

Wenn er dann noch kritisiert, dass nur der „Body-Count der amerikanischen Soldaten“ mediale Wahrnehmung findet, während die durch die Politik der USA Getöteten nicht beachtet würden, kann er sich seines Applauses unter den Anwesenden sicher sein. Auch wenn man Grass mit seiner Kritik an der US-Außenpolitik zustimmt, muss dennoch die Frage gestellt werden, ob die Schärfe seiner Kritik positiv zu einem Diskurs beitragen kann, in dem sich insbesondere Deutschland bisher nicht unbedingt als ein Gesprächspartner angeboten hat, oder ob sich der Nobelpreisträger nicht in einen Elfenbeinturm der Kritik zurückzieht, in dem im Augenblick ohnehin nur Zustimmung zu erwarten ist.

Grass fordert von den Schriftstellern, dass sie, wenn sie die Kriege auch nicht aufhalten können, dennoch das Wort ergreifen sollen. Seine Forderung, gerade an die jungen deutschen Schriftsteller, politisch deutlicher Stellung zu nehmen, trifft ein Problem der deutschen Literatur, die sich weitgehend in die Befindlichkeit zurückgezogen hat. Damit fügt sich seine polemische Rede in die Forderungen einer Meinungsfreiheit gegen die Unterdrückung ein, worin die eigentliche Aufgabe von PEN liegt. Dies ist insbesondere in den nichtöffentlichen Sitzungen Thema. Zu PEN gehören auch die Komitees „Women Writers Commitee“, „Writers for peace“, „Writers in exile“ und „Writers in Prison“. An letzterem wirken 58 der über 140 PEN-Zentren aktiv mit. Writers in Prison wurde 1960 "als Reaktion auf die bedrohlich wachsende Zahl der Länder, die versuchen, Schriftsteller durch Repressionen mundtot zu machen", gegründet. Allerdings werden "Gefangene, die wegen Propagierung von Gewalt oder gar ihrer Anwendung verurteilt wurden, und solche, die zum Rassenhass aufgerufen haben, nicht unterstützt, weil ihre Aktivitäten mit der Charta des Internationalen P.E.N. unvereinbar sind.“

In vielen Ländern der Welt werden nach wie vor Schriftsteller gefangengesetzt, verfolgt, verschleppt, tätig angegriffen oder in anderer Weise bedroht, wie der Caselist von Writers in Prison zu entnehmen ist, die halbjährlich erscheint und in der alle bekanntgewordenen Fälle von Unterdrückung in diesem Bereich angeführt werden. Das Komitee beschränkt sich aber nicht nur darauf, im Nachhinein über Fälle zu informieren, sondern es werden koordinierte Blitzaktionen („rapid actions“) für Schriftsteller veranlasst, die sich in akuter Gefahr befinden.

Das Problem der Verfolgung von Schriftstellern fand aber auch Eingang in die Rede vom PEN-Präsidenten Ji?í Gruša, der sich mit seinem „Nicht einmal in Europa ist alles in Ordnung.“ in Richtung Russland wandte und der auch den Iran, die Türkei und Kuba als kritische Länder bezeichnete. Wenn das Thema „Literatur in friedloser Welt“ eine derart deutlich internationale Ausrichtung erhält, so ist damit zum einen die Betonung des über Ideologien und Nationen hinausgehenden Wertes der Literatur ausgedrückt und zum anderen wird die Aufforderung ausgesprochen, sich nicht in den eigenen Bereich zurückzuziehen, sondern sich den Problemen zuzuwenden, denen Schriftsteller weltweit ausgesetzt sind.