Amerikanischer Frühling

Lawrence Lessig will den Schwung der Occupy-Wall-Street-Bewegung für die Einberufung einer neuen Nationalversammlung nutzen

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Drei Jahre nach dem Finanzcrash von 2008 rufen Banken bereits wieder nach Steuergeld, mit dem sie "gerettet" werden sollen. Dabei steckte alleine die amerikanische Federal Reserve Bank, wie jetzt bekannt wurde, 16 Billionen Dollar in Banken und andere Finanzunternehmen, weil diese angeblich zu groß waren, um sie Scheitern zu lassen. Und drei der vier größten Finanzunternehmen sind heute größer als vor der Krise. Diese Zahlen twittert die Occupy-Wall-Street-Bewegung, die sich in den letzten Wochen (nicht zuletzt durch technische Hilfsmittel) auf zahlreiche amerikanische Städte ausbreite.

Bisher besteht die politische Antwort auf das strukturelle Problem des "Bankenrettungsbedarfs" nur darin, immer mehr Steuergeld in die Finanzinstitute zu pumpen. Diese Lösung ist wenig verwunderlich, wenn man bedenkt, wer Parteien und Politiker in den USA finanziert: Zwischen 1998 und 2008 lagen die Aufwendungen des Finanzsektors für Lobbyarbeit und Wahlkampfspenden bei über fünf Milliarden Dollar und alleine im laufenden Jahr gab die Branche bereits 170 Millionen Dollar dafür aus.

Diese Abhängigkeit prangert der als Immaterialgüterrechtstheoretiker bekannt gewordene und mittlerweile sehr populäre Harvard-Rechtsprofessor Lawrence Lessig in seinem neuen Buch Republic, Lost als Grundursache der derzeitigen Misere an, die dazu führte, dass dem Kongress Umfragen zufolge nur noch 11 Prozent der Amerikaner vertrauen - deutlich weniger, als bei der Revolution von 1776 treu zum britischen König George standen.

Lawrence Lessig. Foto: Mikegr. Lizenz: CC BY-SA 3.0.

Lessig, der vor Jahren auch in Berlin lehrte und den der Piratenpartei-Abgeordnete Fabio Reinhard der internationalen Presse als wichtigsten Theoretiker der Bewegung nannte, entwarf bereits im letzten Jahr einen Plan, wie dem strukturellen Mangel abgeholfen werden könnte: Durch einen neuen Verfassungszusatz, der den Fluss von "Corporate Money" an die Politik bis auf ein Minimum unterbinden und über Parlamentsbeschlüsse oder Volksabstimmungen in mindestens 34 Bundesstaaten und eine daraus folgende Nationalversammlung nach Artikel 5 der US-Verfassung durchgesetzt werden soll. Für die nötige Aufmerksamkeit dazu könnte die gerade aktuelle Bewegung sorgen, die Lessig in einem Text für die Huffington Post analog zum "arabischen Frühling" als "amerikanischen Frühling" lobt.

Erfolgreich kann dieser "amerikanische Frühling" nach Ansicht des Creative-Commons-Miterfinders aber nur dann sein, wenn sich Occupy Wall Street nicht als Gegenbewegung zur Tea Party abstempeln lässt, sondern sozialliberale und konservative Positionen dem Ziel unterordnet, die "Wurzel des Übels" anzugehen. Denn um zu wachsen, muss sie sich auf eine Forderung konzentrieren, auf die sich eine möglichst breite Basis von Menschen einigen kann: Die Beseitigung der Ursache dafür, dass das System korrupt ist.

Davon, dass es korrupt ist, sind auch viele konservative Amerikaner überzeugt. Und nachdem Sarah Palin angesichts fallender Zustimmungswerte ankündigte, definitiv nicht bei den Präsidentschaftswahlen 2013 zu kandidieren, Michelle Bachmann bei Umfragen in den niedrigen einstelligen Bereich absackte und Rick Perry weit hinter Mitt Romney liegt, sieht es zunehmend so aus, als ob ein plakativ zur Schau getragener Anti-Intellektualismus möglicherweise nicht mehr bei allen unzufriedenen Konservativen ausreicht, um Begeisterungsstürme auszulösen.

Um diese breite Basis für eine Verfassungsänderung zu bilden, hatte Lessig Ende September zusammen mit dem Tea-Party-Patriots-Mitgründer Mark Meckler zu einer Konferenz an der juristischen Fakultät der Harvard-Universität eingeladen. Auf der wurde man sich zwar nicht über eine neue Nationalversammlung einig, schuf aber eine Basis für weitere Gespräche.

Ein Grund für die Uneinigkeit war, dass Meckler der Auffassung ist, hinter den von Lessig entdeckten "Wurzeln des Übels" würden sich noch tiefere verbergen, die in der Größe des Regierungsapparats zu suchen seien. Allerdings, so Meckler, sei dies seine persönliche Meinung und nicht die offizielle der Tea Party Patriots. Bill Norton, der "Verfassungskoordinator" der Gruppe, gab zu, dass es bei den Tea Party Patriots noch zu viele Bildungslücken gibt, die man erst füllen müsse, bevor man eine Position zu einer neuen Nationalversammlung einnimmt.

Andere Vertreter konservativer Gruppen wie Curtis Olafson, ein Staatssenator aus North Dakota, der auf der Konferenz für die Organisation RestoringFreedom.org sprach, und Nick Dranias vom Goldwater Institute begrüßten eine neue Nationalversammlung dagegen als Gelegenheit für die Aufnahme einer Schuldenbremse in die Verfassung, während der Harvard-Rechtsprofessor Lawrence Tribe davor warnte, dass eine solche Zusammenkunft nur informell an ein bestimmtes Mandat gebunden sei, und theoretisch auch Änderungen vornehmen könnte, die die Öffentlichkeit gar nicht erwartet, was in den zehn Nationalversammlungen, die vor 1787 einberufen wurden, allerdings nicht vorkam.

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