Amoktaten haben Vorbildcharakter

Eine internationale Studie liefert den Nachweis, dass viele Amokläufer Nachahmungstäter sind und überdurchschnittlich oft auch beruflich mit Waffen zu tun haben

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Nach dem Amoklauf von Erfurt wird allerorten darüber diskutiert, ob und wie vergleichbare Gewalttaten in Zukunft verhindert werden können. Die bisherigen Erkenntnismethoden und auch das schärfste Waffengesetz Europas dürften allein noch nichts Entscheidendes bewirken, denn Experten gehen davon aus, dass Amokläufer bis zu ihrer Tat kaum Verhaltensauffälligkeiten zeigen und also im Vorhinein nicht zu identifizieren sind.

Werner Greve, Psychologe am Kriminologischen Forschungsinstitut in Niedersachsen, äußerte sich vor einigen Tagen im "Spiegel" entsprechend pessimistisch. "Amokläufe sind so wenig vermeidbar wie Naturkatastrophen." Und das einzig "Gemeinsame an Amokläufern ist der Amoklauf".

Dieser entmutigenden These widerspricht nun eine internationale Studie, die unter der Leitung des Würzburger Psychologie-Professors Armin Schmidtke erarbeitet und soeben auf einem Kongress von Suizidforschern in Washington vorgestellt wurde. Schmidkte, der an der Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie tätig ist, untersuchte mit Kollegen vom Otto-Selz-Institut in Mannheim und zahlreichen amerikanischen Experten weltweit 143 Amokfälle aus den Jahren 1993 bis 2001. Dabei gelangten die Wissenschaftler zu mehreren überraschenden Ergebnissen.

Die zeitliche Verteilung der Amoktaten ist ganz offenbar nicht zufällig, da die Gewaltaktionen in aller Regel nicht länger als 18 Tage auseinanderliegen. Die Suizid-Forscher ziehen daraus den Schluss, dass diese Verbrechen für potentielle Täter ganz offenbar Vorbildcharakter haben. Das ist insofern wenig verwunderlich, als die Amokläufer weitere auffällige Gemeinsamkeiten aufwiesen. Mit einer Ausnahme handelte es sich um junge Männer, die durchschnittlich 35 Jahre alt waren und vorwiegend aus Rachsucht töteten. Viele von ihnen hatten beruflich mit Waffen zu tun und also keinerlei technische Probleme bei der Durchführung ihrer mörderischen Pläne. Von den 143 Amoktätern waren sage und schreibe 28% Soldaten und 7% Polizisten.

Darüber hinaus erwies sich der Ablauf der Verbrechen in zahlreichen Fällen als nahezu deckungsgleich. Bei einer Reihe von Amoktätern wurden Zeitungsausschnitte und andere Dokumente über frühere Massenmorde gefunden, in Verhören berichteten die Täter, dass sie sich an entsprechenden Vorbildern orientiert hätten. Das gilt insbesondere für die Verkleidung mit Kampfanzügen und die Wahl des Tatorts, der in den Planungen der Amokschützen eine zentrale Rolle spielt. Viele bestiegen eine erhöhte Plattform oder einen Turm, um ein ausgedehntes und freies Schussfeld zu erhalten.

Die Wissenschaftler gelangen deshalb zu dem vorläufigen Schluss, dass Amoktaten überdurchschnittlich häufig imitiert werden. Damit ähneln sie Suizidhandlungen, die auch deshalb zum Vergleich herangezogen werden können, weil etwa die Hälfte der Täter dem eigenen Verbrechen zum Opfer fällt. Nationale Besonderheiten spielen dabei offenbar keine Rolle, denn das Verbrechen, an dem sich ein späterer Amoktäter orientiert, kann durchaus in einem anderen Land oder sogar Kontinent verübt worden sein.

Die kompletten Ergebnisse der Studie, die der Diskussion über die effektivste Art der Vorbeugung sicher neue Nahrung geben dürften, sollen in Kürze in der Fachzeitschrift "Suizidprophylaxe" veröffentlicht werden.