An der Tilgungsfront

Seite 3: Die Fachleute: Warum Tilgung die Schulden erhöht

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Der Ersttilger Jochen Hörisch ist - dies wird immer gerne betont - ein Literaturwissenschaftler und Schöngeist. Dies ist nicht nur als Kompliment gemeint. Sein Mannheimer Kollege Axel Börtsch-Supan ist Ordinarius für Volkswirtschaftslehre. Wenn Schöngeister sich mit Staatsfinanzen beschäftigen, müssen sie damit rechnen, dass die Fachleute in Sachen Staatsfinanzen deren Vorschläge kritisch prüfen. Börtsch-Supan hat am Massachusetts Institute of Technology promoviert, war Berater der Weltbank und der OECD. Nun berät der das Wirtschaftsministerium. Er ist im Olymp der Volkswirte angekommen. Jochen Hörisch belehrt er so:

Wir sollten uns einmal über elementare ökonomische Substitutionsbeziehungen unterhalten: es gibt genug Evidenz, dass ein solches Verhalten (Anm.: die freiwillige Schuldentilgung) die Schulden des Staates ERHÖHT und nicht senkt.

Ich erschrecke: Waren nicht seit der Einzahlung der ersten Tilgungsrate in Höhe von 14.250 Euro die deutschen Staatsschulden um weitere 200 Milliarden gestiegen? Wenn Börtsch-Supan recht hatte, dann wir auf dem besten Weg, unser Heimatland in den völligen Ruin zu führen. Dumm, dass ich das erst nach Überweisung der ersten Tilgung erfahren habe. Hätte ich Börtsch-Supan gekannt, wäre mir dieser Irrtum nicht unterlaufen. Nun bin ich endgültig in der Kategorie Don Quijote gelandet. Die Staatsschulden sind die Windmühlen.

Die Österreicher - wollen sie vielleicht tilgen?

Die Österreicher stehen in Sachen Vermögen noch besser da als ihre deutsche Nachbarn. Ich schicke ihnen einen Tilgungsplan, der vom Standard veröffentlicht wird. 543 Kommentare zeigen, dass zumindest eine Tilgungsdebatte möglich ist.

Da erreicht mich die Anfrage von Ludwig Dvorak, Chefredakteur der sozialdemokratischen (SPÖ) Zeitschrift "Die Zukunft", ob ich nicht einen Gastbeitrag rechtzeitig zur Haushaltsverabschiedung für 2011 verfassen wolle. Dvorak: "Dann könnte doch 2011 gleich mit der Tilgung begonnen werden." Die Österreicher verfügen übrigens bereits seit 2002 über einen Staatsschuldenausschuss.

Mein Telefon klingelt: Am anderen Ende ist Dr. Helene Schuberth von der Österreichischen Nationalbank. Sie berät Bundespräsident Franz Fischer. Ihr Kommentar: "Wenn jetzt getilgt würde, wäre das eine Einladung für den Staat, wieder neue Schulden zu machen". Hat sich Frau Dr. Schuberth mit Professor Börtsch-Supan und FAZ-Herausgeber Steltzner abgestimmt? Diese niederschmetternde Ansicht wird unter den freundlicheren Absagen an die freiwilligen Tilger die meist gebrauchte sein. Am Jahresende haben die Österreicher nicht getilgt. Dafür belege ich seitdem bei Google in der Kombination Tilgung+österreichische Staatsschulden die Plätze 1,4, 6 und 9. Nun ja, probieren wir es im nächsten Jahr noch einmal.

Bitte nicht zitieren - Warum es keine Tilgungsdebatte gibt

Wenn man bei Google die Worte "Tilgung" und "Staatsschulden" in beliebiger Kombination eingibt, landet man auf Platz eins immer bei einem Artikel im Online-Magazin Telepolis Ist die Tilgung der deutschen Staatsschulden möglich? vom 15. November 2010. Das bedeutet aber nicht, dass Telepolis so viel gelesen wird, sondern auch, dass das Thema "Tilgung von Staatsschulden" derart exotisch ist, dass es sich in vielgelesenen Mainstream-Seiten erst gar nicht findet. Das liegt wiederum nicht an der Ignoranz der Redakteure, sondern daran, dass es bisher keine Debatte zur Tilgung von Staatsschulden gibt.

Redaktionen verstehen sich selten als Initiatoren von Diskursen. Sie möchten Geschehenes kommentieren und präsentieren, aber nicht selbst das Geschehen machen. Seltene Ausnahmen wie die Unterstützung der BILD-Zeitung für Thilo Sarrazin zeigten zudem, wie schnell das Engagement nach hinten losgeht, wenn der Initiator selbst in die Schusslinie gerät.

Damit es eine Debatte über Tilgung gibt, müssten aber auch unterschiedliche Stimmen und Medien zitiert werden - das aber lehnt zum Beispiel die Süddeutsche Zeitung ab. Sie forderte von mir, in einem Gastbeitrag über Staatsschulden nicht nur meine Kritik an der Medienberichterstattung und natürlich den Link zur Tilgungsinitiative zu entfernen, sondern sogar den Hinweis auf ein Spiegel-Interview mit dem Wirtschaftsprofessor Stefan Homburg. Die Redaktion in einer Mail an mich: "Hallo Herr Dill, jetzt habe ich doch noch eine Frage: Sie zitieren in Ihrem Artikel den SPIEGEL und den Kollegen Mahler, dem Homburg ein Interview gegeben hat. Das sieht natürlich in der SZ ein bisschen komisch aus, finden Sie nicht auch? Kann man den Spiegel raus nehmen und einfach nur schreiben, Homburger sagte in einem Interview?"

Jede größere Debatte aber lebt davon, dass einer sagt, der andere habe dort das gesagt und so weiter. Ohne Dialog sterben unsere Debatten an Autismus.