Angriffe auf Blockierer der Letzten Generation: Warum Sie auf die Polizei warten sollten
- Angriffe auf Blockierer der Letzten Generation: Warum Sie auf die Polizei warten sollten
- Wer Aktivisten verletzt, muss gute Gründe haben
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Wachsender Unmut über Straßenblockaden. Autofahrer gehen gegen Blockierer vor. Doch was ist Notwehr, was Selbstjustiz? Eine Analyse.
Unlängst hat der Expertenrat für Klimafragen die Maßnahmen der Bundesregierung in Sachen Klimaschutz als unzureichend bewertet. Das unabhängige Wissenschaftlergremium hatte zuvor den Entwurf des Klimaschutzprogramms für 2023 geprüft. Der 130-Punkte-Plan der Regierung wirke zwar auf den ersten Blick ambitioniert, weise aber diverse Unklarheiten und Lücken auf.
Die im Klimaschutzgesetz verankerten "Sektorziele" für einzelne volkswirtschaftliche Bereiche, ließen sich so nicht erreichen. Diese Erkenntnis weist darauf hin, dass Regierung und Gesellschaft ihre Anstrengungen verstärken müssen.
Dennoch wächst der Unmut gegen Aktivisten der Letzten Generation, denen in den vergangenen Monaten der zweifelhafte Titel "Klimakleber" zuteilwurde, stetig. Laut einer Studie des Instituts für Kriminologie (Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Hamburg) in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) waren im Februar 2023 zwar etwa drei Viertel der Befragten besorgt wegen des Klimawandels.
Gefragt nach ihrer Meinung zu Protestformen, hielten die Befragten das Blockieren des Straßenverkehrs, um Maßnahmen gegen den Klimawandel zu fordern, zu etwa zwei Dritteln für völlig falsch. Nur etwa zehn Prozent der Befragten hielt die Protestform für (eher) richtig.
Diese Haltung in der Bevölkerung kann kaum überraschen. Sie ist nicht nur in diversen Medien, sondern auch auf sozialen Netzwerken in den letzten Monaten sehr deutlich geworden. Auch Regierungsmitglieder äußern parteiübergreifend und größtenteils offen, dass sie die Maßnahmen der Letzten Generation missbilligen.
Naheliegend ist daher auch, dass sich nicht nur in Bundes- und Landesebene der Regierung, sondern auch unter den unmittelbar von Blockadeaktionen Betroffenen Tatendrang breit macht. Immer wieder kam es zu Übergriffen auf die Aktivisten, um die Blockaden zu beenden.
Nicht nur gegen die Klimaaktivisten, die größtenteils der Nötigung beschuldigt werden, sondern auch gegen zahlreiche Autofahrer laufen daher inzwischen Verfahren wegen Körperverletzung, teils sogar wegen schwerer. Etwa 140 Ermittlungsverfahren wurden unter anderem in Hamburg, Leipzig und München bereits eingeleitet.
Fälle wütender Autofahrer oder Passanten sind darunter, die Aktivisten nicht nur von der Straße zerrten, sondern ihnen in den Bauch traten, versuchten, ihre Hand mit einem Feuerzeug anzuzünden oder ihnen sogar mit dem Auto über den Fuß fuhren. Viele der Beschuldigten sind der Ansicht, zurecht so gehandelt zu haben. Stimmt das?
"Sie müssen nicht auf die Polizei warten"
Mit diesem Zitat machte der Kölner Anwalt für Medienrecht, Ralf Höcker, vergangenes Jahr via Twitter auf sich aufmerksam. Er versicherte von den Blockaden der Letzten Generation beeinträchtigten Autofahrern auf der Plattform, sie müssten nicht auf die Polizei warten, sondern könnten bei einer Straßenblockade eigenmächtig im Rahmen ihres Notwehrrechts gegen die Aktivisten vorgehen.
Auch "Verletzungen, zum Beispiel an den Handflächen der Klimaaktivisten, sind hinzunehmen und ändern nichts am Notwehrrecht des Autofahrers", so Höcker in seinem Posting.
Mit der Auffassung, Autofahrern stehe bei Blockadeaktionen regelmäßig ein Notwehrrecht zu, ist er keineswegs allein. Das Notwehrrecht ist in § 32 des Strafgesetzbuches (StGB) verankert. Es liegt vor, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Zunächst muss eine Notwehrlage bestehen – diese setzt einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff auf ein rechtlich geschütztes Interesse voraus.
In einem zweiten Schritt prüfen Gerichte dann, ob eine geeignete Notwehrhandlung vorgenommen wurde, die im konkreten Fall auch erforderlich und geboten war.
Dass eine Notwehrlage gegeben ist, wird man in den meiste Fällen bei den Fahrbahnblockaden bejahen können. Nach Ansicht der Juristen Eric Hilgendorf und Elisa Hoven liegt bei den Fahrbahnblockaden ein gegenwärtiger und rechtswidriger Angriff auf Fortbewegungs- und Handlungsfreiheit der Betroffenen vor.
Ausführlicher äußerte sich der ehemalige Bundesrichter Thomas Fischer. Auch er sieht in den Blockaden einen Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht einer Vielzahl von Personen, der gegenwärtig und rechtswidrig sei. Rechtswidrig, weil nicht gerechtfertigt, denn es gebe kein Recht, andere Personen für die eigene Meinungskundgebung zu instrumentalisieren.
Die Prüfung der Rechtswidrigkeit des Angriffs ist nicht ganz einfach. Wo die Grenze der verfassungsrechtlich garantierten Meinungs- und Versammlungsfreiheit und damit der Rechtmäßigkeit der Protestaktionen liegt, muss immer sachlich abgewogen werden.
Meinungen, die sich aus einem "Ausnahmezustand" herleiten, wiegen nicht schwerer als andere, das ergibt sich schon aus dem Gleichheitsgebot in Art. 3 des Grundgesetzes (GG).
Insbesondere werden sogenannte Fernziele wie der Klimaschutz bei der Bewertung der Verwerflichkeit von Protestaktionen nicht berücksichtigt. Nicht verwerflich und damit auch keine rechtswidrige Nötigung sind dagegen sozialadäquate Handlungen, etwa das Präsentieren von Plakaten in der Fußgängerzone.
Zu solchen sozialadäquaten, weil kaum eingriffsintensiven Handlungen zählen die Straßenblockaden der Letzten Generation aber wohl nicht mehr.
Scheitern kann das Notwehrrecht von Blockade-Betroffenen außerdem an der jeweiligen Notwehrhandlung. Liegt eine Notwehrlage vor, darf der Notwehrtäter Gewalt mit Gewalt bekämpfen, um damit den Angriff endgültig abzuwehren.
Das Losreißen der Aktivisten von der Straße und das Wegtragen der Personen eignet sich vor allem in einer solchen Situation als Notwehrhandlung, denn der Angriff kann so endgültig beendet werden.
Weiterhin muss die Notwehrhandlung erforderlich und auch geboten sein.
Die Rechtsprechung hat dazu einige Grundsätze aufgestellt. Die (von der Tat selbst einerseits und der Notwehrhandlung andererseits) betroffenen Rechtsgüter dürfen nicht gegeneinander abgewogen werden. Notwehr ist zudem unzulässig, wenn der in Notwehr Handelnde sie provoziert hat oder mit seiner Notwehrhandlung weit über das hinausschießt, was zur Abwehr des Angriffs erforderlich ist. In dieser Frage kommt es, wie so oft in juristischen Prüfungen, auf den Einzelfall an.
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