Armageddon bei Unternehmenskrediten?

Steigt die Zahl der Unternehmenspleiten tatsächlich stark an, dann könnten die mehr als 50 Billionen Dollar an ausstehenden Kreditderivaten die Probleme der Finanzmärkte in ungeahnte Höhen katapultieren

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Sieht man einmal von den Problemen des Finanzsektors ab, dann fehlt in der aktuellen Finanzkrise noch das sonst typische Element stark ansteigender Unternehmenspleiten. So ist die Ausfallsrate von US-Hochzins-(“Junk”)-Anleihen, die laut der Ratingagentur Moody's im vergangenen November mit 0,87 Prozent einen Tiefststand verzeichnet hatte, zuletzt nur leicht auf 1,28 % angestiegen. Zwar erwartet die Agentur Moody's dass diese Quote in den USA bis Jahresende noch auf 5,4 Prozent ansteigen wird (und in Europa auf 3,4 Prozent).

Allein das wäre indes keine Überraschung, vielmehr scheinen die Finanzmärkte bereits fest von einer solchen Entwicklung auszugehen, wie das starke Ansteigen der Risikoaufschläge gegenüber US-Staatsanleihen gleicher Laufzeit für Unternehmensschuldner mit schlechter Bonität demonstrieren. Diese haben zuletzt bereits mehr als acht Prozentpunkte erreicht, wobei laut einer Grafik des Economist die letzten beiden Male, als diese Risikospreads derartige Niveaus erreich hatten, auch die tatsächlichen Ausfallraten bereits wesentlich höher gelegen hatten, etwa bei 9,43 Prozent im Jahr 1990 und 5,44 Prozent im Jahr 2000.

Was den britischen „Economist“ in seiner jüngsten Ausgabe aber von Armageddon sprechen lässt, sind die systemischen Probleme, die sich aus dem Ansteigen dieser Konkursquote ergeben könnte. Denn während sich die realen Ausfälle derzeit noch immer nahe ihrer historischen Tiefststände bewegen, müsste sich das am schnellsten wachsende Segment der Finanzmärkte, der Transfer von Kreditrisiken, einer ersten Bewährungsprobe stellen, sollte sich das wie erwartet bald ändern.

Denn mit Derivaten können Händler das in einem Kreditinstrument enthaltene Risiko in handelbare Komponenten verpacken. So lässt sich das Zinsrisiko über Zinsswaps isolieren, das Wechselkursrisiko über Devisenderivate und das Kreditrisiko eben über Kreditderivate. Theoretisch können die jeweiligen Risiken nun viel einfacher von jenen übernommen werden, die dazu am besten imstande sind - was nach mikroökonomischer Theorie die Effizienz des Finanzsystems verbessern sollte, wie vor allem der frühere Fed-Chef Alan Greenspan immer wieder betont hat. Der sah vor allem den Vorteil, dass die Banken, die ja mit sehr hohen Fremdkapitalanteilen arbeiten, ihre Kreditrisiken an stabile inländische und ausländische Institute verkaufen könnten, was das Finanzsystem als Ganzes stabiler machen sollte.

The CDS is probably the most important instrument in finance. What CDS did is lay-off all the risk of highly leveraged institutions - and that's what banks are, highly leveraged - on stable American and international institutions.

Ex-Fed-Chef Alan Greenspan im Mai 2006

Dementsprechend wurden Kreditderivate ab 2000 zum am schnellsten wachsenden Segment der Finanzmärkte. Denn durch die in den letzten Jahren extrem niedrigen Ausfallsraten konnten die Risikokäufer jahrelang ihre Prämien kassieren, ohne Verluste tragen zu müssen, während die Prämien dadurch so weit zurückgegangen waren, dass die ursprünglichen Kreditgeber ihre gesamten Risiken verkaufen konnten, aber dennoch – weil die Kreditzinsen über den Risikoprämien lagen – positive Erträge kassierten. So lag laut einer im Dezember veröffentlichten Studie der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich die Nominale an brutto ausstehenden Kreditderivaten am OTC-Markt, bei dem die Kontrakte nicht über eine Börse, sondern individuell („Over the Counter“) gehandelt werden, im Jahr 2000 noch unter einer Billion Dollar und ist von weniger als fünf Billionen Mitte 2004 bis Mitte 2007 auf 51 Billionen (= 51.000 Mrd.) Dollar angestiegen. Die Gesamtschulden der US-Unternehmen, auf die der Großteil der CDS geschrieben wurde, liegen laut der US-Notenbank Fed bei vergleichsweise bescheidenen 6,3 Billionen USD.

Unsicherheiten bei Kreditderivaten könnten Finankrise verstärken

Die am häufigsten gehandelten Kreditderivate, die „Credit Default Swaps“ (CDS), bieten dabei eine Ausfallversicherung für Anleihen oder Kredite, die wirksam wird, sofern es zu einem bestimmten „Kreditevent“, wie z.B. einem Zahlungsausfall oder einem Konkurs des Schuldners kommt. Man kauft damit also eine Option, eine Anleihe (bzw. einen Kredit) bei Eintreten des vereinbarten Kreditevents zu einem festgelegten Preis verkaufen zu können. Trifft so ein Event ein, dann tritt der Verkäufer des Derivats (der Risikokäufer) in die Verpflichtung des Schuldners ein und hält den Risikoverkäufer schadlos. Dafür erhält er eine regelmäßige Prämie (den „CDS-Spread“) und im Ausübungsfall erhält er die geplatzte Anleihe samt der sich daraus ergebenden Rechte, z.B. aus der Konkursmasse oder aus einer Restrukturierung. Bei reinem „Cash-Settlement“ erhält hingegen der Käufer die Differenz zwischen der Nominale und dem nun niedrigeren Marktwert des Papiers in Bar ausbezahlt.

Solche Kreditderivate sind dabei nicht grundsätzlich schlecht, zumindest haben sie sich , so Simon Johnson, Chefökonom des IWF, seit Ausbruch der Finanzkrise als hervorragender Indikator für herannahendes Unheil erwiesen. So sind die Märkte für CDS sehr liquide und schlechte Nachrichten treiben die in Basispunkten ausgedrückte Jahresprämie für die Kreditabsicherung (den CDS-Spread) eines bestimmten Kreditnehmers sofort in die Höhe. So hatte sich das Übergreifen der Subprime-Krise auf Europa zuerst bei den CDS gezeigt. Nun steigen aber auch die Spreads für erstklassige Unternehmen deutlich an, was Johnson einige Sorgen bereitet – und er sorgt sich nicht nur um die betroffenen Unternehmen, sondern um die Finanzmärkte insgesamt.

Denn obwohl kaum gesicherte Daten über die Verteilung der Kreditderivate auf die einzelnen Kreditnehmer vorliegen, ist allein schon aufgrund des gewaltigen Volumens jedenfalls gewiss, dass ihr Volumen bezogen auf die meisten Unternehmensschulden die tatsächlich ausstehenden Unternehmensanleihen um ein Mehrfaches übersteigen dürfte. Kommt es nun zu einem Ansteigen der Unternehmenszusammenbrüche, könnten sich daraus einige unangenehme Effekte für die betroffenen Schuldner und für das Finanzsystem insgesamt ergeben.

Henry Hu und Bertram Black von der Law University of Texas sprechen von einer „Entkoppelung“ des formalen Anleihen-Eigentums vom ökonomischen Kreditrisiko, das zu einem Bruch mit traditionell üblichen Verhaltensweisen führen kann. So sollte ein normaler Unternehmensgläubiger stark daran interessiert sein, eine Insolvenz seines Schuldners zu verhindern. Er würde daher geneigt sein, im Krisenfall einer Restrukturierung der Schulden des Unternehmens zuzustimmen und etwa eine Friststreckung zu akzeptieren. Hat er die Kreditrisiken via CDS verkauft, liegt sein Interesse eher daran, ein Kreditevent herbeizuführen, das ihm die Auszahlung aus den CDS einbringt. Hu und Black vermuten nun – insbesondere da bei einem substantiellen Anteil der CDS Hedge Fonds auf mindestens auf einer Seite des Deals stehen –, dass sich im Markt jede Menge an Strategien etabliert haben, bei denen ein „negatives“ Kreditengagement besteht. Dabei besteht einerseits eine direkte formelle Kreditvergabe an ein Unternehmen durch den Kauf von dessen Anleihen, die im Krisenfall die entsprechenden Mitspracherechte einräumt. Gleichzeitig wurde aber auch eine höhere Absicherung via CDS gekauft, so dass durch rigides Verhandeln im Krisenfall Kreditevents produziert werden, wobei die Ausfälle aus der direkten Anleihe durch die CDS mehr als kompensiert werden.

Darüber hinaus lässt sich durch den Risikotransfer auch nicht mehr feststellen, wer denn nun tatsächlich für die Ausfälle geradestehen muss, und da der Käufer erst nach dem Kreditevent (bzw. bei Cash-CDS gar nicht) aus seinen Kreditrisiken formale Rechte erhält, die ihm die Mitsprache im Restrukturierungs- oder Konkursfall einräumen, dürften zusehends Unternehmen aufgrund ansonsten womöglich nur vorübergehender Zahlungsstockungen in den Konkurs getrieben werden. Umgekehrt könnte bei nicht-Cash CDS, die gekauft wurden, ohne dass der Käufer den betreffenden Bond besaß, der Fall eintreten, dass dieser nach dem Kreditevent den Bond am Markt aufkaufen muss, da er ihn physisch an den Risikokäufer zu übergeben hat. Das treibt den Marktpreis des geplatzten Bonds nach oben, so dass wiederum die Halter von Cash-CDS weniger bekommen, als sie erwartet hatten.

Ob sie denn überhaupt etwas bekommen, hängt wiederum von der Solvenz des Risikokäufers ab. Wäre das ein Hedge Fonds, dann ist der in der Regel dazu verpflichtet, bei dem Dealer, der den Kontrakt arrangiert, eine bestimmte Margin als Sicherheit zu hinterlegen, die täglich neu berechnet wird. Verschlechtert sich also die Bonität des zugrunde liegenden Kreditnehmers oder auch des Garanten, dann muss der Risikokäufer zwar Geld nachschießen, dies ist aber dennoch immer nur ein bestimmter Prozentsatz der im Krisenfall fälligen Summe, der anhand von Modellen berechnet wird, die auf historischer Daten beruhen.

Angesichts der in den vergangenen Jahren sehr niedrigen Ausfallsraten bei Unternehmenskrediten dürften sich diese Modelle aber rasch als zu optimistisch erweisen, kommt es tatsächlich zu dem befürchteten Anstieg der Insolvenzraten. Dementsprechend hat etwa die Investmentbank Merrill Lynch bereits 3,1 Mrd. USD an Rückstellungen in die Bilanz genommen, sollten einzelne ihrer Kredit-Garanten den Verpflichtungen nicht nachkommen können. Vorerst betraf das aber vor allem CDS, die den Ausfall von mit Hypotheken unterlegten Anleihen absichern sollten.

Zudem sind die CDS-Verträge so weit standardisiert, dass sie den realen Verhältnissen niemals exakt entsprechen. Deswegen muss im Krisenfall erst einmal geklärt werden, ob tatsächlich ein Kreditevent eingetroffen ist. Nicht zuletzt werden CDS in der Regel mündlich abgeschlossen und erst mit einiger Verzögerung schriftlich fixiert. Das macht umfangreiche juristische Auseinandersetzungen absehbar, die erst geklärt werden müssen, bevor die Unsicherheit darüber, wer nun wirklich welche Verpflichtungen zu tragen und wer welche Gelder zu bekommen hat, erst nach Abschluss der gerichtlichen Instanzenzüge aus dem Markt sein wird. Das wiederum wird die Unsicherheit über die Bonität der Finanzmarktteilnehmer wohl kaum verringern, die bereits seit dem Ausbruch der Subprime-Krise den Kreditfluss innerhalb des Finanzsektors erheblich behindert.