Arzneimittelknappheit in Iran

"Westliche Pharmaunternehmen sanktionieren uns"

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Kollateralschaden einer notwendigen Politik? Infolge der Sanktionen gegen Iran fehlen dort Medikamente zur Behandlung von Krebskranken, Blutern, MS-Erkrankten, HIV-Patienten und Personen mit Thalassämie. Das Land ist auf Importe von Arzneimitteln und medizinischer Geräte angewiesen; westliche Pharmafirmen und Herstellerfirmen scheuen den Export nach Iran, weil die Abwicklung durch die Sanktionen erschwert ist, insbesondere der Zahlungsverkehr. Wahrscheinlich fürchtet man dort auch um das Image und will nicht auf einer Liste von Exporteuren auftauchen, die Geschäfte mit Iran machen. In der Kosten-Nutzenrechnung ist das Geschäft zu aufwendig.

Bereits im Oktober machte UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon darauf aufmerksam, dass die Sanktionen gegen Iran signifikante Auswirkungen auf die Bevölkerung hat, höhere Lebenshaltungskosten, Inflation, steigende Arbeitslosigkeit, Güterknappheit - und eine mangelhafte Arzneimittel-Versorgung. In dazu gehörigen Berichten wurde Ban Ki-Moons Warnung mit der Angabe ergänzt, dass "Millionen von Menschenleben" in Gefahr seien.

Am Wochenende schob der Guardian das Thema noch einmal in den Vordergrund. Hundertausende Iraner seien durch die nicht-intendierten Folgen der Sanktionen einem "unmittelbaren Risiko" ausgesetzt; die Ausnahmeregelungen, welche die Sanktionen für die medizinische Versorgung vorsehen, würden in der Praxis nicht funktionieren. Die Pharmaunternehmen, Zulieferer von medizinischen Geräten und die Banken würden angesichts des bürokratischen Aufwands und des Reputationsschadens, die mit den Exporten verbunden sind oder zur Folge haben können, den weniger beschwerlichen Weg gehen und das Geschäft lassen, wie ein britischer Offizieller erklärt.

The problem is that for some of the big pharmaceutical companies and banks it's just not worth the hassle and the risk of reputational damage, so they just steer clear.

Vertreter der indischen Pharmaindustrie bestätigen die Vorbehalte. "Die USA sind für die meisten indischen Unternehmen ein überaus wichtiger Markt. Iran ist dagegen klein. Deswegen reagieren die Unternehmen vorsichtig auf Geschäftsangebote aus Iran. Anderseits ist der Nachschub über Händler und über Dubai eine Ausweichmöglichkeit".

Hintergrund für die Aussage war die Reise nach Teheran von Vertretern größerer indischer Arzneimittelhersteller, Ranbaxy, Cipla, Glenmark und Ind-Swift Laboratories, um mögliche Lieferungen zu besprechen. Die indischen Unternehmen signalisierten, trotz der geäußerten Bedenken, Bereitschaft; man steht auch schon seit längerem in Geschäftsbeziehungen. Westlichen Pharmaunternehmen wird dagegen vom Chef des größten iranischen Arzneimittelherstellers, Darou Pakhsh, unterstellt, dass sie aktiv bei den Sanktionen mitmachen. Sie wollten nichts mehr mit Iran zu tun haben, wird er vom Guardian zitiert. Man verkaufe seiner Firma nicht einmal mehr Geräte zur Sterilisierung, die für die Produktion von Arzneimitteln unentbehrlich sind.

The west lies when it says it hasn't imposed sanctions on our medical sector. Many medical firms have sanctioned us.

Naser Naghdi, Generaldirektor von Darou Pakhsh

Aus den USA werden dem harte Worte des Sprechers des Finanzministeriums, John Sullivan, entgegengehalten: "Wenn es wirklich einen Notstand bei der Versorgung Irans mit einigen Arzeimitteln gibt, dann ist dies den Entscheidungen der iranischen Regierung und nicht der amerikanischen geschuldet."

Die Häme in der Aussage bestätigt jene Beobachter, die der US-Regierung unterstellen, dass auch die Rede von gezielten Sanktionen, die nur die Schaltzentralen der führenden Elite anvisieren, Täuschung ist, tatsächlich würden es die USA und ihre Verbündeten freilich darauf anlegen, dass die Zivilbevölkerung leidet, um den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Dass dieses schlicht gezeichnete Hebelschema funktioniert, dafür gibt es allerdings kaum Anzeichen.

Der Schwarzmarkt für Medikamente blüht infolge der Sanktionen. Der Schmuggel von Arzeimitteln würde lange Transportwege und ungewöhnliche Transportmittel ("Esel") erfordern, was der Qualität der Arzeimittel nicht förderlich ist. Zudem bleibt auf dem Schwarzmarkt immer die Frage, wie verlässlich das Mittel ist, dessen Herkunft nicht klar ist. Auch Exiliraner betätigen sich einem BBC-Bericht zufolge als "Ersatzapotheker" - für leichter erhältliche Arzneimittel.

Auf dem offiziellen Markt profitieren Firmen, die mit den Revolutionären Garden verbunden sind, so der Guardian. Laut LA-Times hat die Regierung Obama schon im November "stillschweigend" eine Erleichterung des Medikamentenhandels mit Iran auf den Weg gebracht. Im Bericht klingt an, dass die Klagen aus Iran über die schlechte Versorgungslage von notwendigen Medikamenten auch als Propagandakrieg verstanden werden.

Dem will man nun mit dem Abbau bürokratischer Hürden eine Grundlage entziehen. Ob das reicht? Und weshalb hat die Obama-Regierung die Restriktionen außerhalb der öffentlichen Aufmerksamkeit ("Quietly") erleichtert? Weil man nicht zugeben wollte, dass die Sanktionen nicht so zielgerichtet funktionieren, wie man das nach außen darstellt?