Atom- und Kohleausstieg gleichzeitig machbar

Die Energie- und Klimawochenschau: Über Vorschläge für die Klimaschutzlücke, Risiken beim AKW-Rückbau und einen uneinsichtigen Innenminister

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Ein gleichzeitiger Ausstieg aus Atom- und Kohleverstromung ist möglich. Das ist das Ergebnis einer Studie des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme Saarbrücken (IZES) im Auftrag des rheinland-pfälzischen Wirtschaftsministeriums. Bis 2040 könnte der Kohleausstieg vollzogen sein. "Damit widersprechen wir der Kohleindustrie und Bundesregierung, die uns seit Jahren erklärt, dass man den Kohleausstieg nicht gleichzeitig mit dem Atomaussteig beginnen kann", erklärte Wirtschafts- und Energieministerin Eveline Lemke.

Untersucht wurden die Aspekte Versorgungssicherheit, Kosten, Auswirkungen auf das Klima sowie die Möglichkeiten der rechtlichen Umsetzung. Die Studie lässt berechtigte Zweifel daran aufkommen, ob die CO2-Minderungsziele der Bundesregierung mit den bisher beschlossenen Maßnahmen des Aktionsplans Klimaschutz erreichbar sind. Zur Schließung der Klimaschutzlücke bis 2020 sei eine Reduktion des CO2-Ausstoßes um 90 Millionen Tonnen nötig, von den Maßnahmen der Bundesregierung werden nach eigener Berechnung jedoch nur 62 bis 78 Millionen Tonnen abgedeckt. Da nicht klar sei, inwieweit die angestrebten Maßnahmen zielführend sein werden, empfehlen die Autoren des IZES, mindestens 50 Millionen Tonnen durch den Kraftwerkspark einzusparen.

Unter rechtlichen Aspekten sei es dabei am günstigsten, klare Transformationsziele zu benennen, also bestimmte Abschaltdaten, Restlaufzeiten oder Reststrommengen zu definieren. Eine Begrenzung der CO2-Mengen sei weniger zu empfehlen, da dies zu Konflikten mit dem Europäischen Emissionshandelssystem führen würde. Allerdings müsste auch bei Restlaufzeiten oder Reststrommengen entsprechend CO2-Zertifikate vom Markt genommen werden. "Grundsätzlich können den Anlagenbetreibern mit Blick auf die höherrangigen Ziele des Klimaschutzes wirtschaftliche Belastungen zugemutet werden", heißt es in dem Gutachten, Entschädigungsansprüche würden durch die erörterten Instrumente nicht ausgelöst, wohl aber dann, wenn ein Kraftwerk in die Reserve geschickt würde.

Auch finanzielle Belastungen von fossilen Stromerzeugern seien zulässig, etwa eine Energiesteuer auf Kohle oder andere fossile Brennstoffe sowie "die Erhebung eines nichtsteuerlichen Geldbetrags, den die Betreiber fossiler Kraftwerke (direkt) an die Übertragungsnetzbetreiber zu zahlen hätten, und dessen Einnahmen in die EEG-Umlage fließen würden".

Angesichts der jüngsten Kohledebatte sind die politischen Erfolgsaussichten solcher Vorschläge wohl gering. Interessant wäre auch die Frage, ob das Abschalten von Kohlekraftwerken finanzielle Auswirkungen auf den Atomausstieg hätte. Schließlich bestehen schon jetzt berechtigte Zweifel an der Haftungs- und Zahlungsbereitschaft der Stromkonzerne. Die Aufspaltung von E.on im kommenden Jahr könnte dem Zweck dienen, die Haftungsmasse zu begrenzen. Aber auch bei anderen Stromkonzernen wird seit langem vermutet, dass die Rückstellungen nicht wirklich als Geldwert vorhanden sind. Stecken sie nun in Anlagen, die durch den Umbau des Energiesystems ebenfalls abgeschaltet werden müssten, dann würde der entsprechende Geldwert quasi verschwinden.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, will nun mit einem neuen Gesetz die Kraftwerksbetreiber zu einer längeren Haftung verpflichten. "Wir müssen verhindern, dass am Ende der Steuerzahler haftet, wenn die Rückstellungen für den Rückbau der Atomkraftwerke und die Endlagerung nicht reichen. Das haben wir im Koalitionsausschuss vereinbart, jetzt muss sich unser Koalitionspartner auch im Kabinett dazu bekennen", sagte Gabriel gegenüber der WAZ. Ob die Rückstellungen besser durch eine Stiftung oder ein Fondsmodell gesichert werden sollten, dazu wollte sich Gabriel nicht äußern.

Atommüllkonferenz fordert mehr Sicherheit beim Rückbau

Umweltverbände und Anti-Atominitiativen fordern derweil, beim Rückbau von Atomkraftwerken und der Entsorgung strahlender Abfälle verstärkt auf die Sicherheit der Bevölkerung zu achten. In einer Atommüllkonferenz erarbeiteten 76 Gruppen und Verbände das Positionspapier "Abschaltung, Stilllegung und Rückbau von Atomkraftwerken".

"Nach Abschaltung von nunmehr neun Atomkraftwerken infolge der Fukushima-Katastrophe 2011, bergen die jeweiligen Stilllegungsverfahren und Rückbaupläne großes Konfliktpotential. Laufende Verfahren lassen weder von Betreiberseite noch von der Politik ein ernsthaftes Interesse erkennen, die Sicherheit der Bevölkerung in den Vordergrund zu stellen", heißt es in der Pressemitteilung.

Kühltürme des stillgelegten AKW Biblis A. Bild: Kuebi/CC-BY-3.0

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Energieunternehmen seien an möglichst kostengünstigen Lösungen interessiert, Kommunen daran, Atomanlagen so schnell wie möglich verschwinden zu lassen. Neben der vollen Haftung der Atomkonzerne, die durch die Einzahlung in einen öffentlich-rechtlichen Fonds garantiert werden soll, fordert die Atommüllkonferenz eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen. Zunächst müsse die Stilllegung der AKW unumkehrbar gemacht werden. Bei den neun bisher abgeschalteten AKW sei dies nicht der Fall. So stellten RWE und E.on die Stilllegungsanträge für Biblis A und B, Isar/Ohu1, Esenshamm und Grafenrheinfeld vorbehaltlich des Ausgangs der Klage vor dem Bundesverfassungsgericht.

Zudem sollte die Öffentlichkeit beim Rückbaukonzept beteiligt werden. Mit dem Rückbau dürfe nicht begonnen werden, bevor nicht alle Brennelemente aus der Anlage entfernt seien. Transporte von strahlenden Materialien seien zu vermeiden und dürften wenn dann nur unter höchsten Schutzmaßnahmen erfolgen. Im Jahr 2012 seien beispielsweise Teile des AKW Obrigheim ungekennzeichnet per Schiff nach Lubmin transportiert worden.

Einsatz gegen Klimaaktivisten "verhältnismäßig"

Über die Blockade des Tagebaus Garzweiler und den Polizeieinsatz gegen Klimaaktivisten wie auch Journalisten wurde an dieser Stelle bereits berichtet (Stillstand in Garzweiler). Der Polizeieinsatz wurde von verschiedener Seite als unverhältnismäßig kritisiert, zudem wird der Polizei zu enge Kooperation mit RWE und dem von RWE beauftragten privaten Sicherheitsdienst vorgeworfen.

Screenshot aus dem Video von Graswurzel TV über die Aktion Ende Gelände.

Der WDR berichtete über die Beteiligung von RWE an der Einkesselung von Demonstranten, Fotos zeigten einen RWE-Mitarbeiter, der einen der Protestierer zu Boden drückte. Ein Mitarbeiter der privaten Sicherheitsfirma IWSM, die während der Aktion "Ende Gelände" in Garzweiler im Einsatz war, bezeugte im Interview, dass die Wachschützer von sich aus Gewalt gegen die Klimaaktivisten angewandt hätten. Während die Aktivisten zumeist weggelaufen seien, hätten sie die Anweisung gehabt, sie festzuhalten, mit Kabelbindern zu fesseln und der Polizei zu übergeben.

Am 27. August sollte der Polizeieinsatz eigentlich im Innenausschuss des nordrhein-westfälischen Landtags thematisiert worden. Allerdings verließ Innenminister Ralf Jäger vorzeitig die Sitzung, bevor das Thema erörtert werden konnte. Jäger hat bislang lediglich einen schriftlichen Bericht vorgelegt. Darin erklärt er die getroffenen Maßnahmen auf der Basis der ihm vorliegenden Informationen als verhältnismäßig. Das Vorgehen der Aktivisten wird in dem Bericht als zum Teil gewaltsam bezeichnet, u.a. seien Regenschirme und Fahnenstangen als Schlagwerkzeuge eingesetzt worden.

Was den Vorwurf der Zusammenarbeit mit RWE angeht, beschreibt die Kreispolizeibehörde Düren zwei Vorgespräche mit dem Unternehmensvertretern am 4. und 11. August. "In diesen Gesprächen wurde u.a. nochmals deutlich gemacht, dass die Polizei erwartet, dass die RWE Power AG alle Anstrengungen unternimmt, ihren Betrieb und ihre Anlagen selbst zu schützen." Polizeikräfte seien vor allem zu dem Zweck in den Tagebau gebracht worden, um gefahrenträchtiges Verhalten zu verhindern. Aufgrund der Lage seien hierfür mehr geländegängige Fahrzeuge gebraucht worden als zuvor geplant, weshalb dann auf Fahrzeuge von RWE zurückgegriffen wurde.

"Eine Entscheidung des Polizeiführers, mit Beschäftigten der RWE Power AG zusammenzuarbeiten, hat es weder im Vorfeld des Einsatzes noch während des Einsatzes gegeben", heißt es. Allerdings wird dann doch ein Fall genannt, in dem Polizisten von RWE-Mitarbeitern unterstützt wurden, eine Gruppe von Aktivisten festzusetzen. Augenzeugenberichten zufolge gab es jedoch mehrere Fälle der Zusammenarbeit. Den vielfach kritisierten Einsatz gegen Medienvertreter rechtfertigt der Innenminister damit, dass sie sich entgegen des Verbots des Betreibers in den Tagebau begeben und sich "als Teil der Störergruppen" bewegt hätten.

Es bleibt abzuwarten, ob der Polizeieinsatz bei der nächsten Innenausschusssitzung am 24. September noch ein politisches Nachspiel haben wird.