Atomare Kriegsgefahr: Politik am Rande des Abgrunds
Seite 3: Neue atomare Aufrüstung – Kündigung der Abrüstungsverträge – Neue Kriegsgefahr
- Atomare Kriegsgefahr: Politik am Rande des Abgrunds
- Deutschland und die Bombe
- Neue atomare Aufrüstung – Kündigung der Abrüstungsverträge – Neue Kriegsgefahr
- John Mearsheimer: Eine nukleare Eskalation des Ukraine-Kriegs ist möglich
- Einige Schlussfolgerungen und Ergänzungen
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Obwohl sich alle Kernwaffenmächte, die 1970 den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet haben, feierlich zur nuklearen Abrüstung verpflichtet haben, gibt es seit dieser Zeit keinerlei substanzielle Fortschritte in Richtung Abrüstung.
Es ist vor allem der Anspruch der USA auf weltweite militärische Überlegenheit, der das Wettrüsten anheizt und weitere Abrüstungsmaßnahmen verhindert. Bereits unter Präsident Obama hatte die US-Regierung beschlossen, ihr Atomwaffenarsenal in den kommenden 30 Jahren für 3.000 Milliarden Dollar- das sind 100 Mrd. jährlich- aufzurüsten.
Eines der wesentlichen Hindernisse für Fortschritte bei der atomaren Abrüstung mit Russland ist die Stationierung der Raketenabwehr in Polen und Rumänien. Denn der Zweck der Raketenabwehr ist nicht die Abwehr eines Angriffs, sondern der Versuch, das atomare Gleichgewicht außer Kraft zu setzen und einen atomaren Erstschlag der USA zu ermöglichen.
Bereits 2001 hatten die USA einseitig den ABM-Vertrag von 1972 gekündigt, der die Errichtung von Raketenabwehrsystemen verboten hatte. Die inzwischen von den USA installierten "Aegis Ashore"-Systeme in Polen und Rumänien können "SM-3- Abfangraketen" abfeuern, aber durch einfache Änderung der Programmierung auch gegen Bodenziele eingesetzt werden. Und sie können Marschflugkörper abfeuern und somit gegnerische Ziele bis weit hinter Moskau erreichen und zerstören.
Am 1. Februar 2019 kündigte die US-Regierung den INF-Vertrag. Kurze Zeit später setzte Russland den Vertrag ebenfalls außer Kraft.
In dem 1987 zwischen den USA und der Sowjetunion geschlossenen INF-Vertrag verständigten sich beide Länder auf ein Verbot landgestützter, ballistische Raketen und Marschflugkörper mit einer Reichweite zwischen 500 und 5.500 km, die Vernichtung aller vorhandene Waffen dieses Typs und ein Verbot der Produktion und Tests neuer Mittelstreckenwaffen.
Claus Schreer sagt dazu:
Als Vorwand für die Vertragskündigung der USA diente der Test eines russischen Marschflugkörpers, der angeblich eine deutlich höhere Reichweite als 500 km gehabt haben soll. Russland dementierte den Vorwurf und bot Inspektionen vor Ort an, die aber von der US-Regierung abgelehnt wurden.
Stattdessen forderte die US-Regierung in einem Ultimatum die Zerstörung dieser Flugkörper. Tatsächlich ging es gar nicht um angebliche Verstöße Russlands gegen den INF-Vertrag. John Bolton, ehemaliger Sicherheitsberater von US-Präsident Trump, bezeichnete bereits im Jahr 2014 diesen Vertrag als ein "überholtes Atomabkommen", und sagte auch, worum es der US-Regierung beim Ausstieg aus dem Abkommen wirklich geht. Die Kündigung "gibt Amerika die Möglichkeit, überholte Beschränkungen aus dem Kalten Krieg loszuwerden."
Jetzt droht die Stationierung neuer Mittelstreckenwaffen und ein erneutes Wettrüsten zwischen den beiden großen Atommächten. Mittelstreckenwaffen sind keine Defensivwaffen, sondern aufgrund ihrer kurzen Vorwarnzeit Erstschlagswaffen. Damit wächst die Gefahr eines Atomkrieges in Europa.
Claus Schreer, Juli 2020
Neben den bereits installierten Aegis-Ashore-Systemen in Rumänien und demnächst auch in Polen, die auch Mittelstrecken-Raketen abschießen können - siehe oben - planen die USA für 2023 die Stationierung eines neuen Hyperschall-Raketen-Systems mit dem Namen "Dark Eagle", die Moskau in etwa 20 Minuten erreichen können, ausgerechnet am früheren Standort der Pershing-II-Raketen, in Mainz-Kastel.
Auch die neuen B61-12 Atomwaffen, die ab 2022 in Europa stationiert werden sollen, werden die Hemmschwelle für einen Atomwaffeneinsatz weiter senken. In der Logik der US-Militärs macht die neue Bombe einen auf Europa begrenzten Atomwaffeneinsatz kalkulierbar, ohne einen atomaren Gegenschlag Russlands auf US-Territorium und einen globalen Atomkrieg zu riskieren. Ein Atomwaffenkrieg zwischen den USA und Russland wäre jedoch in jedem Fall das Ende Europas.
Claus Schreer schätzt weiter ein:
Seit einigen Jahren schon erzählt uns die Bundesregierung das Märchen, dass für die Entscheidung über den Abzug der Atomwaffen in Büchel die USA und Nato zuständig seien. Mit dieser Ausrede versucht sich die Bundesregierung aus der eigenen Verantwortung zu stehlen.
Die Wahrheit ist: Ob Massenvernichtungswaffen in Deutschland stationiert werden, ob sich die Bundeswehr im Ernstfall an Atombombenangriffen beteiligt und dafür Trainingsflüge absolviert, das hat weder die US-Regierung noch die Nato zu entscheiden. Die Verantwortung und die Entscheidungsbefugnis darüber liegen ausschließlich in der Hand der Bundesregierung. Sie darf sich nicht länger an der Atomkriegsplanung der USA beteiligen und muss die Nukleare Teilhabe Deutschlands schleunigst beenden.
Claus Schreer, Juli 2020
Der Widerstand gegen die atomare Hochrüstung wächst
Im Juli 2017 haben die atomwaffenfreien Länder den Aufstand gegen die Atommächte gewagt. 122 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben damals den Vertrag über das Verbot aller Atomwaffen beschlossen.
Claus Schreer teilt zum Atomwaffenverbotsvertrag mit:
Das Abkommen verbietet den Vertragsstaaten, Kernwaffen zu entwickeln, herzustellen, zu erwerben und zu besitzen, Kernwaffen einzusetzen oder ihren Einsatz anzudrohen, Kernwaffen zu lagern oder die Verfügungsgewalt darüber unmittelbar oder mittelbar anzunehmen.
Ein geradezu unglaublicher Skandal ist es, dass die Bundesregierung, zwar mit wohlfeilen Lippenbekenntnissen, eine Welt ohne Atomwaffen befürwortet, in der Uno aber gemeinsam mit den anderen Nato-Staaten gegen die Aufnahme der Verbotsverhandlungen gestimmt hat und, gemeinsam mit den Atommächten, die UN-Verhandlungen boykottierte.
Der Atomwaffenverbotsvertrag ist ein Ziel des jahrzehntelangen Kampfes der weltweiten Bewegung gegen die nukleare Aufrüstung und auch des jahrzehntelangen Kampfes gegen die in Deutschland stationierten Atombomben. Mehr als 500 Abgeordnete aus Bundestag, Landtagen und dem Europaparlament hatten bereits Ende 2019 in einer Erklärung die Unterzeichnung und Ratifizierung "dieses bahnbrechenden Vertrages" gefordert.
Nach einer aktuellen Umfrage von Greenpeace befürworten derzeit 92 Prozent der Befragten in der Bundesrepublik den Beitritt Deutschlands zu diesem Abkommen. 83 Prozent sind dafür, dass die in Deutschland stationierten US-Atomwaffen abgezogen werden.
Die Friedensbewegung hat deshalb allen Grund, den Widerstand gegen die Beteiligung Deutschlands an der Atomkriegsstrategie der USA, gegen die in Büchel stationierten US-Atomwaffen, und gegen die damit verbundene Gefahr eines Atomkrieges in Europa verstärkt fortzusetzen.
Claus Schreer, Juli 2020
An dieser Stelle sei ergänzt: Der Atomwaffenverbotsvertrag, für den 2017 die internationale Kampagne ICAN den Friedensnobelpreis erhalten hat und für den sich auch die IPPNW (Internationale Ärztinnen und Ärzte für die Verhinderung des Atomkrieges und für soziale Verantwortung) einsetzt, wurde bisher von 122 Staaten unterzeichnet und ist, nachdem er von 50 Staaten ratifiziert wurde, 2021 in Kraft getreten. Kürzlich hat in Wien die erste weltweite Staaten-Konferenz zum Un-Atomwaffenverbot stattgefunden, an der Deutschland mit einem Beobachterstatus vertreten war.