Atomkriegsgefahr in Korea
Seite 2: Spekulationen über Motivationslage
- Atomkriegsgefahr in Korea
- Spekulationen über Motivationslage
- Krisenverlauf
- Das nordkoreanische ABC-Potential
- Streitkräfte Südkoreas, der USA, Russlands und Chinas
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In der Zeit des Kalten Krieges haben die Kremlologen der CIA versucht, durch akribische Auswertung sowjetischer Quellen herauszufinden, was innerhalb der kommunistischen Führungszirkel für Machtkämpfe tobten. So wurde bei Militärparaden auf dem Roten Platz aufmerksam registriert, wer in welcher Reihenfolge neben wem auf dem Lenin Mausoleum stand. Aber die kommunistische Dynastie in Nordkorea verweigert selbst solch kleine Einblicke in ihre Herrschaftssphäre.
Nach dem plötzlichen Herztod seines Vaters trat Kim Jong Un im Dezember 2011 dessen Nachfolge an. Diese Personalie musste überraschen, da Kim Jong Un mit dreißig Jahren noch relativ jung war. Außerdem wurde ihm Vorrang vor zwei älteren Brüdern eingeräumt. Soweit bekannt gab es innerhalb der Militärführung durchaus Widerstände gegen die Ernennung des roten Thronfolgers.
Doch Kim Jong Un verstand es, in seinem ersten Amtsjahr neue Akzente zu setzen. Zwar konnte er die Mangelwirtschaft nicht beseitigen und auch am nordkoreanischen Gulag-System mit 200.000 Internierten hat sich nichts geändert, aber dennoch machte sich in Nordkorea eine gewisse Aufbruchsstimmung breit, was auch auf die humaneren Umgangsformen des neuen Machthabers zurückzuführen ist. Für einen orthodoxen Kommunisten ungewöhnlich setzte er auf wirtschaftlichem Gebiet die Privatisierungspolitik fort. Bauern und Kleinhändler können ihre Produkte feil bieten und einen Teil des Gewinnes behalten, so dass sich im Land allmählich eine Mittelschicht herausbildet. Außerdem begann er im Rahmen der so genannten "Maßnahmen des 28. Juni" die staatliche Planwirtschaft zu liberalisieren. Nicht zuletzt weckte seine Neujahrsansprache zum 1. Januar 2013 Hoffnungen, dass er eine neue Öffnungspolitik gegen Südkorea anstreben würde.
Rätselraten um die Absichten von Kim Jong Un
Umso mehr musste überraschen, dass er wenige Wochen später aggressive, militaristische Drohungen gegenüber Südkorea, Japan und den USA aussprach. Aber nur wenige sehen darin echte Aggressionsabsichten. Politische Beobachter vermuten, dass dies alles nur eine mediale Inszenierung ist, um seine Machtposition nach innen zu stärken. Möglicherweise will sich Kim Jong Un nur als militärischer Führer aufspielen, der es sogar wagt, sich mit den USA anzulegen, um dadurch die Loyalität seiner Militärs einzufordern.
Die Militärs sind neben der Partei der Arbeit (PdAK) eine der beiden wichtigsten Machtzentren innerhalb des nordkoreanischen Herrschaftssystems. Anscheinend will Kim Jong Un deren Machteinfluss zurückdrängen, um durch Kosteneinsparungen bei den Militärausgaben die wirtschaftliche Entwicklung ankurbeln zu können, heißt es in den Medien. Aber dieses Argument kann nicht wirklich überzeugen. Warum sollten gerade die Militärs aus einer militärpolitischen Krise, die "erfolgreich" im Sinne des Regimes bewältigt wurde, geschwächt hervorgehen, schließlich hat gerade das nordkoreanische Propagandagetöse die Rüstungspolitik in Südkorea und Japan erneut angeheizt.
Außerdem wird spekuliert, Kim Jong Un könnte auf die USA nur deshalb Druck ausüben, um diese zu einer neuen Verhandlungsrunde zu zwingen. Dabei dürfte es nicht mehr nur um humanitäre Hilfe zur Überwindung der Wirtschafts- und Versorgungsprobleme in Nordkorea gehen. Vielmehr wäre ein mögliches Ziel solcher Unterredungen die Unterzeichnung eines Friedensvertrages als Minimalbedingung für die Fortexistenz des Regimes vor dem Hintergrund des amerikanischen Geredes über einen "regime change" in diesem oder jenem Schurkenstaat. Solche Verhandlungen dürften sehr schwierig sein, da die Nordkoreaner gerade in ihrem Atomarsenal die einzige Möglichkeit sehen, sich die Amerikaner militärisch vom Hals zu halten, während umgekehrt die USA gerade in dem nordkoreanischen Atompotential die größte Gefahr für sich selbst sehen.
Es bleibt abzuwarten, wie die Krise ausgehen wird. Der neue CIA-Direktor John O. Brennan erklärte am 11. April gegenüber dem Geheimdienstausschuss des US-Repräsentantenhauses:
Kim Jong-un has not been in power all that long, so we don't have an extended track record for him like we did with his father and grandfather. That's why we are watching this very closely and to see whether or not what he is doing is consistent with past patterns of North Korean behavior.
Da es in Nordkorea weder eine politische Opposition noch eine unabhängige Presse gibt, das totalitäre Regime die öffentliche Meinung somit komplett steuern kann, könnte Kim Jong Un von heute auf morgen eine Abkehr von seiner Kriegsrhetorik vollziehen und sich als vermeintlichen "Sieger" präsentieren. In diesem Sinne hat Kim Jong Un tatsächlich nichts zu verlieren.