Auf Leiharbeit in Mecklenburg-Vorpommern

Was man bei der Bundesagentur für Arbeit alles erleben kann - Teil 2

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Wer eine Reise macht, der hat hinterher viel zu erzählen. Und wer zum Arbeitseinsatz nach Mecklenburg-Vorpommern verbracht wird, der kann etwas erleben. Und zwar etwas so Unglaubliches, dass wir die Geschichte selbst erst nicht so recht glauben konnten. Inzwischen liegen uns aber Dokumente (Verträge, Schriftwechsel usw.) vor, die den Vorgang in weiten Teilen belegen. Dass manches von den Betroffenen vielleicht etwas übertrieben dargestellt worden ist, das mag sein, ist aber angesichts der Geschehnisse wohl verständlich.

Tatort ist eine Fischfabrik in einer Region Mecklenburg-Vorpommerns, wo die Arbeitslosenquote bei rund 25 Prozent liegt. Und dennoch schickt eine bundesweit operierende und mit der Bundesagentur für Arbeit kooperierende Personal Service Agentur (PSA) acht Berliner Frauen Anfang Dezember zum Arbeiten genau dorthin in eine Fischfabrik. Darunter ist auch Bettina Beier.

Als die gelernte Bürokauffrau Ende November bei der Berliner Agentur für Arbeit war, wurde sie von einem Mitarbeiter gefragt, ob sie sich vor Hartz IV nicht lieber in Sicherheit bringen wolle. Kurz danach erhielt sie von der Agentur ein Schreiben mit einem Stellenvorschlag: "Tätigkeit: Fachkraft-PSA-(kaufmänn./Pflege usw.)", "Arbeitszeit: Vollzeit 35 Std./Wo", "zu besetzen sofort bei XYZ Personalservice GmbH".

Bei der angegebenen Adresse bewarb sich Bettina Beier und erhielt einen "Befristeten Mitarbeitsvertrag für externe Mitarbeiter". Eingestellt wurde sie zwar ausdrücklich als "Kaufmännische Leihkraft", aber per Unterschrift musste sie sich bereit erklären, "dem Profil entsprechende bzw. vorübergehend andere, zumutbare Tätigkeiten auszuführen".

Was die Personalservice GmbH darunter versteht, erfuhr sie dann am 8. Dezember. Gegen Mittag erhielt sie einen Anruf, dass man für sie etwas hätte. Und wenn sie ablehnen würde, drohe eine Sperre durch die Agentur für Arbeit. Innerhalb weniger Stunden musste Bettina Beier sich dann noch ein Gesundheitszeugnis besorgen und wurde anschließend gegen 16.30 Uhr zusammen mit anderen Berliner Frauen nach Mecklenburg-Vorpommern verbracht.

Was dort angeblich geschah, schildert Bettina Beiers Lebensgefährte:

Gestern "durfte" sie dann von 6 Uhr bis cirka 17 Uhr arbeiten. Bis 17 Uhr wurde nur Wasser erlaubt, keinerlei Verpflegung wurde bis dahingewährt. Kaufen kann man dort auch nichts, lediglich in einem Restaurant was essen. Soweit ich sie richtig verstanden habe, gehört dieses Restaurant der Fabrik, ein Pott Kaffee kostet um die 3 Euro. Gearbeitet wird in der Kühlhalle mit unzureichender Kälteschutzkleidung (die Mädels frieren sich dort den A.... ab). Sie werden auch Samstag und Sonntag arbeiten, immer wenigsten 10 Stunden. Ebenso wurde angekündigt, man möge sich über die Feiertage nichts vornehmen - weil sie dann wieder Fische entgräten sollen.

Die harten Arbeitsbedingungen und die für Büroangestellte ungewohnte Arbeit, für die die Frauen zusätzlich zu ihrem Arbeitslosengeld 10 Euro am Tag bekommen sollten, hatten schnell Folgen:

Eine Dame (53) ist Freitag dort zusammengeklappt und durfte bis nachts um 2 im Aufenthaltsraum allein verbringen, die Vorarbeiter meinten "die ist wohl schwanger". Als dann ihr Sohn aus Berlin rüberfuhr, weil er seine 53jährige Mutter die ganze Zeit nicht erreichte, fand er sie da vor; als sie ihre Unterkunft zwecks Sachenabholen aufsuchten, erfuhr man vom Vermieter, es sei ein Fax von der Fabrik gekommen "die Dame ist vermutlich abgereist - sie können das Zimmer frei machen".

Auch Bettina Beier wurde nach Angaben ihres Lebensgefährten krank: "Sie hat die Blase verkühlt, eine Nierenbeckenentzündung und den rechten Arm ab Schulterblatt rheumatisch verkrampft." Für ihn Grund genug am vergangenen Sonntag nach Mecklenburg-Vorpommern zu fahren, um seine Lebensgefährtin von dort abzuholen. Dabei erfuhr er, dass Bettina Beiers einheimische Kollegen bereits Angst um ihre Arbeitsplätze bekommen hätten. Sie glaubten nämlich, dass nun Berliner Leiharbeiter auch noch die letzten Arbeitsplätze übernehmen würden. "Viele der Einheimischen würden dort gern arbeiten, aber die Firma holt nur Leute von der PSA."

Schließlich liegen die Vorteile ja auf der Hand. Auf einer Internetseite schildert eine PSA die Vorzüge ihrer Leiharbeiter:

Sie suchen Verstärkung für Ihr Team?

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Wir lösen Ihre Personalprobleme!

Das Problem:

Sie suchen den/die "richtige/n" Mitarbeiter/in.

Sie brauchen personelle Verstärkung auf Grund von:

neuen Aufträgen oder Auftragsspitzen

Personalwechsel

Urlaubsvertretung

Krankheitszeiten

Die Lösung:

1. Sie teilen uns die Anforderungen mit.

2. Wir wählen für Sie geeignete Personen aus.

3. Wir werden Partner durch Arbeitnehmerüberlassung.

Die Kosten

Vereinbarung eines moderaten Stundensatzes.

Keine Kosten bei:

Krankheit oder Urlaub

Übernahme des Leiharbeitnehmers

Inzwischen ist Bettina Beier wieder in Berlin. Dort will sie als erstes einen Arzt und dann einen Anwalt aufsuchen, der den Vorgang juristisch überprüfen soll. Wie ihr Lebensgefährte von einer Mitarbeiterin der Agentur für Arbeit erfuhr, droht vermutlich Frau Beier keine Sperre durch die Agentur: Da sie als kaufmännische Kraft - als solche wurde sie ja auch vermittelt - keinen Produktionshelferjob machen müsse.

Die Namen der Firma, der PSA und der echte Name von Bettina Beier sind Telepolis bekannt.