Auf den Kontext kommt es an

Die Antisemitismusforschung hat bisher eine eher unbeachtete Rolle gespielt

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Über deren wissenschaftliche Spannbreite, aber auch die Probleme informiert ein Sammelband, der kürzlich unter dem Titel "Antisemitismus in den Wissenschaften" im Metropol-Verlag erschienen ist. In dem von dem Autorenduo Werner Bergmann und Mona Körte herausgegebenen Buch wurden die Berichte und Referate einer wissenschaftlichen Konferenz aus Anlass des 20jährigen Bestehens des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin dokumentiert. Unter Leitung von Wolfgang Benz hat es das Zentrum in den letzten Jahren nur begrenzt geschafft, aus dem wissenschaftlichen Elfenbeinturm herauszukommen und in die aktuellen politischen Debatten mit ihren wissenschaftlichen Hintergrund einzugreifen.

Das liegt durchaus auch an strukturellen Problemen, die in den unterschiedlichen Beiträgen aus dem Bereich von Theologie, Kunst, Soziologie, Literatur, Geschichte, Theaterwissenschaften, Medizin und Jura immer wieder benannt werden. So wird von den verschiedenen Autoren beklagt, dass es mit der eigentlich gebotenen Interdisziplinarität des Forschungszweigs so weit nicht her ist. Das liegt natürlich auch an der finanziellen Ausstattung, da jeder eifersüchtig sein eigenes wissenschaftliches Revier hütet. Die Antisemitisforschung muss sich mit der Holocaustforschung oft um die Gelder streiten. Das schafft Abgrenzungen, wo eine wissenschaftliche Zusammenarbeit von der Sache her angesagt wäre.

Wissenschaftler, die sich zum Thema äußern, ohne Antisemitismusforscher zu sein, haben es da besonders schwer. Das zeigt sich in dem Band mehrmals, wenn der US-Historiker Daniel Goldhagen erwähnt wird. Goldhagen hat nicht nur seine umstrittenen Thesen zur Genese des Antisemitismus in Deutschland veröffentlicht, sondern sich auch mit der Rolle der katholischen Kirche während des Holocaust auseinandergesetzt. Doch statt einer kritischen Beschäftigung mit seinen Thesen kommt aus der theologischen Antisemitismusforschung die wissenschaftliche Ausgrenzung. Kein Dialog nach dem Monolog wird ihm dort entgegen gehalten. Andere Forscher, die auf verschiedenen Fachgebieten bedeutende Vorarbeiten für eine Geschichte des Antisemitismus geleistet haben, werden einfach gar nicht erwähnt. Auf theologischem Gebiet ist da beispielsweise Karl-Heinz Deschner, auf historischem Gebiet Reinhard Opitz zu nennen.

Die Sozialwissenschaften, die unter dem Stichwort "Frankfurter Schule" in der Nachkriegszeit mit zu den Pionieren einer Antisemitismusforschung gehörten, die damals noch nicht so genannt wurde, haben sich später von der Thematik weitgehend abgewandt. "Starker Auftakt - schwacher Abgang", fasste Werner Bergmann resümierend zusammen. Bedeutende Impulse hingegen kamen aus dem Bereich der Medizingeschichte. "Welche Kriterien müssen erfüllt sein, damit eine ärztliche Aussage judenfeindlich genannt werden kann?". stellt sich Klaus Hödl die Frage. Schwierig wird es bei der Beantwortung, wenn es um aktuelle Studien geht, bei denen Juden eine genetisch bedingte Disposition für bestimmte Krankheiten nachgewiesen werden sollen. Doch auch genetische Festlegungen scheinbar positiver Eigenschaften können eine offene Grenze zum Antisemitismus haben. Dabei geht es beispielsweise um wissenschaftliche Erkenntnisse, die Juden eine besondere Intelligenz attestieren. Diese These wurde Mitte der 90er Jahre in den USA noch einmal popularisiert. Hödl kommt zu dem Schluss, dass nur dann von einem medizinischen Antisemitismus gesprochen werden kann, wenn es um eine Aufreihung von Vorurteilen und Stereotypen in wissenschaftlichem Gewande geht.

Zu diesem Ergebnis kommt auch Dietz Bering, der die Antisemitismusforschung in der Sprachwissenschaft untersucht. Dabei polemisiert er gegen Versuche sogenannter "Sprachwarte", lediglich bestimmte Begriffe als antisemitisch zu benennen und auszusortieren. Es komme vielmehr auf den Kontext an, in dem ein Begriff gebraucht wird. So kommt das Wort "zersetzen" ursprünglich aus der Chemie, wo es auch heute noch seine Berechtigung habe. Erst wenn es auf gesellschaftliche oder kulturelle Belange angewendet wird, beginnen die problematischen Implikationen. Auch dem Begriff "Wucher" will Bering seine Berechtigung in der juristischen Debatte nicht versagen. Wenn er allerdings mit bestimmten Menschen verknüpft wird, kann er schnell zur antisemitischen Stereotype werden.

Einen relativ neuen Zweig der Antisemitismusforschung stellt Götz Nordbruch vor. Es geht dabei um die islamwissenschaftliche und Nahost-bezogene Sozialforschung. Dieser Zweig könnte nach dem 11. September und der verstärkten Debatte über islamistische und antisemitische Tendenzen unter Migranten an Bedeutung gewinnen. Eine solche Debatte würde aber nur auf den ersten Blick eine für Deutschland entlastende Funktion haben, handelt es sich doch scheinbar um einen importierten Antisemitismus. Doch genau genommen, wäre es in Deutschland allerhöchstens ein Reimport. Denn der rassistische Antisemitismus fand erst in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, gefördert von Propagandaschriften der Nazis im arabischen Raum Verbreitung.

Begründer von islamistischen Gruppen, aber auch der Baath-Bewegung, waren von diesen Schriften teilweise beeinflusst und übernahmen Elemente aus diesen gegen die Juden für ihren Kampf gegen Israel. Allerdings wird es auch noch Aufgabe der Antisemitismusforschung sein, die Unterschiede zwischen der Hetze gegen die Juden und dem Kampf gegen einen Staat Israel heraus zu arbeiten. Die oft zitierte Formel, dass für die Antisemiten Israel der Jude unter den Staaten sei, macht es sich da doch zu einfach.

Außerdem sollte man der Antisemitismusforschung raten, den Bürgern in Deutschland wieder mehr aufs Maul zu schauen.

Sind bereits Zweifel .... an der unverändert beanspruchten zukünftigen Weltherrscherrolle der jüdischen Gutmenschen Antisemitismus? Sobald die Juden zu der Einsicht kommen, dass es kein auserwähltes Volk gibt, auch kein von Jehova persönlich auserwähltes Volk......und als Deutsche in Deutschland gemeinsam mit an der Schuld für den Holocaust tragen, ist dem in Deutschland kaum vorhandenen Antisemitismus der Boden entzogen.

Das ist ein kleiner Auszug aus der Leserzuschrift eines Professors aus Frankfurt/Main, der am 30.Dezember 2004 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitschrift abgedruckt war. Er ist keine Ausnahme. Immer öfter sagen honorige deutsche Bürger, die bestimmt jede Nähe zu rechten Gedankengut empört zurück weisen würden, "den Juden" die Meinung. Besonders dann, wenn die weiterhin an die NS-Zeit und Shoah und an Auschwitz erinnern. Ganz von selbst fließen ihnen dann Abhandlungen über das auserwählte Volk, über jüdische Weltherrschaft und ihre Mitschuld am Holocaust aus der Feder. Es ist hauptsächlich der Antisemitismusforschung zu verdanken, dass solche Gedanken- und Wortschöpfungen als antisemitische Zuschreibungen entlarvt wurden, damit aber noch lange nicht, aus der öffentlichen Debatte verbannt sind, wie eine regelmäßige Lektüre der FAZ-Leserbriefseite zeigt.

Bergnmann, Werner/ Körte, Mona: Antisemitismusforschung in den Wissenschaften. Metropol Verlag, Berlin 2004. 398 S., 21 €.