Auf geflügelten Schweinen von Jerusalem nach Haleakaloha

The Battle of Midway

Weihnachten mit John Ford

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Das John-Ford-Filmgeheimnis, Folge 3: 3 Godfathers und Donovan’s Reef

"The time has come", the Walrus said,
"To talk of many things:
Of shoes - and ships - and sealing-wax -
Of cabbages - and kings -
And why the sea is boiling hot -
And whether pigs have wings."

Alles so passiert

Manchmal gelingt einem Filmemacher die Aufnahme für die Ewigkeit. Bei John Ford gibt es eine ganze Reihe solcher Einstellungen, die ihren festen Platz im ikonographischen Archiv des 20. Jahrhunderts haben. Die spektakulärste entstand am 4. Juni 1942. Am ersten Tag der Schlacht um Midway flog die japanische Luftwaffe einen dreizehn Minuten dauernden Angriff auf Eastern Island, ein von den Amerikanern gehaltenes Inselchen des Midway-Atolls. Ford war mit seiner 16-mm-Kamera dabei und hielt für die Nachwelt fest, wie einige Marines mitten in den Kampfhandlungen die amerikanische Flagge hissten. Wir sehen vom Boden, aus der Perspektive der Soldaten, wie die Fahne nach oben gezogen wird und hören "The Star-Spangled Banner", die amerikanische Nationalhymne. Die Musik wird leiser, und die Stimme des Erzählers sagt: "Yes … this really happened." Oben angekommen, wird die Fahne von einem Windstoß erfasst. Schwarze, von einem in Brand gebombten Hangar aufsteigende Rauchwolken ziehen vorbei. Dann weht die von der Sonne beschienene US-Flagge vor einem technicolorblauen Himmel stolz im Wind. Ein magischer Moment, der Eingang in das kollektive Gedächtnis der USA fand.

Ein vergleichbare und doch völlig andere Szene gibt es in dem Film, den Ford drehte, als er bereits wusste, dass er danach in den Krieg ziehen würde, How Green Was My Valley. Nach Angharads Hochzeit mit dem ungeliebten Mann, beim Verlassen der Kirche, fährt der Wind in den Brautschleier und weht ihn in die Höhe. Das wirkt wie das letzte Aufbäumen einer leidenschaftlichen Frau vor dem Beginn einer repressiven Ehe und wie der Beweis dafür, dass Ford mit der Natur im Bunde war, die ihm im richtigen Augenblick zu Hilfe kam. Später verriet Maureen O’Hara, dass mehrere Windmaschinen zum Einsatz kamen und die genauestens ausgetüftelte Aufnahme mehrmals wiederholt werden musste, bis der von Ford gewünschte Effekt erzielt war. Bei der über Eastern Island wehenden Fahne war das anders. Da ist wirklich so passiert, wie Irving Pichel aus dem Off sagt (und im Moment des Festhaltens auf einem Stück Film doch auch schon wieder künstlich, was Ford durchaus bewusst war).

How Green Was My Valley

3 Bad Men, der beste von Fords erhaltenen Stummfilm-Western, erzählt von einem Land Rush in Dakota. Nach dem Startschuss donnert alles über die Prärie, was reiten oder ein Gespann lenken kann. Mitten drin in der wilden Jagd ist ein Reporter mit mobiler Druckerpresse, der schon ein Extrablatt zum Ereignis herausbringt, noch bevor der erste Claim abgesteckt ist. Ford wurde im Zweiten Weltkrieg zu diesem Reporter. Statt Episoden aus der Vergangenheit zu rekonstruieren war er nun direkt mit dabei, wenn Geschichte geschrieben wurde. Das veränderte die Perspektive. Beim Angriff auf Eastern Island schlug dicht neben Ford und seinem Assistenten Jack MacKenzie, Jr. eine Bombe ein. In The Battle of Midway sieht man an der Kamera vorbeifliegende Betonteile. Alles echt, kein Kinotrick. Ford wurde kurz ohnmächtig und filmte dann gleich weiter, obwohl ein Metallstück von der Bombe seinen Arm getroffen hatte.

Die Verwundung begleitete ihn bis an sein Lebensende, machte sich immer wieder schmerzlich bemerkbar. Das ist auch im übertragenen Sinne zu verstehen. Der Zweite Weltkrieg war ein Einschnitt und die prägendste Erfahrung in Fords Leben, wie für sehr viele Menschen aus seiner Generation. Der Krieg führte dazu, dass er seine Werte hinterfragte und neu justierte. Ford war ein Patriot, wenn auch einer von der nonkonformistischen Sorte. Keine Fahne versperrte ihm den kritischen Blick auf sein Land. Wie fern ihm der Hurra-Patriotismus gewisser anderer Regisseure war, kann man an They Were Expendable (1945) sehen. Im Moment des großen Sieges drehte er einen Film über eine große Niederlage, die Vertreibung der Amerikaner von den Philippinen. Angesichts der vielen Opfer durch den Krieg und den Holocaust war Ford nicht zum Feiern zumute. Orientierung tat Not. Für den Katholiken Ford war es eine Herzensangelegenheit, nun ein starkes Statement über seinen Glauben abzugeben.

Dabei kam The Fugitive heraus, die mit Western-Elementen operierende Sanitärversion von Graham Greenes The Power and the Glory, einem vom Vatikan verdammten und für "paradox" erklärten Roman über einen versoffenen und mit Frauen schlafenden Priester in einer religionsfeindlichen Gesellschaft. Paradox ist aber vor allem, dass Ford bei diesem ihm so wichtigen Projekt temporär seine Fähigkeit zum allegorischen Erzählen verlor (sonst eine seiner Stärken). Trotz meines aufrichtigen Bemühens und mehrerer Anläufe ist es mir bisher nicht gelungen, diesem Werk mit einem fehlbesetzten und auf mexikanisch geschminkten Henry Fonda etwas abzugewinnen. Manchmal denke ich mir, dass der Ford-Aficionado Orson Welles von seinem Plan abließ, das Leben Jesu als Western zu verfilmen, weil er an The Fugitive gesehen hatte, wie leicht eine zwar visuell eindrucksvolle, letztlich aber banale und an der Oberfläche bleibende Abfolge christlicher Erbauungsbilder daraus werden konnte.

Ford beharrte darauf, dass er mit The Fugitive sehr zufrieden sei, zog sich dann aber doch auf vertrautes Terrain zurück. Obwohl es um die Heiligen Drei Könige geht: Bei 3 Godfathers (1948) können alle aufatmen, die sich von der christlichen Symbolik in The Fugitive erschlagen fühlen. Hier reitet wieder John Wayne, der dabei war, sich zum filmischen Alter Ego des Regisseurs zu entwickeln, und für das religiöse Erlebnis sorgt die Landschaft, nicht das Kreuz am Wegesrand. Ford war kein Schäflein, das zum Hirten aufsieht, sondern ein katholischer Anarchist. Mit seiner undogmatischen Spielart des Katholizismus war er in der Natur, auch wenn (oder gerade weil) sie rau ist, viel besser aufgehoben als in der Kirche oder bei abstrakter Symbolik. Er war der Mann für das Bearbeiten von Mythen und Legenden, nicht für die bibeltreue Auslegung des Evangeliums.

Leuchtender Stern am Western-Himmel

Wie immer man den künstlerischen Wert von The Fugitive einschätzen mag: finanziell war der Film ein Desaster. Fords Produktionsfirma, die Argosy Pictures, stand vor der Pleite und brauchte dringend Geld. Peter B. Kynes sentimentale, häufig adaptierte Geschichte von den drei Banditen, die einem Neugeborenen das Leben retten und denen die Bibel den Weg nach New Jerusalem weist, galt in Hollywood als Stoff mit eingebauter Erfolgsgarantie. Ford selbst hatte mehrere Varianten davon verfilmt. In 3 Bad Men beispielsweise werden Jerusalem durch fruchtbares Ackerland in Dakota und der Säugling durch die den Männern den Kopf verdrehende Olive Borden ersetzt. Am engsten an Kynes Vorlage orientierte sich Marked Men (1919), Fords Aussage nach der beste seiner Filme mit Harry Carey. Der Film ist verschollen, weil die neuen Besitzer der Universal in den 1940ern damit begannen, die stummen Werke aus der Laemmle-Ära zu vernichten, um Lagerkosten zu sparen (eine auch von anderen betriebene Art des Kulturfrevels, die hingenommen wird, weil sie zur Logik des kapitalistischen Systems gehört und nicht - sagen wir - dem religiösen Fundamentalismus der Taliban entspringt).

Man kann Ford also vorwerfen, dass er mit 3 Godfathers auf Nummer Sicher ging und den Film als reines Kommerzprodukt abhaken. Und doch ist da noch mehr. Ford und Harry Carey, damals ein sehr populärer Cowboy-Darsteller, machten von 1917 bis 1921 24 gemeinsame Filme für die Universal, mit denen sie dem Western neue Möglichkeiten erschlossen, soweit sich das heute rekonstruieren lässt (die meisten sind verloren, falls sie nicht noch irgendwo in einem Archiv schlummern). Die beiden drehten am liebsten in der freien Natur, fernab von Ateliers und Einmischung durch die Studiobosse, statteten das Genre mit mehr Realismus aus, lieferten differenzierte Charakterstudien ab statt der üblichen Schwarzweiß-Muster mit gutem Helden und bösem Schurken. Ein großer Carey-Fan war der auf einer Farm im kalifornischen Glendale aufwachsende Marion Morrison, der später, als er sich den Künstlernamen "John Wayne" zugelegt hatte, seinen minimalistischen Schauspielstil an dem seines Vorbilds schulte.

Für John Ford bedeuteten die vier Jahre eine wichtige Lehrzeit. Als seine erste echte Regiearbeit (nach drei vorhergehenden Versuchen) betrachtete er The Soul Herder, den ersten Film mit Harry Carey. Die Zusammenarbeit endete mit einem Zerwürfnis. Danach ließ sich die zerbrochene Beziehung nie mehr richtig kitten, obwohl die beiden privat in Kontakt blieben. Ford war ein Mensch mit einer sehr komplexen Persönlichkeit, der Umgang mit ihm nicht einfach. Die klärende Aussprache, das reinigende Gewitter, das es manchmal braucht, waren Fords Sache eher nicht. Nach einem Streit zog er sich zurück. Es konnte viele Jahre dauern, bis jemand, der sich mit ihm überworfen hatte, wieder mitmachen durfte. Angesichts des Todes aber war das Vergangene vergangen und Ford zur Stelle. So auch bei Harry Carey. Ford war an Harrys Sterbebett, als dieser im September 1947 aus dem Leben schied. Noch am selben Tag soll er Harrys Witwe Olive (Mrs. Jorgensen in The Searchers) gesagt haben, dass er plane, ein Remake von Marked Men zu machen und "Dobe", dem Sohn der Careys (Dobe wie in den Adobe-Lehmsteinen, nach seinem ziegelroten Haar), eine Hauptrolle zu geben, um dessen Filmkarriere voranzutreiben.

3 Godfathers

Das lässt sich auf verschiedene Weise interpretieren: als nostalgische Flucht in eine vermeintlich bessere Vergangenheit; als Fords kreative Umsetzung seiner Schuldgefühle gegenüber dem alten Weggefährten; als Fahrt in einen (kommerziell) sicheren Hafen; als Neuanfang und Rückbesinnung auf vergessene Werte in einer krisenhaften Situation. Wahrscheinlich war es von allem etwas. Letzteres ist am interessantesten und passt gut zu den anderen Filmen dieser Jahre, deren nostalgische Momente viel mit dem Zweiten Weltkrieg und Fords Desillusionierung über das Amerika der Nachkriegszeit zu tun haben. Am Anfang von 3 Godfathers sieht man die Silhouette eines Reiters (Cliff Lyons, der für Ford die Stunts koordinierte und Second-Unit-Aufnahmen machte) vor einem stilisierten Studio-Hintergrund. Lyons sitzt auf Sunny, dem Pferd von Harry Carey. Dazu erklingt die Melodie von "Goodbye, Old Paint", Careys Lieblingslied. Von der Widmung ("To the Memory of HARRY CAREY - Bright Star of the early western sky ...") wird auf Harry Carey, Jr. überblendet, der an der Seite von John Wayne in die Stadt reitet und den die Anfangstitel als Debütanten präsentieren (obwohl er bereits in Red River und zwei weiteren Filmen kleine Rollen übernommen hatte). Das ist typisch Ford, für den der Tod ein Teil des Lebens war und in dessen Filmen die eine Generation auf die andere folgt und die Traditionen fortführt, ohne die Fords Überzeugung nach die Gemeinschaft ihren Zusammenhalt verliert - deshalb auch die vielen gemeinsam begangenen Rituale in seinen Filmen, die Beerdigungen und die Tanzveranstaltungen.

Willkommen in Willkommen

Traditionen sind bei Ford nicht so sehr deshalb wichtig, weil er uns ein konservatives Gesellschaftsmodell verkaufen will, sondern vielmehr, weil es bei ihm so viele Charaktere gibt, die ihre geographischen Wurzeln verloren haben oder erst noch welche suchen müssen. Darum fangen seine Filme oft mit der Eisenbahn an, mit der Postkutsche, dem Siedlertreck oder eben mit den Desperados, die in 3 Godfathers in die Stadt in Arizona reiten, die früher Tarantula hieß und sich jetzt Welcome nennt. "Welcome to Welcome", sagt der Bankdirektor zu seiner Tochter Ruby, die mit der Postkutsche nach Hause kommt und sehr erfreut über die drei Fremden ist, weil sie Cowboys sind und nicht diese Anzugträger, die Ruby immer umgaben, als sie in Denver auf dem Internat war. Was man heute leicht übersieht: Ruby macht keinen Unterschied zwischen Robert Hightower (Wayne), William "The Abilene Kid" Kearney (Carey) und Pedro Roca Fuerte (Pedro Armendáriz), obwohl dieser Mexikaner ist. Für einen Western des Jahre 1948, als die ethnische Zugehörigkeit noch die Randordnung bestimmte, ist das sehr ungewöhnlich. In diesem Film geht es auch um den alltäglichen Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft - auf eine subtile und zurückgenommene Weise, weil John Ford Probleme nicht in Form von Heldenmonologen abhandelte. Bob Hightower steht als hoher Turm ganz oben. Aber Pedro (Petrus) ist der Fels (roca), auf dem die Kirche gegründet ist und ohne den der Turm bald einstürzen würde. Ich deute das als Bekenntnis zur multikulturellen Gesellschaft, auch wenn man in solchen Fällen schnell wegen Überinterpretation gescholten wird, weil uns Hollywood darauf koordiniert hat, dass uns im Dialog gesagt wird, was wir zu denken haben.

3 Godfathers

John Ford gilt als der Regisseur der Panoramaaufnahmen, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit den Blick über die grandiose amerikanische Landschaft schweifen lässt. Bei genauerem Hinsehen bemerkt man, dass die Panoramaeinstellungen seltener sind, als man gemeinhin denkt. In der Erinnerung vervielfältigen sich die Landschaftsbilder, weil Ford einen untrüglichen Instinkt dafür hatte, wie er sie einsetzen musste, um die Wirkung zu verstärken. Nach dem Krieg begann er, sich für die vermeintlich kleinen Dinge zu interessieren, die oft genauso bedeutend sind wie Monument Valley. In The Man Who Shot Liberty Valance, einem seiner späten Meisterwerke, sind es die Kaktusblüten auf dem Anwesen von Tom Doniphon. Auch in 3 Godfathers gibt es Blumen am Rande der Wüste. In diesem Film der sprechenden Namen wachsen sie am Gartenzaun von B. Sweet, dem Marshall von Welcome.

3 Godfathers

Zwei Jahre danach drehte Ford eine Art Prequel. In Wagon Master ziehen vom Sheriff aus der Stadt geworfene Mormonen nach Westen. Ihr Anführer ist Ward Bond, der in 3 Godfathers den Marshall spielt. Welcome könnte gut der Ort sein, den die Mormonen - als gesellschaftlich diskriminierte Gruppe, nicht als auf Außenstehende mitunter befremdlich wirkende Religionsgemeinschaft - am Ende von Wagon Master gründen werden. Hier wird man nicht vom Marshall aufgefordert, bis Sonnenuntergang die Stadt zu verlassen (Standardelement unzähliger Western). Stattdessen serviert dessen Gattin (Mae Marsh) am Gartenzaun Kaffee. Buck Sweet - seine Frau nennt ihn "Pearly" (pearly gates = Himmelspforte), und Bob Hightower dann auch, weil die beiden in ein verwandtschaftliches Verhältnis treten werden -, Buck also sagt den drei Texanern, wo sie Arbeit finden können. Es fehlt nur noch, dass er jedem eine Blume überreicht. Das ist die Welt, so wie sie sein soll. Weil sie aber so nicht ist, werden Bob, Pedro und Kid jetzt nicht zur Bank reiten, um die dort versammelten Viehzüchter nach einem Job zu fragen, sondern um sie auszurauben.

3 Godfathers

Kid wird beim Überfall verwundet. Nach einer wilden Verfolgungsjagd flüchten die drei Banditen in die Wüste (die Außenaufnahmen entstanden in Death Valley). Weil Pearly ein Loch in ihren Wassersack geschossen hat, können sie nicht wie geplant nach Mexiko entkommen. Ihr Ritt führt sie zu einem Versorgungsdepot der Eisenbahn. Die Banditen haben den Wassertank schon vor Augen, als Pearly und seine Hilfssheriffs mit dem Zug eintreffen. Die Eisenbahn spielt bei Ford eine ambivalente Rolle. Sie ist die Zivilisationsbringerin und verändert den Westen, indem sie den Bewegungsspielraum der Figuren einschränkt (das große Thema von The Man Who Shot Liberty Valance). Sie läutet den Untergang einer prekären, dafür aber mit mehr Freiheiten ausgestatteten Lebensform ein und ist zugleich das Symbol dafür, dass das Leben immer weitergeht, während links und rechts vom Schienenstrang gestorben wird. Viele Kritiker finden 3 Godfathers hemmungslos sentimental. Damit ist der Film für sie abgehakt. In den entscheidenden Momenten allerdings ist Ford ganz lakonisch. Am Eisenbahndepot werden die Desperados von der neuen Zeit eingeholt. Das ist kein Grund zum Jubilieren (Ford stand nie auf der Seite der Bankdirektoren), aber auch keiner zum Lamentieren, denn ohne die Eisenbahn gäbe es den nun unerreichbaren Wassertank gar nicht. Die Welt ist, wie sie ist.

3 Godfathers

Säuglingspflege in der Wüste

Ein Pferd haben die durstigen Banditen bereits verloren. Die beiden anderen kommen ihnen in einem Sandsturm abhanden. Der Teufel muss sie losgebunden haben, meint Pedro. Es könnte auch Gott gewesen sein, der den Sündern in der Wüste schwere Prüfungen auferlegt und in 3 Godfathers nicht als auf der Wolke sitzender Mann mit Rauschebart auftritt, sondern sich als heulender Wind manifestiert. Das Göttliche ist Teil der Natur, fernab aller Domestizierungsversuche durch die institutionalisierte Religion. Fords Katholizismus ist spirituell, nicht klerikal. Bei ihm bleibt der Zuschauer sich selbst überlassen (auch das ist eine Form von Freiheit). Dieser Regisseur hat eine unverschämt beiläufige Art, einem für ihn wichtige Dinge mitzuteilen - ganz so, als wäre es ihm egal, ob man sie mitkriegt oder nicht. Anfangs erfährt man, dass die Schwester von Mrs. Sweet und ihr Gatte den alten Mormonenweg von New Jerusalem nach Welcome genommen haben, um hier das Weihnachtsfest zu feiern. Sein Schwager, sagt Pearly, sei ein unsteter Mensch, der schon alles ausprobiert habe außer dem Beruf des Predigers. Das Predigen scheint eine besonders anrüchige Tätigkeit zu sein (ob Ford da wohl schon plante, Ward Bond in The Quiet Man als den Pfarrer von Inisfree zu besetzen?).

3 Godfathers

In der Tat fällt auf, dass es in Welcome, dem Ort der guten Nachbarschaft, die üblichen Repräsentanten der bürgerlichen Gesellschaft gibt, nur keinen Priester. Fast müsste man befürchten, dass Pearlys Schwager, nun ganz unten angekommen, in diese Lücke stoßen wird - wenn da nicht John Ford wäre, der den Mann buchstäblich in die Wüste (und den Tod) schickt, noch ehe wir ihn zu Gesicht kriegen könnten. Vor seinem Abgang hat der unselige Schwager noch die Wasserstelle zwischen New Jerusalem und Welcome gesprengt und unbrauchbar gemacht, weil er sich nicht der Mühe unterziehen wollte, sie mit seiner Hände Arbeit vom Sand zu befreien. Zurück bleibt ein Planwagen mit der in den Wehen liegenden Gattin (Mildred Natwick, die innerhalb weniger Jahre zur Witwe Terlane in The Quiet Man reifte).

3 Godfathers

Als Geburtshelfer bewährt sich nicht etwa der überforderte Bob Hightower, sondern sein Freund Pedro. Der Mexikaner ist fürwahr der Fels, auf den man bauen kann. Die nicht mehr ganz junge Mutter stirbt im Kindbett. Vorher nimmt sie den drei Banditen das Versprechen ab, sich als Paten um den Säugling zu kümmern, was diese getreulich ausführen, obwohl es die eigenen Überlebenschancen minimiert und zwei von ihnen sterben werden. Ford ist der Meister der pointierten Auslassung. Erst verdonnert er Wayne dazu, uns im vermutlich längsten Monolog seiner Karriere mitzuteilen, was für ein schlimmer Typ der Kindsvater war, dann spielt dieser Vater nicht mehr die geringste Rolle. Fragen nach Abstammung und Genetik bleiben mit den Leichen der Eltern im Wüstensand zurück. Vier Jahre nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs ist das durchaus bemerkenswert. Weil die Gesellschaft aber nach wie vor eine rassistische ist will die Mutter, dass ihr Sohn nach seinen Paten Robert William Pedro heißt - in dieser Reihenfolge, obwohl Pedro, ginge es nach den Verdiensten, zuerst genannt werden müsste. Das Gezänk um den Namen des Säuglings wird sich als Running Gag durch den Rest des Films ziehen. Ford signalisiert uns auf diese Weise, dass Namen wichtig sind: weil auch dadurch der Stab von der einen Generation an die andere weitergegeben wird, und weil sie etwas über die innere Verfasstheit einer (in diesem Falle: rassistischen) Gesellschaft aussagen.

3 Godfathers

Da 3 Godfathers primär von den USA der Nachkriegszeit handelt und nicht vom Wilden Westen des 19. Jahrhunderts, findet Kid im Gepäck der verstorbenen Mutter das Buch Caring for the Baby eines Dr. Meechum. Das ist eine Anspielung auf The Common Sense Book of Baby and Child Care (1946) des freudianisch orientierten Kinderarztes Benjamin Spock. Dr. Spock, ein großer Mütterversteher, plädierte in seinem Verkaufsschlager (bis in die 1960er hinein gingen jährlich etwa eine Million Exemplare über den Ladentisch) für mehr Empathie im Umgang mit Kindern und Säuglingen und für eine Abkehr von der alten "Gelobt sei, was hart macht"-Schule. Ford spottet ein wenig über Spock, viel mehr aber über seine Gegner, für die der Untergang des Abendlandes nur abzuwenden war, wenn Amerikas Eltern weiter die althergebrachte Strenge walten ließen. Bob lehnt es kategorisch ab, seinem Patenkind himmelblaue Babysachen anzuziehen (sogar ein Kleidchen ist mit dabei, denn es droht die Verweiblichung), knickt dann aber schnell ein, weil die Säuglingspflege in der Wüste den mitfühlenden Mann erfordert, und nicht den Zuchtmeister.

3 Godfathers

Dr. Spocks autoritäre Vorgänger gaben den Befehl aus, weinende Babys schreien zu lassen, um sie nicht zu verzärteln. Die Banditen interessiert das gar nicht, wenn der kleine Robert William Pedro brüllt. Kid singt ihm sogar - wie unmännlich - ein Wiegenlied vor: den Traditional "Streets of Laredo", der sich leitmotivisch durch den Film zieht und auf das irische Volkslied "The Unfortunate Rake" zurückgeht, was der Überzeugungs-Ire Ford natürlich wusste (Volkslieder sind bei ihm ein mit Bedacht eingesetztes Instrument zur Herstellung kultureller Identität). Wer die einschlägigen Horrorgeschichten über die kommunistische Kindererziehung in der DDR kennt, wird bei der Lektüre von Standardwerken wie Holts The Care and Feeding of Children (1894) oder Watsons Psychological Care of Infant and Child (1928) das eine oder andere Déjà-vu-Erlebnis haben. Das zwanghafte Toilettentraining wird da zu einem der Zehn Gebote im Katechismus der korrekten Kindererziehung. Bei Ford gibt es eine komische Szene, in der Kid das von Dr. Meechum verwendete Wort "Toilette" nicht aussprechen will ("toi-letty"), weil er und Bob denken, dass das etwas Unanständiges ist, das der Säugling nicht hören soll. In Ermangelung von Babyöl cremt Bandit Hightower das Neugeborene mit Wagenschmiere ein. Das ist ganz im Sinne von Dr. Spock, der Eltern rät, ihrer Intuition zu folgen und sich nicht vor unkonventionellen Lösungen zu fürchten.

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