Aufrüstung und Klimaschutz im Doppelpack: Am toten Punkt von Logik und Zivilisation

Klimaneutraler Panzer: Was ein KI-Bildgenerator schnell zustande bringt, ist in der Realität schwierig. (Bild: ki-generiert)

Klimaneutrale Aufrüstung: Was ein KI-Bildgenerator schnell zustande bringt, ist in der Realität schwierig. (Bild: ki-generiert)

Der Traum von Machbarkeit bringt Aufrüstung und Klimaschutz problemlos unter einen Hut. Warum das eine Illusion ist – und wie die Gesellschaft remilitarisiert wird.

Ewiges Wachstum in einer Welt mit endlichen Ressourcen ist eine Illusion, mit der viele von uns aufgewachsen sind. Die Göttin des Lichts schmückte die alten Kraftwerke.

Im Namen eines aufgemöbelten Fortschritts konsumieren wir fröhlich weiter und zehren – in Reichweite von Krieg und Umweltkatastrophen – von der wohltätigen Illusion der Freiheit. Und strapazieren den Planeten wie gehabt mit an Sturheit grenzendem Zivilisationsoptimismus. Bis an sein absehbares Ultimo.

Fossile Brennstoffe, Eisen und Stahl, die herkömmliche Elektrizität - vielgeschmähte Triade - markieren die damit verbundene Verheißung. Es waren die dienstbaren Geister eines Jahrhunderts großer Ideen und gewaltiger Irrtümer auf seinem Weg ins Heute. Die Devise jetzt: Schluss mit all dem Spuk.

Ein Spuk, der übrigens zwei Weltkriege überhaupt erst möglich machte, mit ihrem ungeheuren Tötungspotenzial, ihrer ungeheuren Material- und Ressourcenverschwendung, die in der Geschichte der Menschheit ihresgleichen sucht. Wir dachten schon, wir wären los davon; wie auch vom archaischen Götzen des Territorialraumes.

Standort, Arbeitsplätze, Wohlstand

Noch einmal kurz: Die altbekannten Ressourcen, die Bergwerke, Fabriken, Erfindungen, Endprodukte, stehen für das Leben, das wir führen und führen wollten. Das technische Machen bestimmt den Gegenwartspunkt, an dem wir wissentlich angelangt sind, und den Güterbestand, über den wir verfügen. Wohlstand, Industriestandort, Arbeitsplätze: Wundersame Entitäten.

Als gesetzte Begrifflichkeiten sind sie autonom geworden, schweben über den Debatten. Nicht nur die Wettbewerbsstruktur des Parteiensystems, auch die Diskurslandschaften in Deutschland stoßen hier unübersehbar an ihre Grenzen. Ein Axiom der Multioptionsgesellschaft lautet: Die Kurve kriegen, aber nicht zu drastisch einschränken. Goethes Zauberlehrling lässt grüßen. Er legt nur die Rechnung vor.

Insofern sind wir unehrlich. Wir leben den Goldstandard, haben zwei Drittel der Menschheit abgehängt. Wir stehen mit beiden Beinen auf dem Podest der technisch-wissenschaftlichen Zivilisation – und sind erschrocken über das, was wir doch unbedingt haben und sein wollten.

Natur als Rohstoff und Versuchskaninchen

Der Schreck kommt von außen, nicht von innen: in Form der vergewaltigten Natur. Sie ist äußerer (außenliegender) Gegenstand der gewählten Herrschaftsform, Rohstoff und Versuchskaninchen techno-rationaler Operation und Manipulation.

Beschädigt ist aber auch unsere innere Natur, zusammen mit der äußeren, nur weniger sichtbar, rekapituliert die Philosophin Ute Guzzoni. Mit der Konsequenz, dass das moderne Subjekt zusammen mit seinen marktgetriebenen Wünschen und Bedürfnissen, als Akteur gegen die Vernunft antritt.

Die Bedürfnisse werden unter anderem dann zu falschen, wenn das Treibende der inneren Natur und die vernünftigen Einsichten auseinandertreten und sich einander entgegensetzen.

Ute Guzzoni: Über Natur. Fermenta philosophica, Freiburg 1995, S. 330

Wir wollen alles, aber es ist nicht das Ganze. Was wir bewohnen, ist der falsche Kosmos der Autonomie, der Selbstsetzung des Homo Faber am Arbeitstag der Moderne. Man könnte ihn auch "Grandhotel Abgrund" nennen.

Überlagert durch Standortkonkurrenz: Das sinnvolle Ganze

Eine Vorstellung vom sinnvollen Ganzen ist uns abhandengekommen. Unser Platz darin, ein andauerndes Fragezeichen:

Was wir sind, wissen wir nicht.

Ernst Bloch, Geist der Utopie (1918), Sonderausgabe Berlin 2018, S. 378

Das Ganze ist finster, undurchsichtig geworden: Alle miteinander stecken fest und streiten um kümmerliche Handlungsoptionen in dieser selbst gestrickten, selbst verschuldeten, festgezurrten, dissoziierten Wirklichkeit, dem zivilisatorischen Habitat des autonomen Menschen.

Der Philosoph Ernst Bloch erinnerte an diesen Menschen als Mitmacher:

Sondern wir selber sind an dem Gang der Welt, die kernlos ist, ja die überhaupt nicht wahr ist, mithandelnd, mitentscheidend, miternennend beteiligt.

Ernst Bloch, Geist der Utopie, 336

Die gesamtgesellschaftlich konstituierte Wirklichkeit nannte Bloch auch den "Kausalnexus dieser Welt" (Bloch 379). Und es scheint so, als würde dieser Kausalnexus in seiner seltsamen Blindheit vernünftige Politik aushebeln. Zwei Beispiele.

Habecks Stolz: Prima Klima durch Verlagerung von Emissionen?

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält ein Diagramm in die Kameras, mit dem er einen Rückgang des Schadstoffausstoßes darlegt und erklärt dies als eine politische Leistung der Regierung. Die tatsächlichen Ursachen – ein ganzes Bündel von Ursachen, einschließlich der Verlagerung von Produktionskapazitäten ins Ausland – bleiben unklar, offenbar geht es um die Botschaft: Es wird politisch gehandelt, mit ersichtlichem Erfolg!

Was genau das heißt, bleibt der Fantasie der Bürgerinnen und Bürger überlassen, die hier Bauklötze staunen, viel mehr passiert nicht. Politik gerät zur Selbstbestätigung.

Emissionen durch Aufrüstung – Klimaschutz in Privathaushalten?

Beinahe zeitgleich tritt Habecks Parteifreund Anton Hofreiter mit neuen Forderungen zur Wehrertüchtigung auf den Plan. Kurz spricht sich auch Habeck dafür aus, die Rüstungsproduktion hochzufahren und behauptet: "Im Zweifelsfall riskieren wir nichts, wenn wir es tun."

Allerdings steht ja die "Notwendigkeit" von Krieg und Aufrüstung im praktischen Widerspruch zum Klimaschutz, denn die Bewaffnung gibt es nur mit neuen Emissionen, die müssten vorerst in Privathaushalten wieder eingespart werden, denn eine insgesamt klimaneutrale Wirtschaft ist erst für 2045 vorgesehen. Klimaschutz und Aufrüstung im Doppelpack vertragen sich jedenfalls schlecht.

Die satten Gewinne der Rüstungsindustrie

Das pazifistische Ethos von einst endet an der Börse. Der Rüstungskonzern Rheinmetall peilt in diesem Jahr die Zehn-Milliarden-Marke an, jüngsten Berichten zufolge soll der Gewinn 2024 um 40 Prozent steigen. Es entstehen neue Waffenfabriken in Rekordzeit, im In- und Ausland.

Ernst Bloch, er bleibt unser Referenzpunkt, beschrieb vor hundert Jahren beißend "das Paternoster als Aufzug, Bethlehem als Munitionsfabrik, den Logos als Lesezirkel". (Ernst Bloch, Geist der Utopie, 247)

Wie ließen sich friedliches Ethos und neue Wehrhaftigkeit in der Ampel zusammenbringen? Ein Vorschlag zur Güte: vielleicht durch das Programm "Klimaneutrale Produktion von Artilleriegeschossen"? Im Parteiengeschacher 2024 erscheint dies als passender Wahlkampfslogan.

Die Erzählung vom Krieg als demokratische Notwendigkeit

Fataler Logik zufolge scheint Krieg 2024 überhaupt wieder legitimes Mittel der Politik europäischer Staaten zu werden. Krieg wird mit der Regierungsform der Demokratie so natürlich in einem Atemzug verhandelt, als wären es siamesische Zwillinge. Wer, wie Teile der SPD, ein Kriegsende durch Waffenstillstand und Verhandlungen ins Gespräch bringt, erntet Empörung in Koalitions- und Oppositionskreisen.

Der französische Staatspräsident spricht von Bodentruppen in der Ukraine. Die deutsche Volkswirtschaft wird mittels Sondervermögen remilitarisiert, die "neue Verteidungsbereitschaft" als alternativlos charakterisiert.

Die Kosten für ganz Europa sind enorm, die ökonomische Verschwendung kaum thematisiert; im Fernsehen sind die Kriegsbefürworter gern geladene Gäste. Um sich nicht zu lange bei Legitimationsfragen aufzuhalten, wird das Märchen von der akuten Bedrohungslage strapaziert. Heißt in der Realität, es darf guten Gewissens (zurück-)geschossen werden. Übereifrige, wir kennen die Namen, befeuern die Fantasie mit endzeitlichen Untergangsszenarien.

Europa steht auf dem Spiel, die westlichen Werte, Rechtsstaatlichkeit, Frieden, Freiheit, unsere Lebensform. Man vermeidet das Wort "Vaterland". Waffenproduktion, -lieferungen und -gebrauch haben aber auch so ihre Folgerichtigkeit.

Jugendoffiziere an Schulen und Aufforderung zum Unterhaken

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht politisch korrekt von "Verteidigungswirtschaft". Deutsche Leitmedien biedern sich an. Jugendoffiziere werden als "wertvolle Ergänzung" an Schulen erkannt.

Statt integrativer Konzepte schwärmt unser Kanzler vom "Unterhaken". Wie geht das? In der entsolidarisierten postmodernen Industriegesellschaft, mit ihren atomisierten Individuen?

Mieter haken sich bei den Wohnungskonzernen unter? Pflegekräfte beim Krankenhauskonzerndirektor? Alleinerziehende beim Sozialamt, die Politik beim Big Business, der Schuldner beim Banker, die Armen bei den Reichen, wir alle bei der E-Autoindustrie? – Man versteht es nicht, solange und so angestrengt man auch nachdenkt.

You‘ll never walk alone – das habe ich im vergangenen Jahr versprochen und dabei bleibt es.

Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Regierungserklärung 2023

Krieg und Krise: Die ganze Welt wird geordnet

Ist es nicht so – die Widersprüche und Antagonismen liegen im Konstrukt selbst, in der gesellschaftlichen Apparatur, die sui generis den Hang zur Entsolidarisierung aufweist? War diese Erkenntnis nicht einmal Stolz und Kernkompetenz der Sozialdemokratie?

Das noble Ethos von einst ist zur Wühltischware verkommen; den emanzipatorischen Kern sucht man vergebens.

Widersprüche und Aporien zu benennen, bleibt offenbar Aufgabe der Literatur (betont etwa Skandalautor Michel Houellebecq in seinen unterschätzten Essays), wir möchten meinen: an erster Stelle des Journalismus. Umso mehr, wenn man Blochs Diktum von 1918 über den Anfang vom Ende bedenkt, was sich wenig euphorisch anhört. Bei Bloch "rollt das Ganze dahin wie ein ungeheurer Stein, der der Hand entglitten ist." (Ernst Bloch, Geist der Utopie, 379)

So lebt und wirkt weiter der unbedingt sich durchsetzende Mensch. Die ganze Welt wird "geordnet", es gibt kein Fleckchen auf Erden, das ungeschoren davonkommt. Zu den Attrappen aus Amerika (Rilke) gesellt sich Billigware aus China.

Wachstum und Profit: Monströse Geld- und Warenströme als Ideal

Von allem bitte immer mehr. Das ist das Paternoster der globalen Welt. Ihr Imperativ lautet: Die Reise muss aufwärtsgehen! Es gibt ein Lieferkettengesetz, aber keine Infragestellung von Lieferung, das heißt monströser Waren- und Geldströme.

Keine Option auf Verzicht, Anhalten, Zurückfahren, Bändigung des Fortschritts. Altmeister Herbert Marcuse schrieb 1964:

In der totalitären technologischen Gesellschaft ist Freiheit nur noch denkbar als Autonomie über das Ganze des Apparats, und dazu gehört die Freiheit, ihn zu reduzieren oder als Ganzes zu rekonstruieren – im Hinblick auf die Befriedung des Existenzkampfes, der Wiederentdeckung der Ruhe, des Glücks.

Herbert Marcuse, Kultur und Gesellschaft I, Ffm 1965, Vorwort

War hier von Glück die Rede?

Weitere Munition, weitere Heilsversprechen

Die "Ordnung" mit ihrem kalten Instrumentarium der Weltbewältigung und Selbsterhaltung soll bitte auch in der zerbombten Ukraine wieder hergestellt werden. Natürlich! Dort werden unsere Werte verteidigt, künftiges Glück eingeschlossen.

Russland hat soeben seine "Spezialoperation" in der Ukraine offiziell zum Krieg umdeklariert. Noch mehr Helden müssen sterben, bevor auf ihren Gräbern Friedensblumen wachsen. Auf weitere Munition folgen weitere Heilsversprechen.

Kein Fortschritts-Bändigungs-Ministerium in Sicht! Mit einer nötigen Unterabteilung für erneuerbares Bewusstsein.