Aus Deutschland könnte eine Bürgerrepublik nach Schweizer Vorbild werden

Sammelantwort auf Kommentare zu "60 Jahre Grundgesetz"

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Da ich nicht auf alle Kommentare zu meiner Veröffentlichung 60 Jahre Grundgesetz: Gibt es überhaupt etwas zu feiern? im Einzelnen antworten will und kann, tue ich dies in gesammelter Weise.

Zunächst einige Klarstellungen zum politischen Hintergrund der Sache und meiner Person, der einigen Kommentatoren klärungsbedürftig scheint:

Den Artikel „60 Jahre Grundgesetz“ habe ich nicht im Auftrag von Mehr Demokratie e.V., sondern aus eigener Veranlassung geschrieben. Ich gehöre und gehörte nie einer Partei an, stehe auch nicht der NPD nahe oder schreibe von deren Wahlprogramm ab. Bis 1998 habe ich immer SPD gewählt, seither bin ich Nichtwähler. Bei Mehr Demokratie e.V., einer Bürgerbewegung, die sich für direkte Demokratie einsetzt, habe ich politisches Asyl erhalten, obwohl dort nicht alle meiner Meinung sind.

Meine politische Gesinnung würde ich als vorwiegend sozial-konservativ bis vorsichtig progressiv bezeichnen, wobei ich zugebe, dass Selbstwahrnehmungen immer subjektiv und damit fragwürdig sind. Meine Sozialisation erfolgte in streng katholischem Milieu, inzwischen habe ich mich aber davon emanzipiert. Als Mediziner habe ich gelernt, kühl zu kalkulieren und Gefühle zu unterdrücken. Vielleicht erklärt das meine geringe Scheu vor Tabus und meine begrenzte Bereitschaft zur Rücksichtnahme auf politische Empfindlichkeiten. Was hilft, darf auch wehtun.

In Zeiten wie diesen müssen wir endlich aufhören, uns gegenseitig moralisch-politische Etiketten aufzukleben oder gar die falsche Gesinnung vorzuwerfen. Es geht um das Gemeinwohl, um die Verhinderung des Abstiegs Deutschlands auf den Stand eines vom globalen Kapital ausgebeuteten Schwellenlandes, nicht um die richtige Weltanschauung. Es gibt Fanatiker, denen das Schicksal Deutschlands egal ist, mir aber nicht. In einer Demokratie muss kein Bürger Patriot sein, aber jeder darf es sein.

Einige Kommentatoren haben offensichtlich nur darauf gewartet, auf einen arglosen Andersdenkenden moralisch einzuprügeln, um auf diese Weise ihren politischen Frust oder psychische Probleme abzubauen. Dabei beschweren sie sich auch noch über den Verfall der Qualität von Telepolis. Zu den anerkannten Regeln einer guten Debattenkultur gehört die Unterlassung persönlicher Angriffe, insbesondere die moralische Diskriminierung, was manchen aber nicht daran hindert, zur Person statt zur Sache zu argumentieren. Vorwürfe sind halt leichter zu beschaffen als Tatsachen und Beweisgründe.

Telepolis bietet ein offenes Forum für jeden, der es ernst meint und zugleich die Regeln der herrschaftsfreien Wechselrede einhält. Jeder irrt sich gelegentlich oder schießt über das Ziel hinaus, und ich nehme mich davon nicht aus. Aber in einem solchen Diskussionsforum hat jeder auch das Recht auf politischen Irrtum. Wer seinen Standpunkt in geordneter Form als widerleglich zur Erörterung stellt, darf auch einmal daneben liegen, hat aber trotzdem Anspruch auf intellektuell redliche Behandlung.

Meine Wortwahl, die einigen befremdlich erscheint, ist im geisteswissenschaftlichen Diskurs durchaus üblich. Der Zwang zu verkürzter Darstellung im Rahmen von Telepolis geht leider auf Kosten der notwendigen Ausführlichkeit und allgemeinen Verständlichkeit, sodass mancher meiner Gedanken von einigen missverstanden wurde. Wer sich an dem Ausdruck „Systemparteien“ stört, der möge das Buch des renommieren Staatstheoretikers Hans Herbert von Arnim „Das System“ aus dem Jahr 2001 lesen. Von Arnim hält das politische System Deutschlands für verkommen und illegal.

Zur Ausräumung von Missverständnissen erkläre ich noch einmal meinen Standpunkt, der zugleich ein politisches Anliegen enthält:

Das Grundgesetz ist keine Verfassung im demokratietheoretischen Sinne, weil die Zustimmung des Volkes fehlt, wie es sich für eine demokratische Verfassung gehört. Selbst in Bananenrepubliken wird das Volk zur Abstimmung über eine neue Verfassung gerufen, nur nicht in Deutschland.

Das Grundgesetz, das sich ursprünglich ausdrücklich als Provisorium definierte, wird von der herrschende Klasse als „Verfassung“ bezeichnet, ist aber nur ein obrigkeitliches Regelwerk, das dem deutschen Volk 1949 auf Betreiben der West-Allierten vor die Nase gestellt wurde. Das Volk hat sich mit dieser politischen Zwangsheirat arrangiert, was psychologisch verständlich ist, denn die Alternative wären Anarchie oder eine offene Diktatur. (Noch schlimmer wäre eine Intervention der US-Amerikaner.) Der allgemeine Wohlstand verstärkt die Zustimmung zum politischen System oder dämpft wenigstens die Neigung zur Systemkritik. Die Gehirnwäsche der politischen Klasse besorgt dann den Rest, sodass die Unfähigkeit, Bestechlichkeit und Verantwortungslosigkeit der Politiker dumpf ertragen wird. Solange es genug Brot und Spiele gibt, hält das künstlich verdummte und eingeschüchterte Volk still. Damit es nicht allzu übermütig wird, baut man angsteinflößende Bedrohungen auf, vom Kommunismus über Waldsterben, Rinderwahn und andere Wahnseuchen bis zur Klimakatastrophe. Damit kann man viele Zumutungen rechtfertigen.

Wer es immer noch nicht begriffen hat: Deutschland steht vor einer politischen und wirtschaftlichen Katastrophe, die zur allgemeinen Verarmung und Entrechtung der Mehrheit der Bevölkerung führen wird. Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wird Deutschland seinen Rest an Souveränität verlieren und zu einer bloßen Verwaltungsprovinz der Europäischen Union herabsinken. Die deutsche Wirtschaft wird dann noch mehr zum Spielball des globalen Kapitals, die Entindustrialisierung und die damit verbundene Arbeitslosigkeit werden zunehmen. Gleichzeitig wird der Sozialstaat abgebaut. Die darauf folgenden Unruhen geben den Machthabern genügend Handhabe, ihre Innenpolitik in Richtung auf einen Polizeistaat fortzusetzen.

Eine Änderung der Politik des Demokratieabbaus ist innerhalb der bestehenden Verfassungsordnung nicht möglich. Das Grundgesetz muss aus formalen wie praktischen Gründen durch eine Volksverfassung ersetzt werden, denn die politische Klasse benutzt das Grundgesetz, um ihren Machenschaften den Anschein der Rechtmäßigkeit zu geben. Daran kann nur eine Verfassung etwas ändern, die sich nicht durch die jeweiligen Machthaber missbrauchen lassen kann, weil ihre Bestimmungen unter der Kontrolle des Volkes stehen.

Meine Forderung nach einer Volksverfassung ist sowohl legitim wie legal. Der Einwand einiger Kommentatoren, in Deutschland würde es nie richtige Demokratie geben, ist voreilig, denn Erfahrungsbeweise über die Zukunft kann es nicht geben. Demokratie darf nicht bloß die Diktatur der gewählten Obrigkeit sein, wie in Deutschland praktiziert. Deutschland braucht endlich die echte, nämlich volksunmittelbare Demokratie.

Aus Deutschland könnte sehr wohl eine Bürgerrepublik nach Schweizer Vorbild werden. Dann hätten die Bürger bei allen wichtigen Entscheidungen das letzte Wort und sie könnten Gesetze verhindern, aber auch erzwingen. Direkte Demokratie erlaubt keinen politischen Kuhhandel, keine Selbstbegünstigung der Politiker, keine Postenschieberei oder Günstlingswirtschaft, keinen Polizeistaat, keine Kriegspolitik und keine Entscheidungen zulasten unserer Kinder und Enkel. Eine Volksverfassung ist daher notwendig, zulässig und möglich. Hierzu habe ich bereits ausführliche Pläne entwickelt, die ich bei Gelegenheit gern vorstelle.