Aus dem Perversitätenkabinett der modernen Technologien

Eine Podiumsdiskussion über Autorschaft und Multimedia

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Schon die Fragestellung, "wird es in Zukunft noch einen Ur-heber geben oder wird das Medium selbst der Autor sein?" hat eigentlich nur das Schlimmste vermuten lassen. Hier sind deutsche Geistesgrößen aufgerufen, sich mannhaft dem Perversitätenkabinett der modernen Technologien entgegenzuwerfen. Und der Verdacht wurde bestätigt. Bei einer Podiumsdiskussion von ZDF, BR und Kulturreferat der Landeshauptstadt München am 13.01.97 in der Black Box des Münchner Gasteigs offenbarte sich wieder einmal der deutsche Geist in der Medienphilosophie in all seiner wortgewaltigen Hilflosigkeit.

Alle, die eine derartige Diskussion in Deutschland schon einmal verfolgt haben, kennen das eigentlich schon. Vier Denker, die Betonung liegt auf dem männlichen -er der Endung, treten sekundiert von einem Moderator zum hochfliegenden Gedankenaustausch über ein Thema aus dem Gebiet der Cyberkultur an. Am Ende ist das Publikum wieder einmal kaum gescheiter geworden, geschweige denn irgendwie besser mit geistigem Werkzeug ausgestattet, um die Herausforderung der Netze anzunehmen.

Warum also noch darüber berichten, gibt es doch auch bessere Konferenzen, wie z.B. "Internet und Demokratie" über die Sabine Helmers in Telepolis berichtete oder der Kongreß des Chaos-Computer-Clubs, der sich, wie schon gewohnt, kompetent und vielfältig mit Aspekten von Datenschutz, Zensur und Privatheit im Netz auseinandersetzte.

Dieser bewußte Abend in der Black Box setzte dem Ganzen jedoch das berühmte I-Tüpfelchen auf und soll uns als willig-billiges Objekt dienen, die Unfähigkeit eines (nicht geringen) Teils der intellektuellen Elite vor Augen zu führen, etwas wirklich Sinnvolles über Internet und Multimedia zu formulieren, nicht zuletzt, da sich hier auch ein spezifisch deutsches Element in der Mediendiskussion offenbart, wie es z.B. zuletzt von Lovink/Schultz in Academia Cybernetica gegeißelt wurde.

Angetreten waren Cristoph Dreher, Medienkünstler, Gert Heidenreich, Schriftsteller, Wolfgang Schirmacher, Technikphilosoph und Martin Pieper, ZDF-Jurist, durch den Abend geleitet von Moderator Michael Schmidt vom Bayerischen Rundfunk. Schon nach den Eröffnungsstatements offenbarte sich das Grunddilemma dieser Art von Diskussionen. Zwischen einer kulturkonservativen Haltung der Besitzstandswahrung im Sinn von Hochkultur und genialer Autorenschaft (Heidenreich) und philosophisch abgedrehter Medienspekulation (Schirmacher) fehlt die Perspektive, die sich mit dem real existierenden Phänomen Multimedia kompetent auseinandersetzt. Während Schirmacher den monadenhaften Surfer als demokratischen Co-Produzenten von Kunst glorifiziert, sieht Heidenreich Geist, Bildung, Abendland bedroht.

Die Wahrheit aber liegt nicht in der so oft beschworenen Mitte. Denn wie im Laufe des Abends immer deutlicher wurde, stehen sich die beiden Herren ja gar nicht so fern. Beide begehen den elementaren Fehler, Interpretationen der Technik als ein "Wesen der Technik" zu verstehen. Mit anderen Worten, Entwicklungen, die eigentlich gesellschaftlich motiviert sind, werden deterministisch der Technik unterschoben.

Schirmacher sieht im Internet eine neue Form von Kreativität erblühen, frei von der Traditionslast des Abendlandes. Den Autor möchte er am liebsten abschaffen, findet es unnötig, daß Menschen sich mit etwas beschäftigen müssen, was ein anderer Mensch geschrieben hat. Jeder solle sich "frei" an jeder Form von Wissen, ob Informationen in Bibliotheken, literarischen oder akademischen Texten bedienen können, ohne Referenz, Dankbarkeit oder gar Bezahlung für die Autoren.

Heidenreich hingegen sieht die große philosophische Krise auf uns zukommen. Da man den manipulierten Bildern nicht mehr trauen könne, sei der elementare Modus der Selbstvergewisserung in Frage gestellt. Je mehr Wissen verfügbar sei - und hier wurde er schon geradezu reaktionär - umsoweniger wüßten wir damit anzufangen. Eine Gesellschaft hochinformierter Idioten, so Heidenreich wörtlich, würde auf uns zukommen. Jeder Feuilletonist können ja heute mittels CD ROMŽs im Zitatenschatz großer Autoren wie Nietzsche wühlen, ohne Nietzsche ausgiebig gelesen oder verstanden zu haben.

Damit provozierte er aber Schirmacher nur zu neuen rhetorischen Blüten. Mit Hilfe von Software wie Photoshop oder Quark X-Press könne, wenn es nach ihm geht, nun jeder ein neuer Picasso werden. Jeder? Ja, jeder, denn das Internet kitzelt den Nietzscheanischen Übermenschen noch aus dem letzten Dorfjungen in der globalen Mediensuppe.

Was die anderen beiden Teilnehmer zu sagen hatten, blieben eigentlich Randbemerkungen. Dreher disqualifizierte sich selbst, indem er Projekte von Ponton European Media Art Lab so darstellte, als wären es seine gewesen (...damals bei der Ars Electronica in Wien). Immerhin punktete er beim Publikum mit kernigen Sprüchen, wie jenem vom "Perversitätenkabinett der modernen Technologien".

ZDF-Justitiar Pieper versuchte leider, die philosophische Vogelschau von Schirmacher/Heidenreich mitzumachen und wußte so manches lateinische Spruchwort einzuflechten. Dabei zeigte er zumindest ansatzweise am meisten Sachverstand, etwa zu wirklichen realen Fragen des Copyrights oder der digitalen Signaturen bei Geschäftsabwicklungen im Internet.

Doch daß es nicht dazu kam, reale Fragen in nachvollziehbarer Art und Weise zu diskutieren, dafür sorgte der Moderator. Immer wenn die Diskussion sich auf das Niveau des Datenfeldweges Internet, so wie wir ihn kennen, herabließ, zog er flugs ein Kärtchen aus seinem Repertoire und schlug ein neues Überflieger-Thema an. So wollte er etwa, zu einem gänzlich unpassenden Zeitpunkt knapp vor dem Ende der Diskussion noch wissen, was die Anwesenden von den Maschinenphantasien eines Hans Moravec halten.

Es stellt sich die Frage, ob dies einfach nur Ausdruck von Unfähigkeit ist, oder ob etwa System dahintersteht. Soll das Publikum vielleicht absichtlich in die Wüste Internet geschickt werden, damit die Software-Industrie weiterhin verdummende Benutzeroberflächen losschlagen kann, damit die Telekomgesellschaften weiterhin zweistellige Gewinnzuwächse verzeichnen und das weltweite geistige Eigentum zum Shopping-Bazar für Bill Gates, Disney, Warner und Konsorten wird?

Kein Wort wurde darüber verloren, daß Ende September eine Weltkonferenz über Copyright stattgefunden hatte, mit dem Ziel, die Berner Konvention zum Schutz des geistigen Eigentums für das digitale Zeitalter zu aktualisieren. Niemand erwähnte, daß es auch Arbeit und Kosten bedeutet, den Inhalt von Bibliotheken im Internet "frei" zugänglich zu machen und niemand fragte, wer sich für die öffentliche Zugänglichkeit von Wissen verantwortlich fühlen soll.

Wenn das die Form ist, in der überwiegend öffentlich über Internet und Multimedia nachgedacht wird, dann kann die Multimedia-Gesellschaft wirklich schnurstracks ins "Dark Age" führen, wie es etwa der New Yorker Technologie-Analyst Mark Stahlmann sieht. Dark Age? Ein von einer Info-Elite regierter Weltstaat, von dem Newt Gingrich träumt und wie ihn H.G.Wells literarisch antizipiert hat.

Deshalb sollte den Cyber-Cheerleaders und den Wortakrobaten mit ihren kulturkonservativen Dünkeln gleichermaßen eine Absage erteilt werden. Laßt uns normal sein. Undo- und Reset-Taste drücken, zurück zum Anfang. Wie war das nochmal, hat hier wirklich jemand ernsthaft behauptet, das Internet ist heute schon selbst der Autor?