Aus den Tropen des Laptops

DSP-Holiday von HAT

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Nach ihrem Erstling von 1996 melden sich Atom Heart, Haruomi Hosono, und Tetsu Inoue unter dem Synonym HAT pünktlich zum Sommerbeginn mit einem neuen Album zurück, das Urlaubsgrüsse aus den Tropen des Laptops verspricht.

Die drei hatten sich 1997 zu den Aufnahmen in Atom Hearts Wahlheimat Santiago eingefunden. Noch im selben Jahr hat Tetsu Inoue die Aufnahmen in New York City editiert und das bearbeitete Material im DAT-Format Haruomi Hosono in Tokio zukommen lassen, wo erst vor kurzem der Meister selbst Hand anlegte und das Mastering besorgte.

Das Ergebnis wird "DSP-Holiday" genannt, und knüpft auf verschiedene Weise an das bisherige musikalische Schaffen der Beteiligten an. Atom Hearts Vorliebe für tropische Klangfrüchte darf wieder voll zur Geltung kommen, ebenso wie Haruomi Hosonos Vorliebe, auf idiosynkratische Weise Exotik mit Elektronik zu paaren (eine Neigung, die er im übrigen schon vor der Gründung des YMO entwickelt hatte, siehe dazu das Portrait von Haruomi Hosoni in Telepolis).

An diese Zeit erinnert auch sofort das "DSP-Holiday" Cover, das stark an der graphischen Ästhetik von Tadanori Yokoo ausgerichtet ist, der sich auch bereits fuer die visuelle Gestalung von "Cochinmooon" (1978) verantwortlich zeichnete. Die Indienreise, die Hosono und Yokoo damals zur Produktion von "Cochinmooon" inspirierte, setzt sich im Cover fort: Aus einer roten, über dem Ozean schwebenden Seerose tauchend, umarmt sich ein indisches Paar zu einem Kuss. Im Hintergrund klebt eine gelbe, überdimensional-grosse Sonnenfläche am Nachthimmel.

Anstelle von Tag und Nachtkontrasten (und den entsprechenden Bewusstseinszuständen), stellt "DSP-Holiday" karibischer Tropenromantik unstabile Einheiten der Datenwelt gegenüber. Tracktitel wie 'Plug-in Mambo' oder 'Shinjuku Photoshop' deuten an, worauf die Musiker vorgeben sich einglassen zu haben: 24 Bit Vacation nämlich. Gleich zu Beginn weht uns Modemrauschen aus Möwenkehlen entgegen; transportiert uns an einen anderen Ort. Ob es das optimale Album für den Sommerurlaub ist, auch wenn er nur in der Stadtwohnung halluziniert werden will, sei dennoch angezweifelt.

Jedes Stück hat zwar einen Höhepunkt, doch nicht im vielschichtigen Übergang in eine "andere Dimension" wie man es kennt, oder erhofft. Songmittig plazierte Akzente artikulieren sich als vermeintliche Systemzusammenbrüche verkabelter Klangarchitektonik. Die seit Anbeginn als verspieltes Sounddesign getarnte Brüchigkeit ist dann kein ornamentaler Bestandteil des Klangteppichs, wenn das Programm abzustürzen droht; wenn vor sich hintorkelnde, aneinander vorbeiredende Betriebsysteme laut werden. Es scheint, als wollten sich die Musiker geistesabwesender Geräte in Urlaubsstimmung bemächtigen, was hörbar nicht immer gelingt.

Die fragile Projektion eines Hardwareparadieses eben.

Im Vergleich zum Vorgänger ist "DSP-Holiday" weniger dicht an Informationen und viel heterogener. Die Akteure rücken bei einzelnen Stücken quasi in Solohaltung in den Vordergrund, wie z.B. Atom Heart beim eckig-groovenden 'Digidelic' und Haruomi Hosono beim in sich verspiegelten Hammond-Bossanova-Kitsch auf 'Granular Sunset'.

Artikel über HAT-Mitglieder:

Die musikalischen Paralleluniversen des Haruomi Hosono, von Krystian Woznicki

Der Springer? The Saint? ...ATOM HEART, von Krystian Woznicki