Aus für die Suche nach dem Higgs-Boson

Trotz der möglichen Hinweise auf die Existenz des letzten Elementarteilchens wird Cerns LEP jetzt vermutlich endgültig abgeschaltet

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Eigentlich hätte die Arbeit am bislang weltweit größte Teilchenbeschleuniger des Europäischen Laboratoriums für Teilchenphysik (CERN) in Genf bereits Ende September eingestellt werden müssen, da dieser demontiert werden muss, um an dessen Stelle den LHC (Large Hadron Collider) zu bauen. Doch dann fanden Wissenschaftler mögliche Hinweise auf die Existenz von Higgs-Boson-Teilchen und konnten eine Verlängerung der Experimente für einen Monat durchsetzen. Jetzt aber ist aus finanziellen Gründen wohl endgültig Schluss - und nun hat die "Konkurrenz" im Fermilab bis zum Jahr 2005 Zeit, das letzte Teilchen zu finden.

Nach ausführlichen Besprechungen mit den dafür zuständigen wissenschaftlichen Komitees, so Generaldirektor Luciano Maiani, sei man zu dem Schluss gekommen, den LEP-Beschleuniger endgültig abzuschalten, obgleich die weiteren Experimente während der Verlängerungsfrist zusätzliche Hinweise auf die Erzeugung von Higgs-Teilchen ergeben und die Wissenschaftler noch ein weiteres halbes Jahr gefordert hatten. Allerdings konnten keine eindeutigen Beweise vorgelegt werden. Die Ergebnisse seien wie schon zuvor auch mit anderen bekannten Prozessen kompatibel gewesen. Deswegen wurde von Maiani eine weitere, von den an den Experimenten beteiligten Wissenschaftlern gewünschte Verlängerung nicht mehr befürwortet, da diese den Baubeginn des LHC verzögert und vor allem um mehr als 120 Millionen Mark verteuert hätte. Aber man hat sicherheitshalber doch noch eine Bedenkpause vor dem endgültigen Aus.

Der Rat von CERN soll jetzt in der nächsten Sitzung diesen Entschluss bestätigen, so dass mit dem Abbau des LEP im nächsten Jahr begonnen werden kann, wenn nicht die Wissenschaftler, die jetzt noch schnell die gewonnenen Daten analysieren wollen, den Rat noch zu einer anderen Entscheidung überreden können. Maiani versprach, sich dafür einzusetzen, dass der Bauprozess für den LHC möglichst beschleunigt wird. Um Kosten zu sparen, wird der LHC in den 27 Kilometer langen unterirdischen Tunnel des LHC eingebaut. LEP war damit 11 Jahre in Betrieb und hat das sogenannte Standardmodell, das auch die Existenz des Higgs-Boson-Teilchens vorhersagt, mit den drei Familien von Teilchen weiter bestätigt.

In den letzten Monaten hatten die Wissenschaftler die Kapazität des Beschleunigers bis an seine Grenzen ausgeschöpft, um Beweise für gesuchte Teilchen zu finden. Das würde als Abschlussstein im Gebäude des Standardmodells den Entdeckern ziemlich sicher den Nobelpreis bringen. Natürlich hatten die an den Experimenten beteiligten Wissenschaftler noch auf eine Verlängerung gehofft. "Wenn man die Möglichkeit hat", so Patrick Janot, der physikalische Leiter beim LEP, nach der Bekanntgabe der neuesten Ergebnisse und vor der endgültigen Entscheidung, "eine Zeile in der Geschichte der Menschheit zu schreiben, dann kann man diese Chance nicht vergeben. Und das ist die Entscheidung, die vor uns liegt." Im Fermilab, das vor einigen Jahren modernisiert wurde, will man im nächsten Frühjahr die Suche nach dem Higgs-Boson beginnen.

Allerdings ist die Konkurrenz zwischen diesen beiden Standorten höchstens eine eben dieser Standorte, denn die Wissenschaft selbst ist international. Europäische Wissenschaftler arbeiten am Fermilab und amerikanische im CERN. Es geht um die Forschungsgelder und natürlich das Prestige der Standorte, in die schließlich viel investiert wurde und wird. An den Kosten des neuen Beschleunigers sind auch die USA beteiligt.

Das Higgs Boson wurde nach dem britischen Physiker Peter Higgs benannt, der seine Existenz vor über 30 Jahren vorausgesagt hat. Das Teilchen eröffnet ein Feld, das alle anderen subatomaren Teilchen wie Elektronen, Gluonen oder Quarks passieren. Je nach Grad der Interaktion mit diesem Feld ihre Masse erhalten. Nachweise für dieses Teilchen sind wegen seiner extremen Flüchtigkeit besonders schwierig zu erlangen, denn eigentlich existiert es nur virtuell und zerfällt, bevor es beobachtet werden könnte. Nachweisen lässt sich das Higgs Boson also nur indirekt, wenn durch den Zusammenprall äußerst schnell beschleunigter Teilchen soviel Energie entsteht, dass ein Teilchen entsteht und seine Existenz aufgrund der Kombination aus Partikeln, in die es zerfällt, erkennbar ist.