Ausländische Interventionen: "Nur drei Jahre lang erträglich"

Seite 2: Die Türkei im Sahel

Die Überschrift ist nüchtern formuliert: "Die Türkei im Sahel" lautet der Titel ihrer neuesten Studie, welche die Nichtregierungsorganisation International Crisis Group (ICG) am 27. Juli vorigen Jahres veröffentlichte und dem Thema widmete.

"Der wachsende Einfluss der Türkei im Sahel beunruhigt", fasste die Pariser Abendzeitung Le Monde am 06. August 2021 in einer weniger neutral gehaltenen Überschrift zusammen, was in ihren Augen an dem vorgelegten Text unter dem Strich wichtig ist.

Die Untersuchung beobachtet die Rolle der türkischen Außenpolitik in der Sahelregion in den letzten zehn Jahren, vergleicht diese jedoch auch mit dem türkischen Vorgehen in Somalia im selben Zeitraum. Dort leistete Ankara humanitäre Hilfe während einer Hungersnot im Jahr 2011.

Aber 2017 wurde dann in Mogadischu eine türkische Militärbasis, das derzeit größte Trainingslager der türkischen Armee außerhalb ihres Staatsgebiets, eingeweiht. Ferner knüpfte der – staatlich durch das Diyanet-Amt organisierte - Klerus des Landes Beziehungen zu somalischen religiösen Würdenträgern.

Ähnlich wie am Horn von Afrika blickt die Türkei auch im Sahel auf historische Bindungen zurück: Ab dem 16. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung regierten im späteren Somalia Sultanate, die zuerst osmanisches und später omanisches Protektorat waren. In der Sahelzone handelte es sich um eine Art Nachbarschaftspolitik, da das Osmanische Reich im 17. und 18. Jahrhundert unter anderem das heutige Libyen und Algerien beherrschte.

Im jetzigen Staat Niger führen etwa örtliche Sultane – traditionelle Monarchen, die wie in anderen afrikanischen Staaten nicht über unmittelbare politische Macht verfügen, denen aber ein gewisser gesellschaftlicher Einfluss verbleibt – auf eine Abstammungslinie mit osmanischen Vorfahren zurück.

Türkische Soft-Power-Strategie

Die Türkei ist im letzten Jahrzehnt dort auf eine Steigerung ihres Einflusses bedacht, beginnend mit der Eröffnung von Botschaften 2010 in Bamako und 2012 in Ouagadougou sowie Niamey. Ein Großteil ihrer Einflussnahme verläuft, wie auch der ICG-Rapport unterstreicht, über Bestandteile einer Soft-Power-Strategie: Imam-Ausbildung, Finanzierung von Pilgerreisen nach Mekka und Einladungen zu Seminaren in die Türkei, Errichtung von Krankenhäusern und Investititonen in Schulbau und -bildung.

Eine Schlüsselrolle spielten dabei bis in jüngerer Vergangenheit die Bildungseinrichtungen des Netzwerks unter dem fundamentalistischen Imam Fethullah Gülen. Doch dieser, zunächst ein wichtiger Verbündeter und Förderer des damaligen Premierminister und späteren Präsidenten Recep Teyyip Erdogan, überwarf sich jedoch ab Ende 2013 mit ihm.

Ab dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli 2016 – das Papier von ICG datiert ihn fälschlich auf "2017" – spitzte sich ihr Konflikt noch erheblich zu. Der türkische Staat, der dafür eine eigene Stiftung unter dem Namen Maarif (arabisch, ungefähr für "Bildung", abgeleitet von arafa für Wissen) einrichtete, versuchte ab dem Zeitpunkt die Kontrolle über diese Schulen zurückzugewinnen.

In Mali, dem Hauptknotenpunkt der türkischen Investitionspolitik im Sahel, überwarf sich die offizielle Stiftung jedoch mit den örtlichen Behörden und vor allem den Eltern von an den 18, "école Horizon" genannten Schulen des Gülen-Netzwerks, denn Letzteren wollten auf die qualititativ gut ausgestatteten Bildungsangebote des bisherigen Betreibers nicht verzichten.

Maarif richtete daraufhin parallele Schulen ein, schaffte es jedoch nicht, die Kontrolle über das türkeibasierte Bildungswesen in Mali völlig zurückzuerlangen. Eine ähnliche Offensive startete der türkische Staat 2020 in Togo.

Die ICG relativiert die materielle Bedeutung der türkischen Investitionen in der Region: Zwar habe sich das türkische Handelsvolumen mit Mali von fünf Millionen Dollar jährlich in 2003 auf 57 Millionen im vorletzten Jahr gesteigert. Doch dasjenige französischer und chinesischer Unternehmen im selben Zeitraum betrage Hunderte von Millionen Euro. Und die EU habe von 2011 bis 2019 insgesamt acht Milliarden Euro so genannter Entwicklungshilfe in Projekte im Sahelraum angelegt.

Dennoch tendiert die ICG auch nicht zu Geringschätzung. Im letzten Zeitabschnitt gehe die türkische Soft-Power-Strategie auch erstmals mit offenem politischem und militärischem Agieren einher. Die NGO verweist darauf, türkische Politiker - unter ihnen Außenminister Mevlüt Cavusoglu - hätten sich als Erste mit den Urhebern des Militärputschs in Mali vom August 2020 getroffen und dadurch Unterstützung signalisiert, während Frankreich den Machtwechsel ablehnte.