Ausländische Interventionen: "Nur drei Jahre lang erträglich"

Sahelzone. Karte: Flockedereisbaer/CC BY-SA 3.0 DE

Gilt das auch für Russland und die Türkei in Afrika? Die geopolitische Lage nach der Kündigung der Franzosen in Mali

Sagt zum Abschied leise Servus, aber schnell: Zu Anfang der ersten Maiwoche kündigte die in Mali amtierende Militärregierung sämtliche militärischen Kooperationsverträge mit der früheren Kolonialmacht (Mali: Franzosen und EU raus, Russen rein). Dies wird den Abzug der französischen Truppen aus dem Sahelstaat, auf dessen Boden auch die deutsche Bundeswehr stationiert ist, noch beschleunigen.

Angekündigt worden war diese Beendigung der Stationierung der französischen Armee zunächst am 17. Februar dieses Jahres in Brüssel. Auf einer Pressekonferenz vor Eröffnung des sechsten gemeinsamen Gipfels von Europäischer Union (EU) und Afrikanischer Union (AU) traten an jenem Tag, um einige Minuten nach neun Uhr, Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron und mehrere seiner afrikanischen Amtskollegen gemeinsam vor die Mikrophone. Nach ihm ergriff das senegalesische Staatsoberhaupt Macky Sall das Wort.

Dschihadistisches Dreiländereck zwischen Niger, Mali und Burkina Faso

Die Nachbarländer Malis werden eine wichtige Rolle beim geplanten Abzug der französischen Truppen aus dem Sahelstaat spielen. Denn diese werden nicht definitiv aus der Region verschwinden, sondern sollen über die Anrainerstaaten verteilt werden.

Dabei ist vor allem an die östlichen Nachbarn Tschad und Niger gedacht, und dort wiederum speziell an das Dreiländereck zwischen Niger, Mali und Burkina Faso, wo sich tatsächlich dschihadistische Aktivitäten konzentrieren, gegen die sich der französische Einsatz laut Begründung ja richtete.

Die heikle Frage in den kommenden Wochen wird also lauten, wie nach dem erzwungenen Abschied aus Mali die Reaktionen der Bevölkerungen in Niger und Tschad ausfallen? Die dortigen Regierungen haben gegen die Verlagerung der französischen Truppen auf ihr Staatsgebiet bislang jedenfalls nichts einzuwenden.

Niger und Tschad

Im Nachbarstaat Niger gilt die Stationierungsdebatte als heikel und in diversen WhatsApp-Foren zwischen dem Sahel und Frankreich kursierte im Laufe vergangener Woche eine Audiodatei, die die kritische Reaktion von Issoufou Tamboura – des Chefs der stärksten Oppositionspartei im Niger – enthielt.

Im östlich angrenzenden Tschad regieren ebenfalls Armeeangehörige in Gestalt eines nach dem Ableben des langjährigen, diktatorisch regierenden Staatspräsidenten Idriss Déby Itno (an der Macht von Dezember 1990 bis zu seinem Tod im April 2021) gebildeten "Militärischen Übergangsrats" CNT. An ihrer Spitze steht einer der Söhne des vor dreizehn Monaten offiziell durch Rebellen, eventuell aber auch durch einen Offizier aus den eigenen Reihen getötete Autokraten, der erst 38jährige Mahamat Idriss Déby.

Im Unterschied zur Militärführung in Mali steht die CNT-Regierung im Tschad nicht im Konflikt mit der französischen Politik, und Mahamat Idriss Déby unterhielt sich erst am vergangenen Freitag persönlich mit Frankreichs Staatsoberhaupt Emmanuel Macron.

Es liegt also weniger am nicht-zivilen Charakter der derzeitigen politischen Führung in Mali, sondern an anderen Faktoren, wenn in den zurückliegenden Monaten die Spannungen zwischen Bamako und Paris anwuchsen.

Mali: Militärregierung ist nicht unbedingt unpopulär

Das Hauptquartier der "Barkhane-Truppe" - die Ende 2014 die anderthalb Jahre zuvor mit 3.000 Soldaten in Mali gestartete "Operation Serval" ablöste, jedoch fünf Länder abdeckt und rund 5.000 Militärs umfasst – ist ohnehin seit Anfang an in der tschadischen Hauptstadt N’Djamena angesiedelt.

"Die politischen, operativen und juristischen Voraussetzungen" für eine Fortsetzung des Einsatzes im gegebenen Rahmen in Mali seien "nicht mehr erfüllt", erklärte Macron an jenem 17. Februar zur Begründung. Mit den amtierenden Behörden in Mali – dort fand ein Militärputsch im August 2020 gegen den unpopulär gewordenen, zu Anfang dieses Jahres verstorbenen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita ("IBK") statt, und ein Zweitputsch im Mai 2021 erhöhte den Einfluss der Militärs in der gemischt zusammengesetzten provisorischen Regierung – habe man keine gemeinsame Grundlage mehr:

Wir können nicht militärisch an der Seite von Autoritäten im Einsatz bleiben, mit denen wir weder die Strategie noch die verborgenen Ziele teilen.

Emmanuel Macron

In Mali selbst ist die amtierende Militärregierung nicht unbedingt unpopulär, zumindest ist die öffentliche Meinung gespalten. Relevante Teile derselben sehen jedenfalls bislang vor allem Aspekte wie diesen im Vordergrund stehen:

Die zivile "politische Klasse" wird von Siebzig- bis Achtzigjähren angeführt, von denen viele als notorisch korrupt und Versorger bestimmter Klientelgruppen gelten, während die Militärregierung von Dreißig- bis Vierzigjährigen geleitet wird – denn die Putsche gingen nicht von der Generalität aus, sondern von untergeordneten Offizieren.

Jedenfalls ein Teil der Öffentlichkeit fordert von ihnen derzeit vor allem, sie sollten nicht abtreten, bevor nicht den Urhebern der schlimmsten Korruptionserscheinungen der Prozess gemacht worden sei.

Ende Februar bekräftigte das provisorische Parlament in Bamako die Pläne der Militärregierung, sich auf eine fünfjährige Übergangsperiode bis zu allgemeinen Wahlen einzustellen. In deren Verlauf könnte ihre Popularität allerdings abnehmen.

Die Militärfirma Wagner – und die Unpopularität der französischen Präsenz

Einen Streitpunkt, den Macron an jenem Tag auch ansprach – zumindest indirekt, indem er auf "Übergriffe auf die Bevölkerung in der Zentralafrikanischen Republik" Bezug nahm, wo 2.000 russische Söldner präsent sind – betrifft die Stationierung der russischen, vorgeblich privaten, doch ausgesprochen staatsnahen Militärfirma Wagner. Deren Name leitet sich angeblich vom Spitznamen ihres Gründers Dimitri Utkin ab.

Dem früheren Militär soll aufgrund angeblicher Hitler-Sympathien und seiner musikalischen Neigungen – Propagandavideos seiner Truppe werden oft von Konzerteinlagen mit dramatischen Klängen begleitet – dieser Rufname angehängt worden sein.

Die in der Bevölkerung rasant gewachsene Unpopularität der französischen Präsenz hängt, neben der Geschichte Frankreichs als Kolonialmacht in der Region, auch mit ausbleibenden Erfolgen bei der Zurückdrängung der dschihadistischen Aktivitäten in der Region ab.

Zahllose Gerüchte behaupten, Frankreich unterstütze diese unter der Hand, um sein eigenes Verbleiben zu rechtfertigen. Ferner geht in der Öffentlichkeit die Nachricht um, Frankreich habe den malischen Truppen Aufnahmen von Verstecken der Dschihadisten verweigert, während die Russen ihnen Drohnenaufnahmen über deren unterirdische Tunnels weitergegeben hätten.

Tatsächlich scheint einer der Fehler beim französischen Einsatz eine gewisse Überheblichkeit gewesen zu sein.

Im Durchschnitt drei Jahre erträglich

Die Strategieforscherin Caroline Roussy erklärte im öffentlich-rechtlichen französischen Fernsehen, ein Einsatz ausländischer Truppen in einem Land – jedenfalls in dominierender Position - werde im Durchschnitt "drei Jahre lang als erträglich betrachtet".

Diese Zeit sei sträflich überschritten worden. Die Frage wird nun lauten, ob ein ähnlicher Mechanismus sich in der Zukunft auch gegen russische Militärs oder Söldner wenden könnte? Der Politologe Pascal Boniface sagte genau dies jedenfalls in einer Sendung beim Fernsehkanal France5 voraus.

Noch ein anderer Akteur, der mit Frankreich bereits im östlichen Mittelmeerraum und in Libyen im Kontakt steht, wartet neben Russland ebenfalls auf seine Stunde.

Die Türkei im Sahel

Die Überschrift ist nüchtern formuliert: "Die Türkei im Sahel" lautet der Titel ihrer neuesten Studie, welche die Nichtregierungsorganisation International Crisis Group (ICG) am 27. Juli vorigen Jahres veröffentlichte und dem Thema widmete.

"Der wachsende Einfluss der Türkei im Sahel beunruhigt", fasste die Pariser Abendzeitung Le Monde am 06. August 2021 in einer weniger neutral gehaltenen Überschrift zusammen, was in ihren Augen an dem vorgelegten Text unter dem Strich wichtig ist.

Die Untersuchung beobachtet die Rolle der türkischen Außenpolitik in der Sahelregion in den letzten zehn Jahren, vergleicht diese jedoch auch mit dem türkischen Vorgehen in Somalia im selben Zeitraum. Dort leistete Ankara humanitäre Hilfe während einer Hungersnot im Jahr 2011.

Aber 2017 wurde dann in Mogadischu eine türkische Militärbasis, das derzeit größte Trainingslager der türkischen Armee außerhalb ihres Staatsgebiets, eingeweiht. Ferner knüpfte der – staatlich durch das Diyanet-Amt organisierte - Klerus des Landes Beziehungen zu somalischen religiösen Würdenträgern.

Ähnlich wie am Horn von Afrika blickt die Türkei auch im Sahel auf historische Bindungen zurück: Ab dem 16. Jahrhundert christlicher Zeitrechnung regierten im späteren Somalia Sultanate, die zuerst osmanisches und später omanisches Protektorat waren. In der Sahelzone handelte es sich um eine Art Nachbarschaftspolitik, da das Osmanische Reich im 17. und 18. Jahrhundert unter anderem das heutige Libyen und Algerien beherrschte.

Im jetzigen Staat Niger führen etwa örtliche Sultane – traditionelle Monarchen, die wie in anderen afrikanischen Staaten nicht über unmittelbare politische Macht verfügen, denen aber ein gewisser gesellschaftlicher Einfluss verbleibt – auf eine Abstammungslinie mit osmanischen Vorfahren zurück.

Türkische Soft-Power-Strategie

Die Türkei ist im letzten Jahrzehnt dort auf eine Steigerung ihres Einflusses bedacht, beginnend mit der Eröffnung von Botschaften 2010 in Bamako und 2012 in Ouagadougou sowie Niamey. Ein Großteil ihrer Einflussnahme verläuft, wie auch der ICG-Rapport unterstreicht, über Bestandteile einer Soft-Power-Strategie: Imam-Ausbildung, Finanzierung von Pilgerreisen nach Mekka und Einladungen zu Seminaren in die Türkei, Errichtung von Krankenhäusern und Investititonen in Schulbau und -bildung.

Eine Schlüsselrolle spielten dabei bis in jüngerer Vergangenheit die Bildungseinrichtungen des Netzwerks unter dem fundamentalistischen Imam Fethullah Gülen. Doch dieser, zunächst ein wichtiger Verbündeter und Förderer des damaligen Premierminister und späteren Präsidenten Recep Teyyip Erdogan, überwarf sich jedoch ab Ende 2013 mit ihm.

Ab dem gescheiterten Militärputsch vom 15. Juli 2016 – das Papier von ICG datiert ihn fälschlich auf "2017" – spitzte sich ihr Konflikt noch erheblich zu. Der türkische Staat, der dafür eine eigene Stiftung unter dem Namen Maarif (arabisch, ungefähr für "Bildung", abgeleitet von arafa für Wissen) einrichtete, versuchte ab dem Zeitpunkt die Kontrolle über diese Schulen zurückzugewinnen.

In Mali, dem Hauptknotenpunkt der türkischen Investitionspolitik im Sahel, überwarf sich die offizielle Stiftung jedoch mit den örtlichen Behörden und vor allem den Eltern von an den 18, "école Horizon" genannten Schulen des Gülen-Netzwerks, denn Letzteren wollten auf die qualititativ gut ausgestatteten Bildungsangebote des bisherigen Betreibers nicht verzichten.

Maarif richtete daraufhin parallele Schulen ein, schaffte es jedoch nicht, die Kontrolle über das türkeibasierte Bildungswesen in Mali völlig zurückzuerlangen. Eine ähnliche Offensive startete der türkische Staat 2020 in Togo.

Die ICG relativiert die materielle Bedeutung der türkischen Investitionen in der Region: Zwar habe sich das türkische Handelsvolumen mit Mali von fünf Millionen Dollar jährlich in 2003 auf 57 Millionen im vorletzten Jahr gesteigert. Doch dasjenige französischer und chinesischer Unternehmen im selben Zeitraum betrage Hunderte von Millionen Euro. Und die EU habe von 2011 bis 2019 insgesamt acht Milliarden Euro so genannter Entwicklungshilfe in Projekte im Sahelraum angelegt.

Dennoch tendiert die ICG auch nicht zu Geringschätzung. Im letzten Zeitabschnitt gehe die türkische Soft-Power-Strategie auch erstmals mit offenem politischem und militärischem Agieren einher. Die NGO verweist darauf, türkische Politiker - unter ihnen Außenminister Mevlüt Cavusoglu - hätten sich als Erste mit den Urhebern des Militärputschs in Mali vom August 2020 getroffen und dadurch Unterstützung signalisiert, während Frankreich den Machtwechsel ablehnte.

Politik mit Islamisten? Türkei profitiert vom Abbröckeln des Einflusses Frankreichs

Allgemein profitiert die Türkei vom Abbröckeln des Einflusses Frankreichs, das im vergangenen Jahr ankündigte, die 5.100 Soldaten seiner Sahel-Streitmacht Barkhane um voraussichtlich 40 bis 50 Prozent zu verringern.

Erstmals schloss die Türkei im Juli 2020 ein militärisches Abkommen mit Niger, dessen Klauseln geheim gehalten bleiben. Es sieht jedenfalls eine Hilfe bei der Ausrüstung nigrischer Streitkräfte, aber auch die Entsendung türkischer Soldaten zur Bekämpfung der regionalen Terrorgruppe Boko Haram vor.

Dadurch könnte die Türkei ihre aktuelle, unbestrittene militärische Präsenz in Libyen nach Süden hin verlängern. Die ICG zeigt sich über eine Perspektive "weiterer Militarisierung" in der Region beunruhigt, zumal dies überdies einen Wettlauf mit den rivalisierenden Vereinigten Arabischen Emiraten bei militärischen Projekten auszulösen drohe.

Der Bericht hebt auch hervor, der Türkei werde vorgeworfen, islamistische Strömungen und insbesondere jene der Muslimbrüder durch ihre Regionalpolitik fördern zu wollen. Zugleich dementiert der Rapport die von französischer Seite geäußerte Unterstellung, die Türkei könnte auch gewaltförmig vorgehende Dschihadisten in der Region fördern: Dieser Verdacht habe sich bei diversen Ansprechpartnern vor Ort nicht erhärten lassen.

Tatsächlich scheint die Politik Ankaras eher auf eine Strategie der institutionellen Durchdringung zu setzen. Französische Spitzenpolitiker warfen ihr in jüngster Zeit wiederholt vor, im Sahel "Destabilisierung" zuungunsten ihres Landes zu betreiben, so Verteidigungsministerin Florence Parly am 12. Januar 2021 im Parlament und ihr Vorgesetzter Emmanuel Macron im November 2020.