Außenseiter im Weltsystem
Neue Reiseführer machen den ehemaligen "Schurkenstaat" Libyen schmackhaft
Libyen steht zwar nicht mehr an ranghöchster Stelle der Schurkenstaaten, doch auf Sympathien unter westlichen Touristen kann das Land nicht viel setzen. Ausgerechnet jetzt, in einer Zeit gespaltener Gemüter, erscheint ein neuer Libyen-Reiseführer von Lonely Planet: Der Krieg gegen den Terrorismus lässt die gesamte arabische Welt als Staatsfeind Nummer 1 dastehen. Ungeachtet dieser Tatsache zeigt sich Libyen, gerade mit dem Bau einer Autobahn an die tunesische Grenze beschäftigt, nach wie vor offen für den Westen und feiert 33.Jahre Revolution.
Es war Sommer 2000, da landete Libyens Staatschef Gaddafi einen folgenreichen Coup. Das "Geiseldrama von Jolo" hielt nicht zuletzt Deutschland in Atem. Touristen waren von einer militanten Gruppe Moslemrebellen auf die philippinische Insel entführt worden und wurden - teils unter laufenden Fernsehkameras - wochenlang von ihnen festgehalten, bis Gaddafi viele Millionen US Dollar Lösegeld zahlte und ihre Rückkehr medienwirksam inszenierte: Auf dem Rückweg in ihre Heimat legten sie einen Zwischenstopp in Libyen ein. Das Land machte des weiteren dann positiv auf sich aufmerksam, als es im Lockerbie-Fall einlenkte und die mutmaßlichen Drahtzieher der Flugzeug-Katastrophe auslieferte. Fortan stand es nicht mehr auf der schwarzen Liste und gilt nicht als der weltweit größte Unterstützer des Terrorismus.
Erleichterung hatte sich breit gemacht und selbst einen Journalisten des Yuppie-Magazins Wallpaper ins Land gelockt. Der kam mit tausend und einer atemberaubenden Impression von einer Libyen-Reise wieder, schwärmte von der Architektur, von dem demokratisch verteilten Reichtum und von Pop-gerechten Inszenierung Gaddafis - wie etwa auch in Kuba, gibt es in Libyen keine Werbung, jedoch zahllose Bilder des Staatschefs im öffentlichen Raum: bunt, kraftvoll, überzüchtet. Wohlgemerkt Bilder. Gemälde, Kollagen, etc. Keine Fotos. Fotos von Gaddafi sind nicht erlaubt. Eine der vielen Mythen, die sich um ihn ranken. Erich Follath charakterisiert ihn wie folgt: Gaddafi ist eine "Mischung aus Lawrence von Arabia, Jack Nicholson und Carlos: wohlmeinender Wüstenheld, ehrlich überzeugt vom edlen Auftrag für seine Nation, genialer Schauspieler mit einem Hang zum Flug übers Kuckucksnest, eiskalter, der "Sache" ergebener Diktator." Selbst schätzt Gaddafi sich wie folgt ein: "In den Geschichtsbüchern soll stehen, dass ich mein Volk befreit und dass ich darüber hinaus die Welt entscheidend verändert habe."
Dieser Überschwang erklärt sich vielleicht dadurch, dass er zum Zeitpunkt der Machtübernahme erst 27 Jahre alt war. Am 1. September 1969 hatte er gemeinsam mit einer handvoll anderer Putschisten einen Kuraufenthalt des damaligen Königs dazu genutzt, um den Umsturz einzuleiten. Die Unterstützung des Volkes war ihm allein schon deswegen sicher, weil es von dem neuen Ölreichtum (1955 wurden Vorkommen entdeckt, ab 1961 wurden sie exportiert) nichts zu Gesicht bekommen hatte.
Als Gaddafi an die Macht kam, sollte alles anders werden. Er plante die "permanente Revolution" und schrieb Anfang der 1970er Jahre das so genannte "Grüne Buch". Es sollte seine weiteren Schritte legitimieren, aber auch eine philosophische Grundlage dafür schaffen, was er später als Pan-Arabismus zu predigen begann. Eine Grundidee des "Grünen Buches" ist die sogenannte "direkte Volksherrschaft". Gaddafi wollte mit diesem Projekt nicht nur sein hungerndes Volk zufrieden stellen, sondern auch die Macht tribaler, religiöser und bürokratischer Eliten brechen, die vorher mit den Italienern, den Briten und den US-Amerikanern zum eigenen Vorteil zusammengearbeitet hatten. Damit sollte die Kolonisationsphase endgültig überwunden werden, unabhängig war das Land ja bereits seit 1951.
So sehr Gaddafi in den 1980er Jahren mit dem Export seiner im "Grünen Buch" niedergelegten Gedanken beschäftigt war, so sehr er versuchte die darin artikulierte "Dritte Universaltheorie" in anderen arabischen Ländern zu säen, genauso spannend, vielleicht sogar noch interessanter scheint es zurückzuverfolgen, was das Land in seiner langen Geschichte importierte. Gemeint ist zum Beispiel der italienische Einfluss, der Ende des 19. Jahrhunderts einen Höhepunkt erlangte und zu einer Kolonialherrschaft führte, die allerdings in "einem der schmutzigsten und brutalsten Kolonisationskriege aller Zeiten" ( Follath) ausgefochten werden musste. Das Fazit dieser kolonialen Episode: die Zerstörung des Landes. Im zweiten Weltkrieg wurde Libyen als strategische Schlüsselposition gehandelt und hart umkämpft. Danach schloss es Verträge mit Großbritannien und den USA. Die Folge: Militärbasen wurden errichtet, Ausländer genossen extraterritorialen Status. Das Land war eines der ärmsten der Erde und lebte vom Verkauf von Weltkriegsschrott und der Miete für die Militärbasen. All das findet sich heute in der kulturellen Landschaft Libyens in zahlreichen Schichten abgelagert.
Man findet das Nebeneinander von Kulturen vor allem im Stadtbild von Tripolis, wo europäisch anmutende Bauten, neben Gebäuden im neo-traditionalistischen Stil stehen, etwa hochmoderne Konferenzsäle mit diwan-artigen Betondächern. In der Hauptstadt bekommt man wohl auch den Globalisierungsstatus eines Landes zu spüren, das seit 33 Jahren in immer peripherere Regionen des Weltsystems abgleitet und sich vor der "größten Revolution unserer Zeit" (Micklethwait/Wooldridge) nachhaltig sträubt. Um das herauszufinden, muss man allerdings einen Schritt vor die eigene Haustür machen.
Wenn die Autobahn nach Tunesien gebaut ist, sollte man Gerhard Göttlers Reiseführer zur Hand nehmen. Er bereiste das Land mit dem Auto und erklärt, wie man dort, wo das Benzin so unvergleichlich günstig ist, auf vier Rädern gut über die Runden kommt. Ansonsten sei der Lonely-Planet-Reiseführer empfohlen. Eine Marke, die bekanntlich Menschen mit viel Zeit und wenig Geld entgegen kommt.
Libya
Anthony Ham
Lonely Planet Publications, 2002
ISBN: 0-86442-699-2
Libyen
Gerhard Göttler
Reise Know-How Verlag, 2001
ISBN: 3-89416-889-7