Ausstieg aus dem versprochenen AKW-Ausstieg
Die Sozialisten beginnen eine Kehrtwendung der Atompolitik in Spanien, in dem massiv Energie verschwendet wird und erneuerbare Energien reichlich zur Verfügung stünden
Die Sozialisten in Spanien hatten vor dem Wahlsieg den Ausstieg aus der Atomkraft versprochen. Doch statt dem Ausstieg aus der Atomkraft bereiten sie den Ausstieg aus ihrem Versprechen vor. Der in die EU-Kommission entsandte Joaquin Almunia prescht dabei vor. Er wirbt von Brüssel aus für die Atomkraft. Am Montag wurde der EU-Wirtschaft- und Währungskommissar deutlich. Es sei „Selbstmord“, die Tür zur Debatte über die Atomkraft zu schließen. Dabei schützen nur erneuerbare Energien und Sparen vor einer Abhängigkeit.
Der Sozialist Almunia wirbt immer offener für die Atomkraft. Am Montag hatte er es bei einem Gespräch mit der spanischen Presseagentur Europa Press als „Selbstmord“ bezeichnet, die Zukunft der Atomkraft nicht mit Gelassenheit und mit intellektueller Aufrichtigkeit und Transparenz“ zu analysieren. Diesmal trieb angeblich der hohe Ölpreis von „61 Dollar“ pro Barrel den „besorgten“ Almunia vor die Mikrophone. Die Energiepreise würden hoch bleiben oder weiter steigen, kündigte er an. Die Lage müsse unter diesen „ veränderten Bedingungen neu analysiert werden“, forderte Almunia, der sich als „schweigsam“ in der Atomfrage bezeichnete.
Dabei lässt der Währungskommissar, mit dessen Ressort die Energiepolitik der EU nur marginal zu tun hat, keine Gelegenheit aus, um die Diskussion im Sinne der Atomlobby anzuleiern, von der er sich verbal aber abgrenzt. Almunia befindet sich dabei in guter Gesellschaft mit vielen Konservativen. So fordert auch der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber eine „breite gesellschaftliche Debatte“ über die Atomenergie, die „ohne ideologische Festlegungen“ geführt werden soll.
Stoiber will aus dem Ausstieg aussteigen, Almunia will nicht, dass zu Hause mit dem Ausstieg begonnen wird. Deshalb hat er sein Weisheit bewusst in Madrid verkündet. Die beiden nutzten schon den Gasstreit zwischen Russland und der Ukraine, um vor der Energieabhängigkeit Europas zu warnen, um die Atomkraft wieder verstärkt auf die Tagesordnung zu setzen (Russland sitzt am längeren Hebel). Die Debatte um die Atomenergie sei „unvermeidlich“, meinte Almunia dazu und erklärte die Energiepolitik zur „Priorität“ und offenbar zu seiner neuen Kompetenz. Schließlich fühlt sich Almunia „unwohl“, wegen der EU-Abhängigkeit von Energieimporten.
Obwohl er von dem versprochenen Ausstieg aus der Atomkraft nichts hält, mit dem seine Sozialisten die Wahlen gewannen, verwundert seine Argumentation. Wäre Europa oder Spanien von Energieimporten über mehr Atomkraft etwa unabhängiger? Abgesehen von den Gefahren und der ungelösten Atommüllfrage wird auch Uran dann knapp werden, wenn Öl und Gas zur Neige gehen (Scheingefechte mit Argumenten von vorgestern).
Natürlich fehlt auch bei Almunia der Verweis auf das Klimaschutzabkommen von Kioto nicht. Auch hier findet er sich in guter konservativer Gesellschaft wieder. Schon 2002 hatte die damalige spanische ultrakonservative Vizepräsidentin der EU-Kommission versucht, die Ausstiegsdebatte ökologisch verbrämt umzudrehen: „Entweder wir wollen Kioto umsetzen und behalten die Kernenergie bei oder wir verzichten auf Kioto und auf die Kernenergie, so einfach ist das", hatte die Atomfreundin Loyola de Palacio verkündet).
Das sagte sie ausgerechnet auf einer Konferenz, die in einer Region stattfand, die schon damals 90 % seines Stroms über erneuerbare Energien deckte. Warum verketten ausgerechnet Spanier aller Couleur die Atomkraft ständig mit Kioto. Obwohl das Land 50 % seines Stroms aus AKWs bezieht, steht es an der Spitze der EU-Länder beim Verstoß gegen das Kioto-Abkommen (Spanien liegt an der Spitze beim Verstoß gegen Kyoto).
Die Umweltorganisation Greenpeace hatte vor dem letzten Klimagipfel in Montreal vorgerechnet, dass Spanien seine Energieversorgung mehrfach aus erneuerbaren Quellen beziehen könnte. Das wurde in der umfassendsten Energiestudie festgestellt, die je für das Land erstellt wurde. Das Sonnenland, das heute nur wenige Prozent des Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen deckt, könnte die für 2050 berechnete Energiemenge von 280 Terrawattstunden demnach gleich zehnfach abdecken. Strom stände sogar in 55facher Menge zur Verfügung.
Größte Energieverschwendung bei Wohngebäuden, Autos und Geschäften
Erneuerbare Energien sind die einzige Möglichkeit um Europa weitgehend unabhängig von Energieimporten zu machen und die Klimaschutzziele zu erfüllen. Spanien könnte mit seinem riesigen Potential dafür der Vorreiter sein. Doch genau das Gegenteil ist der Fall, es wird auf zweifelhafte Technologie http://www.heise.de/tp/r4/artikel/20/20882/1.html und wieder auf Atomkraft gesetzt, bevor im April der erste spanische Reaktor vom Netz geht. Den Zustand des Schrottreaktors Zorita hatte der Rat für Reaktorsicherheit (CSN) schon vor Jahren als „alt, obsolet und fehlerhaft“ bezeichnet und seine Abschaltung verlangt. Wegen mangelnder Sicherheitsvorkehrungen war es Greenpeace 2003 erstmals sogar gelungen, mit Zorita einen Atommeiler zu besetzen.
Auch das Umweltministerium stellt der eigenen Regierung schlechte Noten aus. Eine neue Wohnung in Spanien verbraucht 40 % mehr Energie als eine Vergleichswohnung im Nachbarland Frankreich, räumte der Generalsekretär für Kontaminationsprävention und Klimaschutz im Umweltministerium ein. Er macht dafür die fehlende Isolierung verantwortlich, die „vollständig aufgegeben wurde“, sagte Arturo Gonzalo Aizpiri. Dies sei auch deshalb „schlimm“, weil in dem Land derzeit so viele Wohnungen gebaut werden, wie in Frankreich, Deutschland und Italien zusammen, die dazu auch noch „ineffizient“ seien.
Die Regierung versagt in der gesamten Wohnungspolitik. Die Wohnungspreise steigen wegen der aufblähenden Immobilienblase enorm, obwohl so viele Wohnungen wie nie gebaut werden. Im vergangenen Jahr waren es fast 740.000 und 2006 sollen es sogar 800.000 sein. Wer eine Wohnung braucht, kann sie entweder nicht bezahlen oder muss sich bis lebenslang verschulden (Verschulden auf Lebenszeit in Spanien) und bekommt dafür schlechte Qualität. Wegen fehlender Bauauflagen wird die massive Vergeudung von Energie für Heizung im Winter und für Kühlung in den immer heißeren und trockeneren Sommern so auf lange Zeit vorprogrammiert.
Es ist klar, dass die Klimaschutzziele so weiter in die Ferne rücken. In Spanien seien vor allem die Privatwohnungen, die Autos und die Geschäfte für den steigenden Energiebedarf und den Ausstoß von Klimagas verantwortlich, auch wenn gemeinhin die Industrie dafür verantwortlich gemacht werde, stellte Aizpiri fest. Doch statt an den genannten Punkten anzusetzen, hat die Regierung schnell eine Energiesteuer eingeführt. Verbraucher werden speziell zur Kasse gebeten, wenn sie wegen der fehlenden Isolation zu viel Energie verbrauchen.
Angesichts fehlender Weitsicht und Mut ist es offenbar leichter, an der altbackenen gefährlichen Atomkraft festzuhalten. So bereitet auch Spanien den Einstieg in die neue europäische Reaktorlinie vor. In Finnland hat der Bau des ersten European Pressurized Reaktor (EPR) schon begonnen, hinter dem Siemens und die französische Frameatome stehen. Ein Vorzeigereaktor für die Renaissance der Atomkraft soll auch im französischen Flamanville entstehen, hat das französische Parlament entschieden.
Während Politiker wie Almunia schon die Werbetrommel rühren, damit aus dem Projekt auch ein europäischer Verkaufsschlager wird, mobilisieren die Atomkraftgegner zum 20. Jahrestag der Atomkatastrophe in Tschernobyl gegen das Projekt.