Bakterien als lebende Festplatten

Synthetische Biologen speichern analoge Informationen im Erbgut von Zellen

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Programmierbare Zellen führen logische Operationen aus, doch deren Ergebnisse können meist nur als digitale Ja/Nein-Informationen gespeichert werden. Forscher fanden nun einen Weg, der auch das Speichern analoger Informationen ermöglicht - Angaben über die Stärke oder Dauer eines Umweltreizes etwa. Gezielte Mutationen im Erbgut bewahren dabei die Informationen über längere Zeiträume auf. Damit lassen sich nun alle grundlegenden Fähigkeiten eines Computers in lebenden Zellen nachvollziehen.

Die Kernfunktion eines Computers beruht auf der Eingabe, Verarbeitung und Ausgabe von Daten. Diese Prozesse können Biologen schon seit längerem in lebenden Zellen nachbilden: Synthetische Schaltkreise beherrschen fast alle logischen Operationen, die für die Datenverarbeitung notwendig sind. Doch Computer benötigten auch einen leistungsfähigen Speicher, um ihr Potenzial voll zu entfalten. Für diese Funktion fanden synthetische Biologen jedoch noch keine befriedigende Lösung.

Illustration: Christine Daniloff/MIT

Dabei ist die DNA des Erbguts ein ideales Speichermedium: flexibel, langlebig und leicht zu vervielfältigen. Doch bislang konnten meist nur digitale Informationen aufbewahrt werden - ob eine Zelle einem Reiz ausgesetzt war oder nicht. Die Forscher Fahim Farzadfard und Timothy Lu vom US-amerikanischen Massachusetts Institute of Technology sind jetzt einen wichtigen Schritt vorangekommen (Farzadfard und Lu, Science 2014: Genomically encoded analog memory with precise in vivo DNA writing in living populations): Sie konnten auch analoge Informationen aufzeichnen - wie stark der Reiz war oder wie lange er andauerte.

Ihre Methode ist zudem vergleichsweise einfach. Sie baut auf natürlichen genetischen Elementen auf, die Retrons genannt werden: Zwei kurze DNA-Stränge und ein Enzym bilden eine funktionelle Einheit, die das Erbgut an definierten Stellen umschreiben kann. Die Forscher koppelten nun ein Retron an synthetische Schaltkreise, die auf Umweltreize reagieren: Erfolgte der Reiz, waren dauerhafte Mutationen im Genom die Folge. Diesem Verfahren gaben sie den Namen SCRIBE: Synthetic Cellular Recorders Integrating Biological Events.

Ein simpler Trick erlaubt es, die Stärke des Reizes zu protokollieren. SCRIBE verändert nicht jede Zelle: Nur ein kleiner Teil der Bakterien, die einem Reiz ausgesetzt sind, sammeln auch Mutationen in ihrem Erbgut an. Doch die Mutationsrate bleibt immer berechenbar - je stärker oder dauerhafter der Reiz ist, umso mehr Zellen werden verändert. Der Anteil der mutierten Zellen lässt also Rückschlüsse auf die Kerngrößen des Reizes zu.

Erste Versuche mit chemischen Substanzen verliefen erfolgreich: Die Konzentration der Chemikalien ließen sich verlässlich aus dem Anteil der mutierten Zellen abschätzen. Auch die Dauer eines Reizes war messbar. Ein SCRIBE-Modul, das durch Beleuchtung aktiviert wurde, konnte zuverlässig aufzeichnen, wie lange Bakterien einer Lichtquelle ausgesetzt waren. Und dies sogar, wenn das Licht zwischendurch für längere Zeiten aus- und wieder angeschaltet wurde.

Die Speicherfunktion erwies sich auch als langlebig: Mindestens 12 Tage - das entspricht etwa 120 Bakterien-Generationen - blieben die Ergebnisse im Genom gespeichert. Die Forscher konnten sogar verschiedene SCRIBE-Module in die gleichen Zellen einbauen und so zwei chemische Reize gleichzeitig bestimmen. Zwei Module sind dabei nicht der Endpunkt: Grundsätzlich kann einer fast beliebig großen Zahl von unabhängigen Schaltkreisen eine eigene Speicherfunktion zugeordnet werden.

Zudem gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, den Speicher auszulesen. Die einfachste Variante besteht darin, ein SCRIBE-Modul mit einer Farbreaktion zu koppeln. Deutlich aufwändiger ist die Option, das gesamte Erbgut der Bakterien zu sequenzieren. Doch der Informationsgehalt ist dann auch deutlich höher: Viele unterschiedliche SCRIBE-Module könnten so gleichzeitig analysiert werden.

An denkbaren praktischen Anwendungen herrscht kein Mangel. SCRIBE ermöglicht die Entwicklung von Umweltsensoren, die Veränderungen einfach und kostengünstig aufzeichnen. Das schließt auch den Menschen ein: Modifizierte Bakterien könnten den Darm besiedeln und die Aufnahme von Nährstoffen dokumentieren. Auch der Verlauf einer Darm-Infektion ließe sich überwachen. Der Medizin böten sich damit neue diagnostische Hilfsmittel, die mit elektronischen Sensoren nicht realisierbar sind.

Das SCRIBE-Verfahren ist ein einfacher, effizienter und ausbaufähiger Datenspeicher für lebende Systeme. Zellen könnten damit immer mehr Aufgaben übernehmen, die heute noch elektronischen Apparaturen vorbehalten sind. Der Optimismus der Forscher Farzadfard und Lu scheint grenzenlos: Sie glauben, dass ihre Entwicklung fast allen Bereichen der synthetischen Biologie einen Schub versetzten wird.