Barschels Mörder?

Seite 3: "Die in Bonn werden mich kennen lernen"

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Doch eigene Erfahrung mit verdecktem Töten ist keine Voraussetzung zum Meuchelmord. Über theoretisches Know-How in Sachen Gift verfügt jeder Geheimdienst. Auch etwa deutsche Schattenmänner, Machtpolitiker oder Waffenhändler, die am Schweigen des alkohol- und tablettensüchtigen Cholerikers interessiert waren, hätten einen verdeckten Mord organisieren oder Profikiller beauftragen können. Es wäre theoretisch sogar vorstellbar, dass alle am Schweigen interessierten Parteien angesichts drohender Enthüllungen über eine "Lösung" des Problems Konsens erzielten, sodass die konkrete Ausführung oder deren Duldung Nebensache gewesen wäre. Einigkeit bestand wohl, dass man Barschel in Bonn oder anderswo nicht "kennenlernen" wollte. Seinerzeit bot die insbesondere am Export verdienende Rüstungsindustrie in Deutschland rund 300.000 Arbeitsplätze, Barschel jedoch nur mehr Ärger.

Die Tatsache, dass die deutschen Behörden trotz der eigenartigen Umstände sofort zur bequemen Selbstmord-These griffen, erlaubt gewissen Aufschluss über die Interessenlagen. Etwa die des selbst tief in die Abdeckung von Waffenhandel verstrickten BND und dessen politische Schirmherren bis hin zu Deutschlands eifrigsten Waffenlobbyisten Franz Joseph Strauß, die allesamt auf Aufmerksamkeit und eigene Untersuchungen wohl gut verzichten konnten. Die Behauptung des Auslandsgeheimdienstes BND, dieser habe zum denkbar spektakulären wie rätselhaften Ableben des schillernden Staatsmanns im Ausland nicht einmal eine Akte angelegt, muss Misstrauen wecken.

Hotel Beau Rivage. Bild: UggBoy♥UggGirl. Lizenz: CC-BY-2.0

Demgegenüber raunte der damals geheimdienstnahe Publizist Udo Ulfkotte, der 1998 dem durch Enthüllungsbücher geschwächten BND Geigers zu Glanz verhelfen sollte, etwas von einem BND-Mann, der am Tattag im Hotel Beau Rivage anwesend gewesen sei. Der BND dementierte übrigens auch, Erkenntnisse über den Waffenhändler Adnan Kashoggi zu besitzen, obwohl dieser sogar die Klatschspalten füllt. Wozu braucht man eigentlich einen Geheimdienst, der keine Erkenntnisse sammelt? Ermittlungen über Geschäfte deutscher Politiker mit Waffenhändlern gehören offensichtlich nicht zum Aufgabenbereich des Auslandsgeheimdienstes - etwa solche, die in den 90er Jahren auf höchster Regierungsebene aufflogen. Noch heute ist Deutschland der drittgrößte Waffenexporteur der Welt.

Adnan Kashoggi. Bild: Roland Godefroy. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

"Ein Mord, der keiner sein durfte"

Barschel erfuhr 2010 wenigstens im Boulevard wieder Aufmerksamkeit, was den Effekt hatte, dass sich der Toxikologe Prof. Brandenberger auch in deutschen Medien Gehör für seine Analyse verschaffen konnte.

Die Berufung gegen die 2008 vom Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein erlaubte Freigabe des Wille-Buches zog sich derart in die Länge, dass Wille zwischenzeitlich in Pension ging. Da der Ruheständler keiner Nebentätigkeitsgenehmigung bedurfte, konnte er 2011 endlich sein Buch "Ein Mord, der keiner sein durfte - Der Fall Uwe Barschel und die Grenzen des Rechtsstaates" in einem Schweizer Verlag veröffentlichen. Bislang hat niemand versucht, gegen das Buch juristisch vorzugehen.

Wille präferiert keines der verschiedenen Szenarien. Er verweist auf solide kriminalistische Arbeit, die für sich selbst spreche und praktisch nur den Schluss auf einen professionell ausgeführten Mord zulasse. Wer jedoch diesen Mord beauftragt, ausgeführt oder vertuscht habe, inwiefern hinter den vielfältigen Behinderungen seiner Ermittlungen politischer Druck gestanden haben mag, all dies sei Spekulation. Auch in den mit TELEPOLIS geführten Gesprächen war dem seinerzeit als "verrannten Verschwörungstheoretiker" verbrämten Oberstaatsanwalt a.D. keine Tendenz für eine der Versionen zu entlocken. Der Fall werde vermutlich nur dann aufgeklärt werden, wenn ein Tatbeteiligter auf dem Sterbebett sein Gewissen erleichtern wolle.

Eine zum 25. Jahrestag geplante größere Dokumentation des ZDF wurde nunmehr abgesagt. Aufmerksamkeit widmen die deutschen Medien dem Fall Barschel vornehmlich auf dem Boulevard.

Der Autor bedankt sich bei Heinrich Wille und Frank Garbely für freundliche Unterstützung bei der Recherche.

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