Bastian Pastewka - empfindungslos in Köln-Marienburg
Meine Passion für Pastewka finden meine Freunde und Familienmitglieder noch schlimmer als Zigarrenrauchen
Dass der kleine, oft der kleinste Vorteil, etwa durch Überholen drei Sekunden Vorsprung zu gewinnen, bevor die nächste Ampel kommt, ein hohes gesellschaftliches Gut darstellt, kann man an jeder Ecke beobachten. Er ist materiell kaum messbar, hat aber eine kultische Bedeutung offenbar auch dort, wo er um seiner selbst willen gesucht wird, nämlich in bürgerlichen Kölner Verhältnissen. Dort in Marienburg nämlich spielt mit Bastian Pastewka der einzige deutsche Serienheld in bisher 55 Folgen die wohl schwierigste Rolle nicht nur in seinem Stammsender SAT1: sich selbst.
Unglaubwürdig? Na und!
Während der Abteilungsleiter Stromberg von Christoph Maria Herbst derart glaubwürdig gespielt wird, dass er bei einem Gastauftritt bei Pastewka am Set gegen die Anrede als Stromberg protestieren muss, steht Pastewka eher selten unter dem Verdacht der Authentizität. Selbst und gerade die Nebenrollen bei Stromberg, etwa Ulf, Ernie, Herr Becker und Tanja, überzeugen durch sorgfältig arrangierte, fast dokumentarische Glaubwürdigkeit. Jeder meint, sie im Nachbarbüro bereits gesehen zu haben. Demgegenüber vereint alle Nebenrollen von Pastewka, insbesondere seine angebliche Lebensgefährtin Anne, seinen von Dieter Hollinderbäumer gespielten rotzfrechen Vater, seinen Bruder und dessen Familie eine auch in 55 Folgen hartnäckig verbleibende Konstruiertheit. Man kann sich zum Beispiel einfach nicht vorstellen, dass Bastian und Anne sich küssen. Aber nur, weil man sich das nicht vorstellen kann, muss es ja noch nicht unrealistisch sein.
Was, wenn eben dieses Kölner Milieu per se unglaubwürdig ist, also die von uns empfundene Unglaubwürdigkeit ganz der Wirklichkeit von Köln-Marienburg und des Hauptdrehbuchautors, nämlich Pastewka selbst, entspricht? Dann ist jede Pastewka-Folge eine ethnologische Studie. Es geht dann nicht wie bei Stromberg um die nicht nur für Lohnsklaven seelisch wohltuende Hämemassage, sondern um Weiterbildung, denn wer von uns kennt sich schon dort, in Köln-Marienburg aus?
Pastewka ist nämlich eine Art Colonia-Bastian und wir können gerne wetten, dass Willy Millowitsch, Ilja Richter und Dieter Hallervorden auch bei Pastewka mitgespielt hätten, was ein sehr großes Kompliment für den studierten Germanisten und Soziologen (Ruhr-Universität des Redner- und Rhetorik-Mekkas Bochum) Pastewka ist. Und sie hätten die Unglaubwürdigkeit nicht als Manko, sondern als Stärke gesehen. Et kütt wiet kütt.
Gesetzeswidrige Vorteilsnahme als Zentrum der Alltagsökonomie
Im Zentrum von Bastians Alltagshändeln steht ein Vorgang, den man als gesetzeswidrige Vorteilsnahme oder als Vorteil aus asymmetrischer Information deuten kann. So manipuliert Bastian auf Rat seines Bruders mit einem Magneten den Stromzähler, sein Intimfeind Kessler gibt sich als geblitzter Verkehrsübeltäter aus, um Bastian den Führerscheinentzug zu ersparen. Ein Händler bescheißt Bastian mit der angeblichen Exklusivität eines Merchandising-Artikels. Die Pastewka-Brothers verschweigen nach einer Wohnungsbesichtigung einen von ihnen verursachten Wasserschaden. Um einen Kicker günstig bei Ebay zu erstehen, gerät Bastian in die Festung eines alten SS-Mannes. Ausgerechnet Roger Willemsen versucht er, gefälschte Kölner Anwohnerparkausweise anzudrehen, die der scheinbare, grüne Radfahrer beschlagnahmt - um sie dann selbst mit seinem Range-Rover zu nützen.
Der Gutschein des Produzenten von Billigshows für ein Wochenende im 5-Sterne-Hotel (oder was Bastians Produzenten dafür halten, denn es ist eher ein Tagungshotel mit maximal ****) verführt nicht nur Pastewka, sondern auch gleich Kalkofe, Maddin und Hugo Egon Balder. Die Balder-Folgen fallen aus Pastewkas Standard heraus, denn im Gegensatz zu anderen TV-Gast-Prominenten wie Dr. Dieter Wedel, Michael Kessler, Oliver Kalkofe, Til Schweiger, Frank Elstner und Anke Engelke brilliert Balder als TV Bad Guy, von dem man sich eigentlich eine um das Privatfernsehen kreisende, schein-autobiographische Sitcom wünschen würde. Aber er wäre zu echt, zu strombergisch, zu authentisch, wenn er in Gegenwart von Bastian seine Boxenluder in einer der besten der 55 Pastewka-Folgen rannimmt .
Zehn Jahre Wartezeit für die erste Kritik
Kritiken zu Pastewka? Fehlanzeige. Meist Zwölfzeiler, die sich als eine Mischung von Inhaltsangabe und Pressemitteilungen erweisen. Es hat fast zehn Jahre gedauert, bis Pastewka über seine letzte Rolle in der Süddeutschen Zeitung folgende Sätze von Hans Hoff lesen konnte: "Schon beim ersten Mal ist der Film unglaublich, und auch beim zweiten Mal verliert er nichts von seiner Wirkung. Danach steht das persönliche Urteil fest: Das ist der beste Film des Jahres." Gemeint war Pastewkas Auftritt in dem Film "Mutter muß weg". 591 Facebook-Empfehlungen der SZ-Hymne künden von der Sehnsucht des bürgerlichen Publikums, mehr aus der Welt von SAT 1 und Pro7, von Brainpool und Köln-Marienburg zu erfahren.
Von den Pastewka-Folgen hat bisher kaum eine den Weg in die Feuilletons gefunden. Nur einmal, zum Start von Pastewka 2005 ordnete Stefan Niggemeier in der FAZ Pastewka vorschnell dem Genre "Comedy" zu, um dann festzustellen, dass in der Serie eine "Sinn-, Sprach- und Pointenlosigkeit," herrsche, die solche Situationen im wahren Leben kennzeichne.
Wurde Pastewka einfach nur im falschen Genre aufgerufen? Bei seinen zahlreichen Auftritten in anderen Shows, etwa bei Harald Schmidt, versucht Bastian Pastewka immer, als schnellsprechender Komiker zu erscheinen, der er je nach Sichtweise, leider oder zum Glück in Pastewka nicht ist. Christoph Maria Herbst dagegen, dessen Rolle die derzeit wohl erfolgreichste Comedy-Rolle Deutschlands ist, gibt sich stets als Verfechter des ernsten Fachs. Der Clown, das wusste nicht nur Herbst, sondern das wussten auch Chaplin und Rivel, darf nicht lachen. Peer Schrader, der seinen Fernsehblog bei der FAZ gerade eingestellt hat, veröffentlichte am 27. September 2012 eine müde Laudatio auf die 50. Folge von Pastewka. Die zehn Kommentare sind Ausdruck fehlender Resonanz, positiver wie negativer.
Pastewka lässt Kritiker und Publikum unberührt. Schrader schreibt sie dem ständig nach hinten rückenden Sendeplatz bei Sat 1 zu. Aber alle Folgen sind auch online im Webportal des Produzenten Brainpool zu sehen , wo sie im Schnitt sehr beachtliche 270.000 Klicks erhalten.
Pastewka heimlich im Internet sehen
So, wie Pastewkas Pastewka Schwierigkeiten hat, für seine cineastischen Archäologien zu nächtlicher Stunde verständnisvolle Sympathisanten zu finden, kann auch der Pastewka-Fan schwer am Freitagabend um 23 Uhr Freunde oder Familie vor den Fernseher locken. Er selbst ist ohnehin durch seine eigenen bürgerlichen Verhältnisse, an die ihn Pastewka schmerzlich erinnert, zu müde.
Pastewka im Web dagegen kann auch einmal in einem unbeobachteten Moment gefrönt werden. Wird man heimlich beim Pastewka-Sehen ertappt, sind hochgezogene Augenbrauen noch die zivilste Reaktion. Mein siebenjähriger Sohn hat mir schon eine Rote Karte gemalt und neben den Laptop gelegt. Zumindest meine Freunde und Familienmitglieder konnten bereits nicht verstehen, warum ich Police Academy 3 so toll fand. Meine Passion für Pastewka finden sie schlimmer als Zigarrenrauchen. Es wird wohl vielen, überwiegend männlichen Pastewka-Fans so gehen: Die völlige Belanglosigkeit von Pastewkas Familienleben, die fehlende Dramatik seiner Beziehung mit Anne, die vorhersehbaren Gastauftritte der Stars in ihren jeweiligen Rollen - wer nicht aus einer tieferen seelischen Disposition heraus gerade das Abwesende als entspannendes Moment empfindet, wird bereits bei ein bis drei Minuten Pastewka ahnen, was uns Pastewkisten an den Bildschirm fesselt, nämlich absolut nichts. Denn dieses ist unser Lebensgefühl auch an der Alster, am Schlachtensee und im Fünfseenland.
Die nächste Folge der sechsten Staffel von "Pastewka" wird am 16.11.2012 um 23 Uhr auf SAT 1 ausgestrahlt