Beben erschüttert die Weltwirtschaft

Japan wird sein gewaltiges Auslandsvermögen für den Wiederaufbau mobilisieren müssen

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Der Wiederaufbau wird voraussichtlich derart teuer, dass Japans Privatsektor große Teile seiner internationalen Finanzanlagen verkaufen wird und sich das Land vielleicht sogar von seinen Exportüberschüssen verabschieden muss. Der Staat wird hingegen kaum auf konfiskatorische Sondersteuern verzichten können und den Aufbau dennoch stark mit der Notenpresse finanzieren.

Um 1985 galt ein schweres Erdbeben in Tokio gemeinhin als der schwerstmögliche Schock, dem die Finanzmärkte ausgesetzt werden könnten. Denn Japan hatte seit den 1970er Jahren kontinuierlich Leistungsbilanzüberschüsse verzeichnet und Ende 1986 ein Netto-Auslandsvermögen von 29 Billionen Yen an angehäuft. Bei einem Wechselkurs von um die 130 Yen je US-Dollar, auf die sich der Wechselkurs nach dem Plaza-Abkommen von 1984 halbiert hatte, waren das für damalige Zeiten unglaubliche 223 Milliarden Dollar, mit denen Japan in seinen Boomzeiten wie es schien die ganze Welt aufgekauft hatte.

Würde Japan also schwer durch ein Beben in Mitleidenschaft gezogen, so hieß es damals, benötige es sein Auslandsvermögen im Inland und müsse liquidieren, was quer durch alle Finanzmarktanlagen schwerste Einbrüche verursachen sollte. Inzwischen, ein Vierteljahrhundert später, ist das japanische Auslandsvermögen zwar aus dem Blick der Märkte verschwunden, seither aber unvermindert rasch angewachsen.

Das wurde kaum beachtet, weil die japanischen Unternehmen, die in den Boomzeiten übermäßig im Ausland investiert hatten, ihre Direktinvestitionen daraufhin deutlich reduzierten. Auch die Handelsbilanzüberschüsse waren zurückgegangen, so dass plötzlich China alle Aufmerksamkeit erhielt und die Leistungsbilanzüberschüsse Japans weitgehend ignoriert wurden. Und diese bestehen seit Jahren zu mehr als der Hälfte nicht mehr aus dem Handelsbilanzüberschuss, sondern mehrheitlich aus den Erträgen aus dem bestehenden Auslandsvermögen, das daher bis heute mit unvermindertem Tempo zugenommen hat.

Nun dürfte tatsächlich eine Katastrophe epischen Ausmaßes eingetreten sein und es verwundert, warum sich die Finanzmärkte wenigstens anfangs dennoch äußerst gelassen zeigten: Während die europäischen Aktienmärkte am Freitag nur geringfügig nachgaben, blieb die Wall Street völlig unbeeindruckt und schloss sogar im Plus. An den Rohstoffmärkten vermuteten die Händler vorerst nur, dass Japans Rohstoff- und Erdölkonsum angesichts der aktuellen Paralyse jetzt einmal sinken werde, weshalb die Preise für Öl und Industriemetalle deutlich zurückgingen. Unmittelbar nach dem Beben stürzte auch der Yen ab, hatte sich wenige Stunden später aber wieder erholt, wobei sich die weitgehende Ruhe an den Finanzmärkten wohl nur damit erklären lässt, dass das gewaltige Ausmaß der Katastrophe vor dem Wochenende noch nicht klar ersichtlich war und auch die nukleare Gefahr anfangs verharmlost wurde.

Gewaltiger Ressourcenbedarf für den Wiederaufbau

Offenbar bedürfen weite Teile der japanischen Infrastruktur nun aber zumindest einer Generalsanierung, und wie das voll auf Atomkraft gestützte Energiesystem mittelfristig gestaltet sein wird, ist wohl überhaupt nicht mehr absehbar. Obwohl die Bevölkerung - zumindest so weit man das den Medien hier nehmen kann - eine schier unglaubliche Ruhe an den Tag legt, dürfte dennoch auch am Dienstag kaum ein Betrieb die normale Tagesproduktion aufnehmen können. Die Autounternehmen Toyota, Nissan, Mitsubishi, Hino, Suzuki und Honda stellten zum Wochenbeginn ihre Produktion ebenso ein, wie Panasonic und Sony, womit recht sicher ist, dass die Wirtschaftswachstumsrate im laufenden Quartal negativ ausfallen wird. Anscheinend wird die kritische Nahversorgung zudem bereits nicht nur in den unmittelbaren Notstandsgebieten behördlich organisiert, bzw. wird dies wenigstens versucht, wobei sich die Ressourcenzuteilung nicht nur im Elektrizitätsbereich oft recht schwierig gestalten soll. Immerhin hat die Notenbank zugesagt, alles zu tun, was nötig ist um die Stabilität der Finanzmärkte zu bewahren, was vermutlich bedeutet, dass ab Montag Geld gegen ausreichende Sicherheiten unlimitiert zugeteilt werden wird.

Wenn nun erste Schätzungen der Schadenshöhe von 50 Mrd. Dollar kursieren, sieht das angesichts der Bilder noch immer sehr niedrig aus und umfasst keinesfalls auch die volkswirtschaftlichen Kosten. So wurde durch den Tsunami ein Küstenstreifen von mindestens 250 Kilometern Länge bis zu 20 Kilometer ins Landesinnere verwüstet, wenn auch in einem nicht so dicht besiedelten und industrialisierten Gebiet. Dazu kommen die Schäden durch das Beben und die unabsehbaren Folgen eines möglichen größeren Atomarunfalls.

Sicher ist wohl nur, dass der Ressourcenbedarf des Wiederaufbaus gewaltig sein muss, auch wenn einige der zerstörten Dörfer vielleicht nie wieder besiedelt werden. Klar ist aber auch, dass noch langwierigen Aufräumarbeiten erforderlich sind, bis der Wiederaufbau erfolgen kann und dies letztendlich zu kräftigem Wachstum führt und die globale Nachfrage und die Rohstoffpreise steigern lässt.

Vermutlich wird der Aufbau derart viele Ressourcen binden, dass es verwunderlich wäre, wenn Unternehmen und Regierung diese weiterhin in so hohem Ausmaß für Produktionen frei machen können, die für den Export bestimmt sind. Viel mehr dürfte Japan sich demnächst von den langjährigen Exportüberschüssen verabschieden müssen, was nicht zuletzt den deutschen und den US-amerikanischen Maschinen- und Anlagenbauern gute Geschäfte bringen sollte.

Insgesamt verfügt das Land sicherlich über die Mittel, den Wiederaufbau zu finanzieren. So beziffert die Bank of Japan (BoJ) allein den Bestand an japanischen Portfolioinvestitionen im Ausland per Ende 2010 mit 268,9 Billionen Yen (2,38 Billionen Euro), was immerhin das Deutsche BIP übertrifft. Davon wird knapp ein Fünftel in Aktien, der Rest überwiegend in Anleihen gehalten, wovon übrigens nur 89,3 Billionen Yen auf Devisenreserven der Notenbank entfielen. Insgesamt beliefen sich die Bruttoforderungen Japans auf 737 Billionen Yen, während das Ausland gegenüber Japan Forderungen von 457 Bill. Yen aufgebaut hatte. Die Notenbankreserven dürften aber jedenfalls ausreichen, um vorerst jeden zusätzlichen Importbedarf zu finanzieren, selbst wenn die Exportwirtschaft nun monatelang stillstehen sollte.

Für den weiteren Bedarf wird freilich das restliche Auslandsvermögen herhalten müssen, das freilich nicht vom Staat, sondern von Unternehmen und privaten Haushalten gehalten wird. Insofern ist fraglich, wie sehr es für den Wiederaufbau mobilisiert werden kann, wobei die mächtigen Industriekonglomerate wohl die geringsten Probleme mit der Finanzierung der Schadensbehebung haben dürften, dafür aber wohl ihre Auslandsinvestitionen reduzieren müssten.

Bekanntlich ist der japanische Staat aber mit rund 225 Prozent seines BIP verschuldet, wobei die Staatsschulden zuletzt nicht mehr wie üblich fast ausschließlich bei einheimischen Sparern platziert werden konnten, sondern vermehrt ins Ausland gingen. Zudem verfügt Japan über die weltweit am stärksten überalterte Bevölkerung, die ohnehin bald dazu übergehen sollte, die hohen Ersparnisse altersbedingt abzubauen. Dass dürfte nun zwar einigermaßen beschleunigt geschehen. Da sich aber die Schadensfälle und der Vermögensbesitz sehr ungleich verteilen, wird die Regierung kaum darum herum kommen, über konfiskatorische Sondersteuern auf diese Ersparnisse zurückzugreifen. Denn kaum denkbar ist, dass die Finanzmärkte – egal ob Innland oder Ausland – den nun anfallenden öffentlichen Aufwand weiter zu derart günstigen Konditionen finanzieren werden wie bisher.

Da viele der Aufwendungen aber unbedingt erfolgen müssen, wird sich zeigen, wie sehr Japan nun die Notenpresse einsetzen wird, um den Aufbau zu finanzieren. Sollte sich durch die Rückführung von Auslandsvermögen jetzt allerdings starker Aufwertungsdruck auf den Yen aufbauen, könnte dem gut durch die Monetarisierung der Staatsschulden, also den direkten Kauf von Staatsschulden mit Zentralbankgeld, entgegengewirkt werden. Vielleicht kann dadurch auch die seit Jahren drückende Deflation überwunden werden.