Bei der Kooperation der Mittelmeerländer geht es um Sicherheit und Kontrolle der Einwanderung
Polizei- und Justizraum zwischen Spanien, Frankreich und Marokko
Die Mittelmeeranrainerstaaten Frankreich und Spanien wollen einen gemeinsamen Polizei- und Justizraum mit Marokko aufbauen. Diese Initiative, die im wesentlichen als Anti-Terrormaßnahme verkauft wird, richtet sich aber vor allem gegen die illegale Einwanderung und wurde ohne Abstriche auf dem Treffen der Innen- und Justizminister in Newcastle abgenickt. Der Vorschlag soll zum zehnten Jahrestag des sogenannten Barcelona-Prozesses konkretisiert und auf der Europa-Mittelmeerkonferenz (Euromed) verabschiedet werden. Keine Einigung gab es in über die Frage der Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten.
Im November kommen Vertreter der 25 EU-Mitgliedsländer mit Vertretern von Mittelmeerländern zu einem Gipfeltreffen in der spanischen Stadt Barcelona zusammen. Der Anlass ist der zehnte Jahrestag des Barcelona-Prozesses. In der Barcelona-Erklärung vom 28. November 1995 wurde einst der Wille bekräftigt, rund um das Mittelmeer einen gemeinsamen Raum des Dialogs, des Friedens, der Sicherheit und des Wohlstands zu schaffen. Der außergewöhnliche Gipfel könnte eine Chance bieten, um kritisch Bilanz zu ziehen, denn von diesen Vorgaben ist man heute eher weiter entfernt als damals.
„Menschenrechte und Demokratie, Wirtschaftswachstum und Reform, sowie Bildung stehen an vorderster Stelle“, werden die Ziele des Prozesses weiter offiziell verkauft. Doch schaut man sich die konkreten Planungen an, dann steht eher eine Art Sicherheitskonferenz an. So haben die Innen- und Justizminister auf ihrem Treffen in der vergangenen Woche im englischen Newcastle eine enge Kooperation der Polizei und der Justiz in Spanien, Frankreich und Marokko abgenickt. Dazu gehört ein weitgehender Austausch von Daten und der Informationsbeschaffung und die Kooperation soll als Modell dienen.
Bemüht wird erneut die Standardformel „Bekämpfung des Terrorismus und der organisierten Kriminalität“, um unbequeme Maßnahmen durchzusetzen und zweifelhafte Bündnisse zu schließen. So kündigte der spanische Innenminister José Antonio Alonso seinen europäischen Kollegen „neue Vorschläge für den Gipfel in Barcelona an, mit denen die Stabilität der Beziehungen und der Sicherheit” im Mittelmeerraum verstärkt werden sollen, „der von besonderer strategischer Bedeutung für Europa ist“.
Beim genaueren Hinsehen handelt es sich eher um alte, als um neue Rezepte. So will der Spanier mit Frankreich und Marokko eine „integrierte und gemeinsame” Steuerung der Einwanderung erreichen. Die Verstärkung der Grenzen, wie sie Spanien in der Exklave Melilla gerade durchführt, ist ebenfalls nicht neu. In die von Marokko umschlossenen spanische Stadt dringen immer wieder Einwanderer ein und kommen bisweilen unter merkwürdigen Umständen ums Leben. Etwas ausgelatscht ist auch die geplante weitere Ausweitung des elektronischen Überwachungssystems SIVE (Europa rüstet auf gegen Einwanderer).
Aufgebaut werden soll zudem ein Netz von „Verbindungsbeamten, die aus einer globalen Perspektive das Thema Immigration“ angehen, erklärte Alonso. Es soll sich dabei um Experten der Euromed-Mitgliedstaaten handeln. Neben den bisherigen 35 Mitgliedern soll auch Libyen angeschlossen werden. Schließlich ist das Land besonders für mögliche EU-Lager außerhalb des EU-Territoriums vorgesehen. Planungen für eine „konkrete Kooperation”, die Ausbildung von Polizei und Grenzschutz Libyens eingeschlossen, und ihre Einbindung in EU-Projekte, laufen schon genauso auf Hochtouren. Gemeinsame EU-Abschiebeflüge, wie sie der spanische Innenminister vorgeschlagen hatte, werden auch schon durchgeführt (Libyen wird Vorposten der EU).
Bundesinnenminister Otto Schily bekäftigte in Newcastle seinen Vorstoß, in nordafrikanischen Staaten „Aufnahmeeinrichtungen” und „Anlaufstellen” der EU zu schaffen. Im Orwellschen Neusprech vermied Schily das Wort Lager. Er redet auch nicht davon, dass Einwanderer abgewehrt werden sollen. Vielmehr solle der „Anreiz für eine illegale Migration unter lebensgefährlichen Umständen verringert” werden. Nur noch in „Einzelfällen”, sagte Schily, sollten Flüchtlinge in Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat der EU aufgenommen werden. Eine Aufnahme „in der Nähe ihres Heimatlandes” sei in den meisten Fällen die bessere Lösung. Ein Anfang des Monats von der EU-Kommission veröffentlichter Vorschlag über regionale Schutzprogramme für Flüchtlinge sei in vielen Punkten „völlig identisch” mit seinen Vorstellungen, fügte Schily an.
Er sieht neben Libyen auch Tunesien und Marokko als Stützpunkte für die „Anlaufstellen“ vor. So verwundert auch das Modell Spanien, Frankreich und Marokko nicht. Dass das nordafrikanische Königreich nicht wegen seiner demokratischen Freiheiten glänzt und stattdessen Pressezensur, Folter an der Tagesordnung sind, stört dabei nicht. Spanien, dass sich gerne auch als Schutzmacht über die von Marokko besetzte Westsahara aufspielt, ist auch egal, wenn seit Monaten Parlamentariern aus der gesamten EU der Zugang zu dem Gebiet versagt wird, in dem ein repressiver Ausnahmezustand herrscht (Kampf um die Westsahara).
Statt der Bekämpfung der Armut, wie der Barcelona-Prozess einst vorgegeben hatte, steht mehr ein Kampf gegen die Armen auf der Tagesordnung, wenn sie versuchen, in die Burgen des Reichtums einzudringen. Statt verklärender Worte wie Entwicklung und Demokratie machte der britische Innenminister deutlich, dass die Einwanderung und die Kriminalität ganz oben auf der Agenda für den Barcelona-Prozess stehen.
Charles Clarke drängte, gemeinsam mit dem Vizepräsidenten der EU-Kommission Franco Frattini, auch darauf, dem Europaparlament noch im Dezember einen Vorschlag über die vorsorgliche Speicherung von Telefon- und Internetverbindungsdaten vorzulegen. Das Parlament hatte sich schon einmal gegen diese Speicherung ausgesprochen (Aufklärung durch Überwachungskameras und Verbindungsdaten). Die Maßnahme verspricht in der Regel, wie biometrische Ausweise oder Überwachungskameras, kaum mehr Schutz vor Anschlägen wie in New York, Madrid oder London, sie wird aber ebenfalls mit ihnen gerechtfertigt. Es handelt sich um Schritte in die Richtung eines Überwachungsstaats, in dem alles, was technisch möglich ist, auch eingesetzt wird. Auch hier nähert man sich einem autokratischen Staat wie Marokko an.
Angesichts der massiven Kritik, die vor allem von den Telekommunikationsanbietern kommt, konnte in dieser Frage in Newcastle noch keine Einigung erzielt werden. Besonders wegen der hohen Kosten, die auf mehrere Milliarden Euro beziffert werden, laufen die Provider Sturm gegen die Speicherung der Kundendaten über einen langen Zeitraum. Deshalb besteht Uneinigkeit über den Umfang und die Dauer der Speicherung von Verbindungsdaten.