Berliner Polizei packt erneut das Online-Jagdfieber
Die Fahnder haben 53 Fotos verdächtiger Krawallos vom 1. Mai ins Netz gestellt - gegen ein klares Votum des Abgeordnetenhauses
Fast ein halbes Jahr ist es her, dass sich in Kreuzberg und im Prenzlauer Berg Randalierer und Polizei am Maifeiertag ihre obligatorischen Scharmützel lieferten. Mit reichlich Verspätung starten die Strafverfolger nun am heutigen 1. Oktober eine bundesweite Fahndungsaktion, die auch das Internet - wie schon im vergangenen Jahr - mit einbezieht. Datenschützer kritisieren den Aktionismus, der vom Berliner Parlament schon im September 2001 gerügt wurde.
Allen Deeskalations-Strategien des Senats zum Trotz waren vor fünf Monaten in der Walpurgisnacht am Mauerpark an der Grenze zwischen Prenzlauer Berg und Mitte sowie am Rande der Maidemonstrationen in Kreuzberg Feuer entflammt, Steine geworfen, Geschäfte geplündert und Polizisten angegriffen worden. Am Ende des Maitages hatten die Ordnungshüter dabei auch ordentlich zurückgeschlagen, was in diesem Jahr sogar mit einem gerichtlichen Nachspiel für einen Polizisten endete. Doch noch glaubt die Staatsmacht zahlreiche vermutliche Täter auf freiem Fuß. 53 von ihnen will sie jetzt mit einer groß angelegten Fahndung auf die Schliche kommen: Ihre Konterfeis sind auf drei nicht zu übersehenden Plakaten zu bewundern.
Die Steckbriefe werden wie bei der Schwerstverbrecher- und Terroristensuche in Polizeiämtern und Behörden aufgehängt. Sie sind aber auch auf der Webseite des Landes Berlin in Augenschein zu nehmen, wo sich die Strafverfolger schon im vergangenen Jahr mit einer bescheidenen Anzahl Steinewerfer in der Netzjagd übte (Berliner Polizei fahndet nach Kreuzberger Steinewerfern im Netz). Für Hinweise, die zur Identifizierung der Täter führen, ist jeweils eine Belohnung von 500 Euro ausgesetzt. Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch will mit dieser Generierung von Öffentlichkeit auch "präventiv wirken". Potenziellen Straftätern wolle man verdeutlichen, dass sie einem "hohen Entdeckungsrisiko unterliegen".
Die Abgelichteten, die zum Teil sehr gut erkennbar sind und jugendlich wirken, sollen angeblich laut richterlicher Feststellung an den Ausschreitungen und Plünderungen beteiligt gewesen seien. Für die Fahndung hat die Polizei diverse DV-Bänder, VHS-Kassetten mit Fernsehbeiträgen sowie CD-ROMs mit digitalisierten Fotos herangezogen. Die nach eigenen Angaben "im Detail stark verbesserte und somit zeitaufwändige Videoauswertung und Sichtung durch die Staatsanwaltschaft Berlin" habe zu den Gerichtsbeschlüssen für die Veröffentlichung der Bilder geführt. Doch dass die Fotos deswegen gleich ins weltweit zugängliche Internet gestellt werden, ist eine äußerst umstrittene Praxis.
"Beeinträchtigungen des informationellen Selbstbestimmungsrecht in besonderer Weise", befürchtet dadurch etwa Peter Schaar, stellvertretender Datenschutzbeauftragter Hamburgs. Auch das Abgeordnetenhaus der Hauptstadt hatte erst vor einem Jahr auf Betreiben des Berliner Datenschutzbeauftragten Hansjürgen Garstka festgestellt, dass die Netzpraktiken der Berliner Polizei "eine noch stärkere Eingriffsintensität als herkömmliche Fahndungsmaßnahmen aufweisen." Die höchstens als "Ultima Ratio" anwendbare Methode koppelte der Landtag an zahlreiche Kriterien. So solle sie nur "bei Schwerstkriminalität" in Frage kommen und nur innerhalb einer "sicherheitstechnischen Infrastruktur, die die Unverfälschbarkeit der veröffentlichten Daten sicherstellt" - etwa durch die Verwendung von digitalen Wasserzeichen oder Zugriffsschutzmechanismen. Doch derlei Forderungen scheinen auch am rot-roten Senat schlicht abzuprallen.