Berufsverbote unter dem Mäntelchen der Menschlichkeit

Sexarbeiter sollen besser vor Ausbeutung, Erpressung usw. geschützt werden. Dafür können dann auch mal Grundrechte zurückstehen.

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Folgende Situation:

Sie möchten einen Schneiderservice eröffnen. Dafür stellen Sie Frauen an. Sie benötigen zumindest für die Geschäftstätigkeit ein Büro - und auch die Damen benötigen einen Platz, an dem Sie schneidern können. Nun hat der Gesetzgeber aber aus verschiedensten Gründen festgelegt, wo solche Schneiderservicehäuser eröffnen dürfen:

Ein flächendeckendes Verbot besteht grundsätzlich für alle Gemeinden unter 20.000 Einwohnern, bis 50.000 Einwohner können (und tun das natürlich) Gemeinden die Einrichtung ganz oder teilweise untersagen, ab 50. 000 Einwohnern gibt es dann per Sperrgebietsverordnung eine Regelung, die Ihnen bestimmte Gebiete zuweist, oft in den Industriegebieten oder in ähnlicher Lage.

Für Sie hat das den Nachteil, dass die Mieten für solche Gebäude in die Höhe klettern. Zudem kommt noch ein Problem hinzu: Vor vier Jahren wurden Sie wegen Schwarzarbeit verurteilt. Damit hat sich dann die Idee der Schneiderserviceeröffnung erledigt. Dass Ihr Geschäftshaus wegen Sweatshop-Pauschalverdachts jederzeit von der Polizei hätte betreten werden können, ist dann nur noch noch eine Zusatzpunkt.

Nein, keine Sorge - Sie können natürlich jederzeit einen solchen Schneiderservice eröffnen und niemand wird willkürlich Ihre Geschäftsräume überprüfen, auch wenn dort die Frauen öfter mal übernachten, um sich ggf. den Preis eines zusätzlichen Hotelzimmers oder einer Wohnung zu ersparen. Alles ist gut, auch wenn Sie mal wegen Schwarzarbeit dran waren - Sie dürfen sogar die Damen ausbeuten, das kann dann höchstens mal bei stichhaltigen Verdachtsmomenten überprüft werden.

Alterseinschränkungen und Berufsverbote

Anders sieht es natürlich aus, wenn Sie ein Bordell eröffnen möchten.Auch hier werden nach gängiger Lesart Frauen ausgebeutet. Nach weniger gängiger Lesart suchen hier Sexarbeiter einen Platz, an dem sie ihre Tätigkeit ausführen können.

Der Bordellbetreiber, der den tätigen Sexarbeitern also ihre Geschäftsräume zur Verfügung stellt (gegen Entgelt), ist insofern Vermieter. Dass es in diesem Bereich mehr als negative Aspekte wie Zwangsprostitution, Gewalt usw. gibt, ist unumstritten. Nichtsdestotrotz ist der Beruf an sich spätestens seit der Legalisierung der Sexarbeit nichts Anrüchiges per se.

Dennoch soll (um den Sexarbeitern mehr Sicherheit zu gewährleisten) das Mindestalter, ab dem jemand ein Bordell eröffnen darf, auf 21 Jahre hochgesetzt werden. Anders als fast alle anderen soll dieser Beruf somit erst 3 Jahre nach Eintritt der Volljährigkeit erlaubt sein. Damit soll eine Zuverlässigkeit erreicht werden, die auch weitere Bedingungen mit sich bringt:

So soll ein Bordellbetreiber ein solches Etablissement nur dann eröffnen dürfen, wenn er fünf Jahre lang weder wegen Zuhälterei noch wegen Schwarzarbeit verurteilt wurde und zehn Jahre lang nicht Mitglied in einem (mittlerweile) verbotenen Verein war. Letzteres bezieht sich insbesondere auf die Rocker-Clubs, gilt jedoch für alle verbotenen Vereine.

Zusammen mit den mittlerweile geltenden örtlichen Einschränkungen sind dies starke Barrieren für einen Beruf. Und auch wenn die Argumentation "ja, denkt denn niemand an die armen Frauen/die Bordellbetreiber sind ja nun keine Heiligen, sind Ausbeuter ..." naheliegt, so stellt sich die Frage, wieso dies bei einer Betrachtung des Berufes an sich eine Rolle spielen sollte.

Wie bereits am Beispiel des Schneiderservice dargestellt, existieren auch dort schwarze Schafe, die Sweatshops errichten und die Arbeitenden ausbeuten - dennoch gibt es für die Einrichtung eines Schneiderservice keine solch tiefgreifenden Einschränkungen für den potentiellen Betreiber.

Auch das Argument der Ausbeutung greift nur bedingt: Höchstens könnten an eine sexuelle Ausbeutung höhere Maßstäbe angelegt werden als bei anderen Tätigkeiten - was jedoch begründungsbedürftig wäre. Wieso sollte es, ganz im Sinne der nicht nur sexuellen Selbstbestimmung, jemandem nicht erlaubt sein, sich für eine Sexarbeit statt eine andere Erwerbsarbeit zu entscheiden? Und wieso sollten an eine Ausbeutung durch sexuelle Arbeit andere Maßstäbe angelegt werden als an jene, bei der Sexualität keine Rolle spielt und "nur" der Körper oder der Geist ausgebeutet werden?

Unabhängig von dieser qualitativen Betrachtung der Ausbeutung stellt sich aber die Frage, inwiefern hier ein Berufsverbot überhaupt legitim wäre. Zwar existieren schon jetzt Berufsverbote - doch diese sind sehr eng gefasst. So können beispielsweise Rechtsanwälte ihre Zulassung verlieren, wenn sie sich überschulden oder gegen das Berufsrecht verstoßen. Nur wird hier im Nachhinein eine bereits erteilte Erlaubnis zurückgezogen, nicht aber im Vorgriff verweigert.

Gerichte können auch bei schweren Straftaten Berufsverbote verhängen: Diese sind aber ebenfalls erst im Nachhinein möglich und beziehen sich dann auf konkrete Aspekte, die mit dem Beruf an sich und mit der der verübten Straftat zu tun haben. So kann beispielsweise bei sexueller Gewalt gegenüber Jugendlichen oder Kindern einer Person, die im Kindergarten oder der Jugendpflege tätig ist, die weitere Arbeit in diesem Bereich untersagt werden, um Kinder bzw. Jugendliche zu schützen. Doch auch hier greift wieder die Nachträglichkeit.

Der Bundesgerichtshof hat festgestellt, dass bei Ersttätern besonders strenge Anforderungen an ein Berufsverbot gelten, und wie folgt geurteilt:

Ein Berufsverbot ist ein schwerwiegender Eingriff, mit dem die Allgemeinheit, sei es auch nur ein bestimmter Personenkreis, vor weiterer Gefährdung geschützt werden soll.[…] Deshalb darf der Strafrichter es nur verhängen, wenn die Gefahr besteht, dass der Täter auch in Zukunft den Beruf, dessen Ausübung ihm verboten werden soll, zur Verübung erheblicher Straftaten missbrauchen wird. [… ] Voraussetzung ist, dass eine - auf den Zeitpunkt der Urteilsverkündung abgestellte - Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten den Richter zu der Überzeugung führt, dass die Gefahr, das heißt die Wahrscheinlichkeit künftiger ähnlicher erheblicher Rechtsverletzungen durch den Täter besteht.

Auf Ersttäter konzentriert, befand der BGH:

Wird ein Täter erstmalig wegen einer Anlasstat straffällig, sind an die Annahme seiner weiteren Gefährlichkeit im Sinne des § 70 Abs. 1 Satz 1 StGB ganz besonders strenge Anforderungen zu stellen. Insbesondere ist zu prüfen, ob bereits die Verurteilung zur Strafe den Täter von weiteren Taten abhalten wird.

Die Frage ist insofern, ob jemand, der wegen Schwarzarbeit als Ersttäter verurteilt wurde, per se von einem Berufsstand ausgeschlossen werden darf. Die Einzelfallprüfung, die der BGH hier gerade auch bei Ersttätern als zwingend notwendig ansah, soll bei dem potentiellen Bordellbetreiber ja entfallen. Ebenso verhält es sich mit der Mitgliedschaft in einem verbotenen Verein - hier soll schon die Nähe zu ggf. gegen das Strafgesetzbuch Verstoßenden ausreichen, um ein Verbot der Berufsausübung zu rechtfertigen.

Artikel 12 des Grundgesetzes enthält zwar die übliche Einschränkung, dass die Berufsausübung "durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden [kann]" - doch diese Einschränkungen sind stets sorgfältig zu begründen. Und zwar unter Berücksichtigung der hier maßgeblichen Urteile des Bundesgerichtshofes.

Dass Sexarbeiter in den Bordellen nicht mehr arbeiten und übernachten dürfen (was für viele Sexarbeiter schlichtweg praktisch ist, da sie auf Grund der gesetzlichen Regelungen ansonsten entweder durch wenig angenehme Gebiete erst nach Hause gehen/fahren und/oder erst ein zusätzlich zu bezahlendes Zuhause aufsuchen müssten), es sei denn, es handelt sich hier um Einzelfälle, ist, zusammen mit dem Eingriff in Artikel 13 des Grundgesetzes (Unverletzlichkeit der Wohnung) nur noch eine zusätzliche bittere Pille.

Die Rechtsprechung hat den Begriff der Wohnung im Sinne von Artikel 13 GG auch auf Geschäftsräume ausgedehnt - z.b. auf LKW mit Schlafkabine. Wieso ein Geschäftsraum wie ein Zimmer in einem Bordell dem Artikel 13 GG automatisch entzogen werden soll, bleibt bisher ungeklärt.

Es ist abzusehen, dass das neue Gesetz aufgrund dieser offenen Rechtsfragen keinen dauerhaften Bestand haben wird - so es denn wirklich in Kraft treten sollte. Viel schlimmer ist jedoch: Wirklich helfen wird es niemandem. Außer vielleicht Investoren, wie die fachkundige Bloggerin Despina Castiglione sarkastisch anmerkt:

Wenn Sie etwas Geld übrig haben und als Hotel nutzbare Immobilien in der Nähe von Puffs kaufen können, tun Sie das jetzt. Es ist eine solche Investition auch moralisch nicht zu beanstanden, dient sie doch dem Schutz der ausgebeuteten Frauen in der Prostitution.